Die Dimension des Hitler-Attentats für die Familien der Widerständler

Berührende, sehr persönliche Einblicke in das Leben der Familien der Widerständler nach dem missglückten Stauffenberg-Attentat vom 20. Juli 1944 gewährte Friedrich-Wilhelm Hase, des hingerichteten Wehrmachtskommandanten Paul von Hase, seinen Zuhörern.

Foto: Westenberger

Kronberg (mw) – Friedrich-Wilhelm von Hase war auf Einladung des Freundeskreises der Stadtbücherei als Zeitzeuge der Schrecken des Naziregimes zu Gast in der Stadtbücherei. Sein Sachbuch „Hitlers Rache. Das Stauffenberg-Attentat und seine Rolle für die Familien der Verschwörer“, aus dem er vortrug, hat das Stauffenberg-Attentat vom 20. Juli 1944 und seine Folgen aus sehr persönlichem Blickwinkel zum Thema. Er selbst blickt aus nächster Nähe – als siebenjähriger Bub – auf die schrecklichen Geschehnisse zurück, die zur Ermordung seines Vaters, Wehrmachtskommandant Paul von Hase, führten. Umfänglich zusammengetragen hat er die Erinnerungen seiner ganzen Familie, seiner Mutter Margarethe, seiner zu dieser Zeit bereits verheirateten älteren Schwester Ina und den eben erwachsenen Geschwistern Alexander und Maria. „Ich habe ein Jahr an dem Buch gearbeitet“, berichtete er und machte klar, dass die Schwierigkeit oftmals groß ist, das Erinnern überhaupt zuzulassen und in Worte zu fassen noch größer. Die Wunden sind tief. Groß war die Auseinandersetzung mit diesem dunklen Kapitel der Geschichte, einige Eltern hatten auch ihre Kinder in die Stadtbücherei mitgebracht, denn die Gelegenheit, einen Zeitzeugen sprechen zu hören, gibt es immer seltener. Seiner Aufgabe, sein Wissen weiterzugeben und damit gegen das Vergessen zu arbeiten, ist sich Friedrich-Wilhelm Hase bewusst, der Ausdauer bewies, und möglichst alle Fragen aus dem Publikum beantwortete. Zunächst aber zeichnete er ein Bild der Geschehnisse von damals, vor allem aber der menschlichen Dimension für die Familien der am Stauffenberg-Attentat Beteiligten. Friedrich-Willhelms Vater, Paul von Hase, war seit der Fritsch-Affäre 1938 regimekritisch. „Der antikirchliche und judenfeindliche Kurs der Nazis waren für den national-konservativen Offizier, der aus einer alten Theologenfamilie stammte, nicht tolerabel“, so sein Sohn. Auch in seiner Berliner Zeit als Wehrmachtskommandant habe er sich immer wieder um Hilfesuchende und vom Regime bedrohte Menschen eingesetzt, so auch für seinen Neffen Dietrich Bonhoeffer. Nach Aussage seiner Frau, Margarethe von Hase, stand er dem Gelingen eines Staatsstreiches wohl eher skeptisch gegenüber und war an dessen konkreten Planungen nicht unmittelbar beteiligt. „Doch die Verschwörer gingen davon aus, dass sie auf seinen Vater im entscheidenden Moment würden zählen können“, erklärte Sohn Friedrich-Wilhelm von Hase seinen Zuhörern. Dennoch hatte er bei dem Attentat, das scheiterte, weil die Bombe Stauffenbergs in der Wolfschanze Hitler nicht tötete, eine Schlüsselrolle: Er verfügte über die Truppen, die das Regierungsviertel abriegeln und Minister Goebbels in seinem Amtssitz verhaften sollten. In ihren Aufzeichnungen erinnert sich Friedrich-Wilhelms Mutter, deren privaten Wohnräume neben den Diensträumen ebenfalls in der Berliner-Kommandantur lagen, dass Paul von Hase von General Olbricht mit den Worten „Es ist soweit“ angerufen wurde und daraufhin das Stichwort „Walküre“ an die ihm unterstellten Truppenteile durchgab. Es folgte ein kurze Ansprache an die Offiziere: „Der Führer ist tot, die vollziehende Gewalt geht in die Hände des Heeres über.“ Allein diese Worte sah die Gestapo später als Beweis, dass auch die Offiziere am Putsch beteiligt waren. Nachdem ihrem Mann Paul bekannt war, dass das Attentat misslungen war, versuchte Paul von Hase noch selbst Goebbels zu verhaften. Aber Margarethe von Hases Mann war, ohne es zu ahnen, mitten in die Truppen der Gegenaktion hineingefahren, wurde verhaftet und an einen ihr unbekannten Ort verschleppt. Sie sollte ihn nie wiedersehen. Margarethe selbst wurde am 1. August mit ihren Kindern Maria und Alexander von der Gestapo verhaftet. „Ich fragte, ob ich gleich erschossen würde. Diese Frage sei, so sagte man, ein Eingeständnis meiner Schuld.“ Was folgte, war Psychoterror pur. Ohne zu Wissen, was mit ihrem Mann geschehen war oder würde, kam sie im Gefängnis in den Trakt der zum Tode Verurteilten nach Berlin Moabit, wo jede Nacht Frauen zur Hinrichtung aus den Nachbarzellen abgeholt wurden. Sie und ihre Kinder wurden getrennt. „Die seelischen Qualen waren entsetzlich schwer und oft war mir, dass ich sie nicht länger ertragen könne. Ich erfuhr weder etwas über meinen Mann noch über unsere Kinder.“ Ein Pfarrer sollte ihr schließlich die letzten Grüße ihres Mannes überbringen mit dem Hinweis, dass auch sie bald vor Gott stehen sollte, doch plötzlich und unerwartet war sie, und die Kinder ebenfalls, frei. Ähnlich grausame Wochen, deren seelische Qualen sich kaum nachvollziehen lassen, erlebten ihre Kinder Maria und Alexander, und auch Ina, die als einzige nur verhört, nicht inhaftiert wurde, deren Seelenqualen um die zerstörte Familie und die Ungewissenheit nach der Hinrichtung ihres Vaters am 8. August, was das Überleben der restlichen Familie anbelangte, jedoch nicht minder gewesen sein dürften. Maria erfährt von einer Wärterin am Badetag vom Tod ihres Vaters. „Nie werde ich wohl diesen Sonnabendvormittag vergessen. Kaum bin ich oben, so muss ich zur Verwaltung gehen. Doch mir dreht sich noch alles, ich kann kaum richtig antworten. Es ist ja auch alles so belanglos geworden.“

Der siebenjährige Friedrich-Wilhelm Hase wurde mit über 40 anderen Kindern, die meisten zwischen fünf und 15 Jahren, in sogenannte „Sippenhaft“ genommen. „Damit wurde der psychologische Druck auf die noch lebenden Angehörigen erhöht“, berichtet der Zeitzeuge. Er selbst hat an diese zwei Monate auf dem Land – andere mussten mitunter viel länger bleiben – , ohne Eltern und Geschwister, keine allzu schlimmen Erinnerungen. „Aber natürlich lastete auch dort die Trennung von der Familie und die Ungewissheit schwer auf den Kindern“, sagt er. Vor allem die Größeren unter ihnen hätten diese Zeit als „sehr bedrückend“ erlebt, wie er bei einem Treffen der „Ehemaligen“ 70 Jahre später erfuhr. In großräumigen Landhäusern wurden sie auch dort oftmals von ihren Geschwistern getrennt und es wurde ihnen verboten, ihre eigentlichen Nachnamen zu nennen. „Mein Schicksalsgenosse, Nici Freytag von Loringhoven, hieß jetzt beispielsweise ,Müller‘“, erinnert sich Hase zurück, auch wenn in dessen Lederhose etwas ganz anderes eingraviert war, was er mir „mit einem gewissen Triumph vorführte“.

Friedrich-Wilhelm von Hase, aus Mannheim angereist, ließ nicht unerwähnt, dass es nach Kriegsende eine allgemeine Würdigung des Aufstandes vom 20. Juli nicht gab. Neben den Berichten der Zeitzeugen, auch weiterer, außerhalb der Familie, beschäftigt sich sein Buch mit der Einbettung in die komplexe Geschichte von damals und versucht eben damit, die Bedeutung des Widerstandes gegen das NS-Regime in der Öffentlichkeit wachzuhalten. „Ich denke, mein Vater muss einen äußerst starken Charakter gehabt haben, denn sich als Offizier gegen das Staatsoberhaupt zu erheben, erforderte ungeheuren Mut.“ Die Geschichte hätte die Deutschen nun einmal „mehr den Gehorsam und die Ordnung gelehrt, als den Freiheitsgedanken“, der in anderen Ländern viel stärker verankert sei. „Die Zivilcourage, die so wichtig ist, war nicht so sonderlich entwickelt, wohl aber der Gehorsam“, betonte er. Wäre das Attentat gelungen, hatte als erster Punkt die Schließung der Konzentrationslager erfolgen sollen. „Es ging darum, dem Morden Einhalt zu gebieten und die SS festzusetzen, um eine neue Regierung zu bilden.“ Hase selbst ist sich nicht sicher, ob es gelungen wäre, der Wehrmacht überall das Kommando zu übertragen nach dem Tode Hitlers, oder ob es womöglich einen Bürgerkrieg gegeben hätte. „Ein Chance bestand jedenfalls, denn die Mauern damals bröckelten längst.“ Zu Beginn des Krieges sei es viel machtloser gewesen, denn „alle waren so närrisch auf den Führer“, der sich selbst zu glorifizieren wusste. „Wir wissen heute jedenfalls mehr über ihn als die Menschen damals.“

Zum Abschluss der Lehrstunde über die Existenz eines „anderen Deutschlands“, dem Widerstand in dunkelster Zeit signierte Friedrich-Wilhelm Hase, der selbst in Archäologie promovierte, viele Jahre in Italien lebte und heute als Berater für internationale Ausstellungsprojekte tätig ist, bereitwillig seine Sammlung bewegender Zeitzeugnisse der Familien.



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