Die Stimmung explodierte im Kuckucksnest, bis die Federn flogen: Schnaadems schrägste Vögel feierten eine fulminante Zwei-Präsidenten-Kappensitzung

Schneidhain (hhf) – Was trägt ganzkörprig rosa Flanell und hüpft über die Bühne? Na klar, ein schwuler Kuckuck ... Die Zeiten ändern sich auch im Schneidhainer Fasching, obwohl man dort eigentlich noch nie Probleme mit dem anderen Geschlecht, dem eigenen oder trans-gender-bekennenden Mitnarren hatte. Ein Wechsel in der Moderation der Sitzung schien nach 43 Jahren Gerhard Heere allerdings bislang kaum denkbar – doch genau der hat im gallischen Wolkenkuckucksheim nun stattgefunden.

Freilich hat der Gerhard sich kein Kuckucksei ins Nest gelegt, das ihn bei nächster Gelegenheit über Bord wirft, sondern das Steuer des Narrenschiffs mit Dr. Michael Pfeil an einen gestandenen Karnevals-Wogen-Navigator übergeben. Und zwar – wie man das auf der Familienfassenacht eben so macht – nach gründlicher Einarbeitung mitten in der Sitzung auf offener Bühne. Kurz vor der Pause wechselten die beiden die Plätze, Michael leitete fortan die Sitzung und Gerhard half ihm. Aber bald schon erkannte er, dass sein Nachfolger das Zepter fest in der Hand hatte und widmete sich fröhlichen Nebenbeschäftigungen, zu denen er in den letzten 40 Jahren plus nie gekommen war, was unter anderem Elvis seine Dienstmütze kostete.

Restlos ausverkauft

Man könnte meinen, dass die versammelte Schar der Bühnenakteure (und ihrer Helfer im Hintergrund) dieses Ereignis mit einem besonderen Feuerwerk an gelungenen Vorstellungen feierte, es könnte aber auch „nur“ eine weitere Steigerung der üblichen Top-Veranstaltung sein, zu der die Eintrittskarten schon am Vorverkaufstermin restlos vergeben worden waren. Respekt vor Thekenmannschaft und Bedienungen, die sich unermüdlich den Weg durch die Menge bahnten – zum Glück standen eigentlich immer irgendwo Gäste auf Stühlen und Tischen, so dass auf dem bebenden Boden kleine Lücken entstanden.

Schon zum Einmarsch des Elferrates versetzten die Knüppelgeister aus Kelkheim-Münster die Halle in Schwingungen bis in die Grundmauern, sechs Trommeln und eine Sammlung von Rhythmus-Geräten anderer Art jagten das Stimmungsbarometer aus dem Stand in den roten Bereich, die Vorstellung aller fünf ortseigenen Balletts gleichzeitig auf der Bühne tat ein Übriges.

Der Kuckuck sieht alles

Mit dem Protokoll („...und der Kuckuck hat‘s geseh‘n“) brachte Dr. Michael Pfeil dann doch erst einmal Ruhe in den Saal, schließlich musste ein jeder aufpassen, ob er nicht selbst dort Erwähnung finden würde. Sogar Pfeil selbst kam drin vor, wegen der „Helm-Pflicht“ im Wahlkampf des vergangenen Jahres, dafür gab es dann aber auch wieder reichlich Feuer für den wiedergewählten Bürgermeister und seine Stadtverwaltung.

In Sachen Hundehaufen und Sperrstunde nahm der Hüttenzauber großen Raum ein, das Männerballett, das an seinem Trainingswochenende schon zum Frühstück Feueralarm ausgelöst hatte, musste ebenso an den Pranger wie der Feuerwehrmann, der eine Woche zu früh zur Weihnachtsfeier kam oder das Elferratsmitglied, das nach einem langen Abend mit Freunden seiner Frau „Gute Nacht Jörg“ gewünscht hatte.

Zum Glück bekamen die „Lollipops“ derartige Verfehlungen der Elterngeneration nicht zu hören, denn die jüngsten Tänzer(innen) bereiteten sich in dieser Zeit auf ihren Showtanz vor, der Discoklänge gekonnt mit orientalischem Einfluss verband und die beinahe erste Zugabe des Abends auslöste.

Messlatte hoch gelegt

Nach der Begrüßung von Senatoren, Ehrengästen, Bürgermeister und Landrat, der offensichtlich Fans im Saal hatte („Ulrich, Ulrich“...) verabschiedete sich Gerhard Heere wie eingangs erwähnt mit reichlichem Dank an alle Mitstreiter vom Amt des Sitzungspräsidenten und übergab unter minutenlangem Beifall des Publikums den Stab offiziell an seinen Nachfolger Michael Pfeil. Der quittierte zwar, dass der Mann, ohne den er die Fassenacht im Ort gar nicht kennt, die Messlatte reichlich hoch gelegt habe, schritt dann aber zügig zur Tat, denn ein großes Programm wollte weiter angesagt werden.

Mit Heinz Eichhorn kam ein alter Weggefährte aus Königstein diesmal nur ausnahmsweise zum Vortrag, denn „eine gute Freundin von mir heiratet heute, und ich bin auch eingeladen, als Bräutigam ...“ Vielleicht trug er deswegen den merkwürdigen Frack: „Damit siehst Du aus wie ein Kameltreiber“ – „Ei, dann lassen wir den Elferrat vorneweg gehen, dann sieht es echt aus.“ Den Witz vom Ober, der kein Bier bringt, erzählte er in Endlosschleife dann so lange, bis der Elferrat ihm ein Fläschchen kredenzte, nachher trank er diesem Gremium aber auch noch den Wein weg. Erklärung ans Publikum: „Sie gucken ja nur in ein blödes Gesicht, aber ich ...“

Als er dem derart angezählten Narrenvolk auch noch erklärte, wie man aus Bohnensuppe und Ananas „Hawaiimusik“ macht, konnte nur noch ein eiliger Auszugsmarsch den Hausfrieden retten – und die Vorführung der Bambinis. Eingeleitet von einem sombrerotragenden Latinogitarristen schwebten die 14 jungen Damen zwischen „Volare“ und „Cantare“ über die Bühne bis zur Zugabe: Bella Ciao.

Eheleben und Elvis

„Wie kannst Du mir eigentlich ins Gesicht gucken?“ – „Aaach, man gewöhnt sich an alles ...“ Ganz offensichtlich waren Franziska Ernst und Nina Grafe schon zu lange verheiratet: „Die Fliegen nerven nur im Sommer, aber du das ganze Jahr.“ Einzig Planungen für die Silberhochzeit von Olli und Pedi unterbrachen das Alltagsleid („Der Strom wird teurer, gut, dass du keine große Leuchte bist“), das von „zwei Schränke voll mit nix zum Anziehen“ dominiert wurde. Dann endlich die Lösung: „Es reicht, ich ziehe aus – kann ich vorher noch etwas für dich tun?“ – „Nee danke, das reicht vollkommen...“

Man fragt sich schon, wie die beiden Nachwuchstalente einst zusammengekommen sind – eine Möglichkeit wäre im Taumel eines Konzertes von „King“ Elvis. Der feierte jedenfalls in Gestalt des Gerald Dinis nach rund einem halben Jahr wieder seine Auferstehung in der Heinrich-Dorn-Narrhalla und trieb – unterstützt von seinen unnachahmlichen Hintergrund-Akteuren – das Volk schon wieder auf Stühle und Tische, sofern er dort nicht gerade selbst stand und Landrat oder Bürgermeister zu seinen Füßen zum Tanzen animierte.

Zurück auf der Bühne klatschte er fröhlich den Elferrat ab und integrierte mühelos ein dreifach donnerndes Schnaadem Helau in den sonoren Rock‘n‘Roll plus Dank an Gerhard, Annette und Alexander für langjährige Zusammenarbeit und Freundschaft. „Einer geht noch“, befand er mehrfach, bis sich zu „Suspicious Minds“ (we are caught in a trap) unter anderem eine Küchenschabe, gefolgt vom Burger-King-Koch und zwei Disco-Kugeln mit unglaublicher Körbchengröße in einer Polonaise um den Sänger drehten. Sogar zum Städele mussten sie nachher gemeinsam hinaus.

Dä Prinz kütt ... zom Gerhard

Und noch einige mehr hatten an diesem Abend ihren urban geprägten Heimatort verlassen müssen, nach eigener Aussage anfangs sogar, ohne zu wissen, wo es hingeht: Mit Pascal I. und Selina I. hatte es sich sogar das Frankfurter Prinzenpaar nicht nehmen lassen, Gerhard Heere in seinem Kuckucksnest zu besuchen. Möglicherweise hatte da die Hofmarschällin etwas gedreht, sie stammt aus dem hohen Taunus, wo Herr Heere auch „Ehren-Reifenberger“ ist. Über die Gepflogenheiten auf Frankfurts Hausgebirge klärte der Ex-Präsi die Tollitäten dann auch gleich auf: „Nebenan, in Königstein, das sind die Plasterschisser. Die riechen auch so, wie sie heißen ...“

Im allgemeinen beschäftigten sich die anwesenden Narrennasen in der Pause nun aber mit dem anziehenden Odeur der Mettbrötchen aus der anschließend völlig geplünderten Buffet-Ecke und hießen nach dem Genuss einiger Röllchen Nikotin vor der Tür die nächsten Königschisser – Verzeihung, Plastersteiner natürlich – herzlich willkommen.

Neandertaler am Gebläse

„Die drei lustigen Vier“ (Trompete, Tuba, zweimal Horn) pflückten sich zunächst mit der aufblasbaren Keule einen Schlagzeuger, bevor sie als Urzeitmenschen zu ihrer musikalischen Zeitreise aufbrachen. Lausig waren die Tonkünstler sicher nicht, auch wenn sie sich auf offener Bühne ausgiebig gegenseitig lausten... Zwei Assistenten unterstützten die zotteligen fünf Vertreter der Gattung Homo musicalis fanfarii nach Kräften, mal als Engel, die die Sprache brachten, mal als YMCA-Polizisten, mal als Michael Jackson – der Höhepunkt war aber sicherlich der Auftritt als Alexa und Siri im Computerzeitalter.

Das konnte nur eine Tanztruppe toppen, was den Sweet Angels allerdings auch mühelos gelang. Schon beim Einzug quer durch die Narrhalla lösten die sechs rotweiß gewandeten Damen frenetischen Beifall aus, den sie mittels äußerst geschickter Handhabung ihrer blau-weißen Puschel ins Unermessliche steigerten. Des Redakteurs Lieblingsmoment war allerdings die Stelle, an der sie ihren Showtanz kurzfristig im Rückwärtsgang vollführten.

Ralf will auch mitmachen

Der Saal tobte, eine Steigerung schien unmöglich – da kam Ralf von Cleef gerade recht. „Keine Büttenrede von Zugezogenen“ hatte sich der Rheinländer selbst auferlegt, aber sonst hatte ihn die gute Stimmung der letzten Jahre überzeugt: „Da will ich auch mitmachen!“ Da der Job als Präsident gerade schon vergeben worden war, verlegte er sich für sein Debüt eben auf eine ergebnisoffene Mischung aus Kabarett, Comedy und Gesang (zur Gitarre), obwohl er dem entgangenen Platz im Elferrat sichtlich nachtrauerte: „Es ist doch die letzte Männerdomäne neben Priester sein und Prostataleiden.“ Und dann gibt es für die „lebendige Bühnendekoration“ immer genug Auswärtstermine, um den dominanten Ehefrauen regelmäßig zu entkommen...

Obwohl er seine humorlose Gattin im Keller wähnte („die lacht aber nicht mal da“), wird nicht ausgeschlossen, dass sie den rundum gelungenen Auftritt ihres Karnevalisten gut getarnt doch verfolgt hat, vom Lied „Da schwimmt ein Tier in meinem Bier“ bis zum pantomimisch wie akustisch gleichermaßen überzeugend dargebotenen Damenfurz auf offener Bühne, von der Bürgermeister-Wahlkampf-Nachlese bis zum rückwärts ablaufenden Leben, das mit einem Orgasmus endet. Möge sie ihm verziehen und den Mähdrescher für das Strohhälmchen noch einmal angeworfen haben!

Wenig Respekt vor dem Elferrat

„Die Belastungen in einer Beziehung sind enorm – das hältst du mit einer Frau allein gar nicht aus.“ Auch Moritz Grafe kannte sich mit den Ehestandsfreuden aus und zeigte wenig Respekt vor dem Elferrat: „Schneidhain ist bei Weitem nicht so umfangreich wie unser Präsident“ bewies er tiefere Kenntnisse in Geografie, während er dem Sitzungsleiter die Glocke mopste, um den zahnlosen Nachtwächter in Szene zu setzen.

Als Zugabe sang er schließlich mit Gitarre und weiblicher Begleitung ein selbst geschriebenes „Sauflied“, das nicht weniger als 41 verschiedene Getränke aufzählte und dem Publikum als Text ausgeteilt wurde: „Ihr könntet jetzt also alle mitsingen – oder wenigstens einen Jägermeister dazu trinken.“

Mit „Girls want to have fun“ setzten die Kuckucksweiber als letzte Damentruppe des Abends noch einmal einen wichtigen Akzent für die holde Weiblichkeit im Allgemeinen, die artigen Schleifen im Haar harmonierten mit den roten Röckchen über schwarzer Grundausstattung. „Wir sind nicht einfach, das wissen wir“, outeten sich die 13 Grazien noch schnell gegenüber ihrer Trainerin, bevor sie unter deren stolzem Blick die Zugabe in Angriff nahmen.

Hula-Palu, Cordula Grün

Den Kopf schüttelte letztendlich Überraschungsgast Philipp Chalupsky, der bekannte Sänger „aus Österreich im Hintertaunus“. Nicht zum ersten Mal trieb der stimmgewaltige Lederhosenträger als Andreas Gabalier die Kuckucke auf die Tische, die mitunter so voll waren, dass er selbst dort keinen Platz mehr fand. Als die feiernde Narrenschaft ihn aber auch nach mehreren Zugaben seinen Auftritt nicht beenden lassen wollte und er kurz nachdem er sich – um den Zeitplan zu retten – von der Bühne geschlichen hatte schon wieder in einer Polonaise auf dem Weg dorthin zurück fand, übermannte ihn schiere Fassungslosigkeit ob des eigenen Erfolges.

Aber Chronos schlug mit voller Härte zu und ließ den letzten Sand aus der Uhr laufen: Wenn Mönche zu den Glockenklängen „Hells Bells“ von AC/DC im Vorbeigehen die Theke segnen, dann ist das Ende nicht mehr weit, nicht das Ende der Welt, sondern das Finale, welches traditionell vom Männerballett „eingeläutet“ wird.

Gleichermaßen liebe- wie kraftvoll setzte die Ranzengarde in diesem Jahr das Thema „Fußballmeisterschaft“ in bewegte Bilder um, detailverliebt vom „Vokuhila“ samt gewaltigen „Olibä“, die sich im Schweiß der Zugabe schon mal vom Besitzer lösten, bis zu den treffenden Namen auf den Trikots. „Obstlerhase“, „Graf Drunkula“, „Robinson Ouzo“ oder „Trinkerbell“ hatten sich die Kiste Bier, die Trainerin „Flaschenpuddel“ zwecks Stärkung vor der Zugabe auf die Bühne schleppte, redlich verdient – und sie das „Gruppenkuscheln“ und Marco das 200-stimmige Geburtstagslied aus der Narrhalla und alle seine Lokalrunde ... und wenn sie es vom Finale noch bis in die Sektbar geschafft haben, dann feiern sie vermutlich heute noch.

So funktioniert Vererben richtig: Mitten in der Kuckuckssitzung übergab Gerhard Heere (hellrotes Jackett) nach 43 Jahren sein Amt als Sitzungspräsident an Nachfolger Dr. Michael Pfeil (linkes Bild), später bekamen sie noch den Segen vom Frankfurter Prinzenpaar dazu. Das Männerballett arbeitete derweil schon auf die nächste Fußballmeisterschaft hin – Nachhaltigkeit, wohin das Auge blickte.
Fotos: Friedel

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