Königstein (as) – Es gibt kaum eine Möglichkeit, feierlicher und beschwingter in ein neues Jahr zu starten als in einem klassischen Neujahrskonzert. Viele große Städte verwöhnen ihre Bürger und Gäste zum Jahreswechsel mit Vivaldi, Tschaikowski, Strauß und Co. – das Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker gilt sogar als die größte klassische Musikveranstaltung der Welt und hat eine ungeheure Strahlkraft.
Auch in Königstein im Taunus haben Neujahrskonzerte mittlerweile eine schöne Tradition – und sind zum ersten gesellschaftlichen Ereignis im Jahreskalender geworden. Bis (fast) auf den letzten Platz war der Große Saal im Haus der Begegnung am vergangenen Freitagabend gefüllt, als das mehr als 50-köpfige Sinfonieorchester Rhein-Main unter Leitung von Christian Ferel seine Plätze einnahm. Das im Jahr 2015 aus dem Sinfonieorchester Ingelheim hervorgegangene Orchester hat durch seine vielseitigen Auftritte auf Königsteins größter Bühne schon ein treues Publikum hinter sich versammelt; viele sind Stammgäste und kamen jetzt auch zum Konzert „Prost Johann Strauß“. Dazu gehörte auch Königsteins Bürgermeister Leonhard Helm, der in seiner Begrüßung „aus ganzem Herzen danke“ für das Engagement der Musikerinnen und Musiker sagte. Er werde das Konzertereignis jedenfalls weiterhin begeistert unterstützen, versprach Helm. Da werden ihm die vier Kandidatinnen und Kandidaten für seine Nachfolge, die alle im Publikum saßen, sicher beipflichten.
Mit einer Geschichte zum Waisenhaus Pietà in Venedig, wo Antonio Vivaldi (1678-1741) als Violinlehrer und Hauskomponist wirkte und musikalische Talente förderte, führte Christian Ferel hinüber ins musikalische Programm. Vivaldi komponierte 1730 sein einziges Konzert für zwei Flöten. Bei festlichen barocken Klängen standen die beiden Solisten Lisa Weber und Michael Häcker dem großen Instrumentalorchester gegenüber – ein erster feiner Hochgenuss, der nicht zum Standardrepertoire zum neuen Jahr gehört.
Für den zweiten Programmpunkt kamen auch noch die 15 Bläser in den Saal und das Orchester nahm einen großen zeitlichen Sprung in die Romantik hin zu Pjotr Iljitisch Tschaikowski (1840-1893), der wohl die bekanntesten Ballette der Musikgeschichte verfasst hat. Zu Gehör kamen aus der Nussknacker-Suite (1892) der Blumenwalzer, der Tanz der Rohrflöten und der Tanz der Zuckerfee. So wie Ferel in die Stücke und Szenerien einführte, wurde die Musik für das Publikum noch einmal fühlbarer. Man sah die Rohrflöten förmlich beim beschwingten und fröhlichen Tanz – und beim rauschhaften Finale, dem Tanz der Zuckerfee, stimmte noch eine Celesta mit ein. Es handelt sich um die erste Komposition mit der feinen Celesta als Teil eines Sinfonieorchesters. Ferel lieferte den Hintergrund, dass es damals ein regelrechtes Wettrennen darum gegeben habe; deshalb habe Tschaikowski, sich seinem Lebensabend nähernd, beeilt, seine Konzertsuite mit Celesta zu vollenden, um auch diesen Ruhm einzustreichen.
Dann wurde es – wie bei jedem Neujahrskonzert – wienerisch-beschwingt im Großen Saal des Hauses der Begegnung. Das Orchester steigerte sich mitten im Winter in ein fulminantes musikalisches Sommergewitter mit Blitz und Donner bzw. Pauken und Trompeten. Gemeint ist die schnelle Polka „Unter Donner und Blitz“ von Johann Strauß (Sohn) aus dem Jahr 1868. Mit der Ouvertüre „Die Fledermaus“ aus dem Jahr 1874, eine der ersten Operetten von Johann Strauß (1825-1899), ging es unter lang anhaltendem Applaus in die Pause.
Klassiker auf Klassiker, aber auch ein äußert seltenes „Instrument“ – der zweite Teil des Konzerts brachte alle Zuhörer endgültig zum Mitschwingen und -schwelgen. Etwa beim mehrteiligen Schatzwalzer, im Jahr 1885 von Johann Strauß im Konzertsaal des Wiener Musikvereins uraufgeführt und mit einer Länge von etwas über acht Minuten der Verfügung von Kaiser Franz Josef I. folgend, dass ein Walzer mindestens acht Minuten lang sein sollte, oder auch bei der Polka „Auf der Jagd“ und dem „Persischen Marsch“.
Dazwischen verwöhnte Ferel das Publikum immer wieder mit kleinen Anekdoten, etwa zu den komplexen Verwandtschaftsverhältnissen im Hause Strauß, dass Musikgenies unerwünschten Kritikern durchaus Krankheiten an den Hals wünschten oder warum ein Amboss ins Orchester gehört. Richtig gehört! Bei der Polka francaise „Feuerfest“ handelte es sich um eine Auftragsarbeit von Johanns Bruder Josef Strauß (1827-1870) für den 20.000sten Tresor des Herstellers Wertheim im Jahr 1869. Da Josef Ingenieur war und sich eigentlich immer vom Musikbetrieb der Familie absetzen wollte, erlaubte er sich die Besonderheit, hier – passend zum Thema – erstmals einen Amboss in ein Orchester zu integrieren, der schon damals wie auch im Königsteiner Neujahrskonzert virtuos mit zwei Hämmern bearbeitet wurde. Das perfekte Stück zum Mitklatschen!
Vor dem Finale gab es das aus Wien bekannte „Prosit Neujahr“ des gesamten Orchesters und einige nachdenklich machende Gedanken Ferels an die Opfer gewaltsamer Auseinandersetzungen, verbunden mit dem Wunsch für mehr „Toleranz, Mitgefühl und Sorge um Mitmenschen“. Den offiziellen Abschluss bildete natürlich der König des ¾-Takts „An der schönen blauen Donau“, gefolgt vom Radezky-Marsch – übrigens von Johann Strauß (Vater) – mit einem spektakulären Wechseldirigat Ferels zwischen Orchester und mitklatschendem Publikum.
Aber auch nach der zweiten Zugabe war noch nicht Schluss. Der Dirigent entkorkte einen Sekt und genehmigte sich – „Prost Johann Strauß“ – einen Schluck, ehe es mit dem fetzigen Can-Can von Jacques Offenbach aus dem Moulin Rouge und einem „Kanonenschuss“ mit Goldkonfetti endgültig das Jahr 2024 geschlagen hatte.
Ein Programm, das bei allen Altersgruppen gut ankam. Die sechsjährige Mayla war mit ihrem Vater Daniel Siebert extra aus Selters nach Königstein gekommen. Das Mädchen tanzt bereits im Ballett und kannte den Nussknacker, aber auch insgesamt hat ihr das Konzert „gut“ gefallen. „Es war tatsächlich ihr Wunsch, der Besuch war schon lange geplant“, erzählte der von der „Klasse und dem Entertainmentfaktor“ des Sinfonieorchesters gleichermaßen begeisterte Vater. Die Königsteinerin Eva-Maria Marx, die sich als Klassik-Kennerin zu erkennen gab, sah den „besonderen Reiz, dass die Spielfreude, die dieses Orchester hat, so gut rüberkommt“. Sie findet es sehr schön, dass es solche Konzerte in ihrer Heimatstadt gibt.
Wer das Neujahrskonzert verpasst haben sollte, bekommt weitere Möglichkeiten, das Sinfonieorchester Rhein-Main im HdB zu erleben. Am 30. Mai gastiert es mit Filmmusiken, am 21. November folgt ein Sinfoniekonzert, und auch das nächste Neujahrskonzert ist bereits terminiert: 3. Januar 2025. „Wir werden Sie wieder einladen“, versprach Ferel.