30 Jahre deutsch-deutsche Partnerschaft – der Weg zur Realisierung einer kaum für möglich gehaltenen Vision

Kronberg (pu) – 6. deutsch-deutsche Städtepartnerschaft wurden in Kronberg (6. Oktober) und in Ballenstedt (13. Oktober) die Verschwisterungsurkunden von Vertretern beider Kommunen feierlich unterschrieben.

Nunmehr jährt sich dieses denkwürdige Ereignis zum 30. Mal, daher lag es nahe, den runden Partnerschafts-Geburtstag nicht einfach sang- und klanglos zu ignorieren, vielmehr trafen sich Ballenstedter und Kronberger im August im Harz für Teil 1 kleiner, aber feiner Feierlichkeiten; am kommenden Wochenende steht der Gegenbesuch in der Burgstadt auf der Agenda. Etwa 80 Ballenstedter mit Bürgermeister Dr. Michael Knoppik an der Spitze werden dazu ebenso erwartet wie die Sängervereinigung Opperode. Im Gegensatz zur „Silberhochzeit“, die dementsprechend im größeren Rahmen begangen wurde, sind dieses Mal keine öffentlichen Veranstaltungen geplant. Mitglieder der jeweiligen Partnerschaftsvereine und an der deutsch-deutschen Verbindung Interessierte verbringen den Samstag in Frankfurt, am Sonntag folgt eine Matinee für geladene Gäste in der Stadthalle mit Grußworten, Eintrag ins Goldene Buch und Rahmenprogramm.

Werdegang

Bis das innige deutsch-deutsche Band geknüpft werden konnte, galt es allerdings eine ganze Reihe von Hindernissen zu überwinden. Lange vor dem Fall der Mauer gab es auf beiden Seiten zahlreiche intensive Bemühungen die deutsch-deutschen Beziehungen zu verbessern. Anfang der Achtziger Jahre lockerte sich das Verhältnis zwischen der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) und der Bundesrepublik tatsächlich, in kleinen Schritten aber stetig. Beispielsweise gab es ab 1982 einen regelmäßigen Jugendgruppenaustausch zwischen der Altkönigschule und Jugendgruppen der DDR. Natürlich alles strikt reglementiert und unter strenger Aufsicht.

Politische Unterhändler beider Staaten trafen sich regelmäßig bei verschiedenen Gelegenheiten. Eine besondere Schlüsselrolle kam bei diesen Treffen dem damaligen Bundesschatzmeister der CDU und Unterhändler für schwierige außenpolitische Missionen, dem von 1942 bis zu seinem Tod im Mai 2016 in Kronberg wohnhaften Dr. Walther Leisler Kiep zu. Dieser war schon in seiner Funktion als niedersächsischer Finanzminister (1975 bis 1980) regelmäßig in die DDR gereist, hatte dabei Mitte der Siebziger Jahre Herbert Häber kennen gelernt, den Leiter der Westabteilung des Zentralkomitees (ZK) und ihn Kiep zufolge ungefähr 20 Mal in der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik in Ostberlin, aber auch zur Leipziger Frühjahrsmesse, in Erfurt, Hamburg oder Bonn getroffen. „Nachdem wir uns besser kennen gelernt hatten, konnten wir recht offen miteinander sprechen und auch Themen anschneiden, die auf ‚offizieller‘ Ebene tabu waren“, berichtete Kiep, der als einer der einflussreichsten deutschen Nachkriegspolitiker galt, während eines Interviews mit dem Kronberger Bote.

Ein Staatsbesuch des Generalsekretärs der SED und DDR-Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker im September 1987 in der Bundesrepublik, auf Einladung des damaligen Bundeskanzlers Helmut Kohl (CDU) und gegen den Rat der UdSSR, sollte auch eine zu diesem Zeitpunkt nicht erwartete Veränderung für die Stadt Kronberg mit sich bringen und wieder war Dr. Leisler Kiep aktiv daran beteiligt. Im Mittelpunkt der Gespräche zwischen Kohl und Honecker stand eine Verbesserung vor allem in den Bereichen Reise- und Besuchsverkehr, Familienzusammenführung und Umweltschutz.

„Im Rahmen dieser Reise bat Berthold Beitz, damals Aufsichtsratsvorsitzender der Friedrich Krupp GmbH, Honecker und seine Delegation zu einem Empfang in die Villa Hügel in Essen-Bredeney, einst das Wohnhaus der Industriellenfamilie Krupp“, schilderte Leisler Kiep, der, ebenso wie die Spitzen der westdeutschen Industrie, zu dieser Veranstaltung eingeladen war. Honecker habe Carl Horst Hahn und ihn an seinen Tisch gebeten und zunächst sei es um das mögliche VW-Projekt in der DDR gegangen. Honecker und Leisler Kiep kannten sich von früheren Begegnungen. Für den Westdeutschen nahm das Gespräch zu vorgerückter Stunde und nach dem ein oder anderen alkoholischen Getränk plötzlich einen unerwarteten Verlauf, als der SED-Generalsekretär fragte: „Wie finden Sie meinen Besuch hier und was halten Sie eigentlich von deutsch-deutschen Städtepartnerschaften?“

Konkrete Orte?

Der langjährige CDU-Schatzmeister erinnerte sich, dass er diplomatisch antwortete: „Grundsätzlich halte ich Städtepartnerschaften für eine gute Idee, doch ich glaube, sie funktionieren am besten auf der Ebene der kleineren und mittleren Orte denn dort ist das Interesse am Anderen, am Austausch einfach intensiver als in großen Städten.“ Auf die Nachfrage Honeckers, ob er denn zwei konkrete Orte im Sinn habe, die prompte Aussage: „Kronberg im Taunus und Ballenstedt im Harz.“ Zu beiden Orten hatte Dr. Walther Leisler-Kiep ganz besondere Beziehungen. In Kronberg war sein Zuhause, in Ballenstedt steht das Haus seines Großvaters väterlicherseits, Walther vom Rath. Der CDU-Politiker war des Weiteren Neffe des Diplomaten Otto Carl Kiep, der sich dem Nationalsozialismus widersetzte und deshalb am 26. August 1944 gehängt wurde. Noch heute gibt es in Ballenstedt eine Otto-Kiep-Straße und die Kiepsche Villa. Das Anwesen wurde inzwischen zu einer Seniorenresidenz ausgebaut.

Der denkwürdige Abend im September 1987 ging zu Ende, kurz darauf auch Honeckers fünftägiger Aufenthalt in der Bundesrepublik und nichts geschah. Doch schon vier Wochen später die nächste Überraschung. „Kronbergs Bürgermeister Rudolf Möller rief mich in heller Aufregung an und berichtete mir, die Regierung der DDR bekunde ein Interesse an einer Städtepartnerschaft zwischen Ballenstedt und Kronberg“, konnte sich der Spitzenpolitiker noch genau an diesen Tag erinnern. Bis zur endgültigen Unterschrift unter die Partnerschaftsverträge mussten allerdings noch einige Hindernisse überwunden werden. Für eine kurze Zeit sah es sogar so aus, als würde das Projekt in gewünschter Form sogar scheitern, denn eines Tages rief Rudolf Möller erneut bei Dr. Walther Leisler-Kiep an. „Stellen Sie sich vor, die DDR-Seite wünscht plötzlich nicht mehr Ballenstedt, sondern Quedlinburg als Partnerstadt für Kronberg!“

Darauf wollten sich die Kronberger nicht einlassen, man beharrte auf Ballenstedt. „Später erfuhr ich die Ursache für diese Schwierigkeiten: Bei Ballenstedts damaligem Bürgermeister hatte es Bedenken gegeben, er könnte einen Auslandsaufenthalt dafür nutzen, im Westen zu bleiben, also wurde er kurzerhand des Amtes enthoben und ersetzt“, gab Dr. Leisler-Kiep einen Einblick in damalige DDR-Gepflogenheiten. Kronberg war damit die erste, kleinste, kreisangehörige Stadt, die eine deutsch-deutsche Städtepartnerschaft einging. Erste Kontakte wurden bald darauf geknüpft.

Zu den treibenden Motoren zählten der schon erwähnte Rudolf Möller (CDU) und sein Nachfolger als Bürgermeister, Wilhelm Kreß. (SPD) Letzterer hatte schon 1986 mit der SPD-Fraktion einen ersten Anlauf zur Auslotung der Chancen für eine deutsch-deutsche Städtepartnerschaft im klein- und mittelständischen Bereich genommen. „Wir sprechen zwar eine Sprache, aber wir können uns nicht verstehen“, begründete der damalige Oppositionsführer im Stadtparlament den Antrag, der damals noch von der CDU abgelehnt worden war mit Blick auf negative Erfahrungen der Nachbarstadt Königstein mit Königstein in Sachsen.

Dennoch verschwand die Idee mitnichten auf Nimmerwiedersehen in der Schublade. Ganz im Gegenteil: Nachdem Kiep ein Jahr später Bürgermeister Rudolf Möller versichert hatte, er sähe dennoch Möglichkeiten, den Weg zu einer DDR-Städtepartnerschaft zu ebnen, bat dieser ihn, es „mit dem ihm eigenen diplomatischen und politischen Charme zu versuchen und es auf höchster politischer Ebene anzustreben“. Einmal in Fahrt gekommen, setzte Möller bei seiner Fraktion eine hundertprozentige Kehrtwendung durch und stieg zu Wilhelm Kreß ins Boot.

Während einer Sitzung des Stadtparlaments am 12. November 1987 erfuhren die Parla mentarier überrascht und erfreut zugleich, von der Bereitschaft der Stadt Ballenstedt, mit Kronberg eine Partnerschaft zu begründen. Die Gremien ergriffen unverzüglich die Initiative, bildeten eine Partnerschaftskommission, nahmen Kontakt mit dem Rat der Stadt Ballenstedt auf und luden nach Kronberg ein.

Günter Budelski, damals Stadtrat erinnert sich:
„Die erste Ballenstedter Delegation kam am 20. April 1988 mit dem Nachtzug aus Leipzig und wurde von mir auf dem Frankfurter Hauptbahnhof in Empfang genommen, um sie in der S-Bahn nach Kronberg zu begleiten.

Dort wurden die Teilnehmer von Rudolf Möller (Bürgermeister), Gerhard Müller (Stadtkämmerer) und Rolf Jodlauk (Hauptamtsleiter) begrüßt. Untergebracht war die Gruppe in einem kleinen Schönberger Hotel. Verhandelt wurde in Kronberg praktisch nichts, da die Ballenstedter Delegation weisungsgebunden aus Ost-Berlin war ….“ Dennoch lief längst nicht alles reibungslos. „Um die Städtepartnerschaft abzuschließen und zu bewahren, musste die Kronberger Delegation bei ihrem Besuch in Ballenstedt vom 26. bis 29. Juni 1988 einige Abstriche bei ihrem Gedankengut zum Partnerschaftsvertrag hinnehmen“, so Möller. Dies sei geschehen, um das zarte Pflänzchen überhaupt zum Blühen zu bringen.

Doch erst nach dem Fall der Mauer, gelang es, diese Partnerschaft auch mit Leben zu erfüllen.

Neu besiegelt

Im Jahr 1990 wurde die 1988 geschlossene Partnerschaft nochmals neu besiegelt. Der Vertrag vom 28. Juni fand auf Kronberger Seite die Zustimmung aller fünf in der Stadtverordnetenversammlung vertretenen Fraktionen. Am Tag der Vereinigung Deutschlands, am 3. Oktober 1990, wurde Altbürgermeister Rudolf Möller das Ehrenbürgerrecht der Stadt Ballenstedt verliehen mit der Begründung, er habe ein Stück deutsch-deutsche Geschichte mitgeschrieben.

Die Geburtsstunde der beiden Partnerschaftsvereine, die ebenfalls als Motoren dieser Verbindung gelten, schlug schon früher.

Es war Donnerstagabend, 9. November 1989, als der damalige städtische Justiziar Klaus Förkel in die Stadtverordneten-Versammlung stürmte und verkündete: „Die DDR hat die Grenzen geöffnet!“ Noch ganz unter diesem Eindruck gründeten Christina Seehawer, Joachim John, Markus Merkel, Heinrich von Mettenheim, Wolfgang Schieber und Roderich Staudinger am 7. Dezember 1989 spontan den Partnerschaftsverein Kronberg-Ballenstedt. Wenige Wochen später, im Januar 1990, zogen die Ballenstedter nach und hoben den Partnerschaftsverein Ballenstedt-Kronberg aus der Taufe. Zur Gründungsversammlung kamen damaligen Pressemitteilungen zufolge über 550 Ballenstedter Bürger „auf den Kreml“, dem ehemaligen Gelände der ehemaligen SED-Parteischule, darunter vom Kronberger Gründungsvorstand des Partnerschaftsvereins Kronberg-Ballenstedt Joachim John und Wolfgang Schieber.

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