Spätlese in der Stadtbibliothek: Der Realismus des Ernest Hemingway

Eigentlich jeder kennt mindestens einen Titel aus der Feder Hemingways und natürlich ist der bekannte Schriftsteller auch mehrfach in der Stadtbibliothek zu finden, wie Dr. Michael Hesse hier mit einem Handgriff in seiner „Spätlese“ demonstriert. Foto: Scholl

Königstein (gs) – Über Ernest Hemingway kann man viel schreiben, denn er war einer der bekanntesten amerikanischen Schriftsteller und erhielt für sein Werk „Der alte Mann und das Meer“ im Jahr 1953 den Pulitzer-Preis, im Jahr darauf den Literatur-Nobelpreis für sein Lebenswerk.

Im Rahmen der „Literarischen Spätlese“ beschäftigte sich Dr. Michael Hesse mit dem Leben und Werk dieses einzigartigen Autors. Nach einem Streifzug durch seine Lebensgeschichte wurde schnell deutlich, dass sein literarisches Werk geprägt war von der Verarbeitung eigener Erfahrungen und von Eindrücken, die er in seiner Kindheit, aber auch in diversen Kriegseinsätzen (als Kriegsberichterstatter), auf der Großwildjagd und beim Fischen gesammelt hatte.

Nahezu jeder der zahlreichen Gäste kannte eines der berühmten Werke Hemingways. Nicht nur „Der alte Mann und das Meer“, „Schnee am Kilimandscharo“ oder „Wem die Stunde schlägt“ waren bekannt, sondern auch viele seiner Kurzgeschichten erfreuten sich bei den Anwesenden großer Beliebtheit. Damen wie Herren waren von seinem Werk gleichermaßen begeistert, obwohl Hemingway ein heute nicht mehr ganz so (politisch) korrektes Menschenbild vertrat. Waren seine männlichen Protagonisten eher „Machos“, die kämpften und „echte“ Kerle verkörperten, so wurden Frauen in seinen Geschichten eher ruppig behandelt und ordneten sich in einem patriarchalischen System unter. Seine Weltsicht war sehr konservativ, was auch Eingang in seine Werke fand.

Ein erzählerischer Aspekt, der in seinen Werken all gegenwärtig scheint, war seine Faszination am gewaltsamen Tod. In vielen seiner Werke setzte er sich mit dem Kampf „Mann gegen Mann/Tier“ auseinander – seine Schilderungen vom Stierkampf („Fiesta“) oder der Großwildjagd („Schnee am Kilimandscharo“) sind sehr eindringlich und nehmen den Leser mit auf eine literarische Reise, die so eindrucksvoll ist, dass man meint, eine wahrhaftige Augenzeugenschilderung zu lesen.

Diese Möglichkeit des Eintauchens in die Geschichte ermöglicht Hemingway dem Leser durch seinen ganz besonderen Schreibstil, der als „Eisberg-Modell („Iceberg-Theory“) bekannt wurde. Sein erzählerisches Können lebt von der Kunst des „Weglassens“ und der damit einhergehenden erzählerischen Kürze. Die Gefühlswelt seiner Protagonisten erschließt sich für den Leser allein aus deren Handlungen und Reaktionen.

Hemingway braucht in seinen Erzählungen daher nur sehr wenige Worte, um auf den Kern der Aussage zu kommen, wobei er keine politischen oder gar moralischen Aussagen macht. Er bleibt neutral, denn im Vordergrund seiner Erzählungen steht immer das individuelle Schicksal seines Protagonisten, keine Gesellschaftskritik. Hemingway gehörte, ebenso wie seine literarischen Weggefährten Ezra Pound und Gertrud Stein, zur „Lost Generation“, die sich dadurch auszeichnete, dass sie „versoffen, respektlos und durch den Krieg desillusioniert“ war. Scott Fitzgerald sagte einmal über diese Generation: „Alle Götter sind tot, alle Kriege gekämpft und es fehlt der Glaube an die Menschheit“. Die Menschen waren auf der Suche nach neuen Werten, was Hemingway mit einem schonungslosen Realismus in seinen Werken verarbeitete.

Ernest Hemingway starb 1961 durch Selbstmord, was wahrscheinlich eine Folge seiner oft tiefen Depressionen gewesen ist. Seine kraftvolle Erzählweise mutet fast existenzialistisch an und hat an Aktualität bis heute nichts verloren. Mit dem schönen Satz: „Man braucht viel Fantasie für seine Geschichten, aber sie haben nichts Fantastisches“ schloss Dr. Michael Hesse den Abend und hatte damit in schönster Hemingway-Manier das Wesentliche kurz auf den Punkt gebracht!



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