Kronberg (die) – Kabarett vom Allerfeinsten, das durften die Gäste der schon Tage zuvor restlos ausverkauften Kronberger Lichtspiele mit Christoph Sieber erleben. Sieber – 2015 mit dem Deutschen Kleinkunstpreis ausgezeichnet – hat in Kronberg einen kabarettistischen Rundumschlag gemacht und dabei den ohnehin überhitzten Kinosaal in einen wahren Hexenkessel verwandelt. Wer glaube, so Sieber gleich zu Beginn, er hätte Antworten auf die großen Fragen unserer Zeit nach Kronberg mitgebracht, liege falsch. Sein Ziel sei es, die Zuhörer mit mehr Fragen als vorher aus dem Kino zu schicken. Sein Humor ist zum Totlachen, aber billige Tricks benutzt er nicht. Sieber kommt vermeintlich cool daher in Jeans und Basecap, er ist wandelbar und versteht es, das Publikum durch sein Schnellsprechen und seine Lebendigkeit kaum selbst zum Atmen kommen zu lassen. Sensationell sein Auftritt etwa als schwäbelnder Bäckereiunternehmer Häberle aus Oberleiblingen („Eine Bäckerei ist heute a place to stay to buy a coffee to go“). Häberle fragt sich angesichts eines Whistleblowers aus der Backstube: „How can we make the Bäckerei Häberle great again?“ Und mit Häberles „Denglisch“ und seinem pseudomodernen Geschäftsgebaren zeigt er kritisch den Hunger unserer Nation nach neuen Begrifflichkeiten und Konzepten für eigentlich Althergebrachtes. Die Lösung seiner Frage hat nämlich Häberles alter Kollege, der die Brötchen einfach zu einem billigen Preis verkaufen will und dafür kein einziges englisches Wort braucht. Mahnende Worte und Gedanken verbergen sich hinter den nicht enden wollenden Pointen von Sieber, etwa der Ruf nach einer starken Opposition für eine (noch) Demokratie wie Deutschland „damit sie nicht zur Diktatur wird“. Harsche Kritik übt er – lustig verpackt – an unserem Konsumdenken und unserer rücksichtslosen Ausbeute der Menschen in der Dritten Welt und propagiert dafür drei Lösungsvorschläge: „Weniger Fleisch essen, weniger Pkw fahren und weniger fliegen - ist das zu konkret für Sie?“ Dinge, die die Welt nicht braucht, die nennt er beim Namen: „Heute gibt es ein 72-Stunden-Deo, früher hieß das einfach duschen!“ oder das „Zalando-Prinzip“, was darin gipfelt, dass es jetzt neuerdings Zalando-Läden gibt, wo man doch schlussendlich wie in einem herkömmlichen Laden einkauft.
Die Deutschen liegen falsch, so Sieber, wenn sie glauben, das Beste komme noch. Dieses Denken sei einer intakten Gesellschaft vorbehalten, in Deutschland, so Sieber „war das Beste schon!“ Der Glauben der Menschen an Apps und Algorithmen drohen unsere Gesellschaft an ihre Grenzen zu bringen. Algorithmen, so Sieber, würden in Zukunft nicht nur wie jetzt schon etwa bei Amazon wissen, was wir brauchen, sondern statt eines Arztes entscheiden, wer künftig einen Herzschrittmacher eingesetzt bekommt und wer nicht. Und auch die Aussage Siebers – vorgelesen aus dem Buch „Das Märchen von der Bildungsrepublik Deutschland“ – war eigentlich nur wahr und gar nicht so komisch: „Es ist symptomatisch, dass wir denen, denen wir unsere Kinder anvertrauen, weniger bezahlen als denen, denen wir unser Geld anvertrauen!“ – ein Plädoyer Siebers für die gleiche Bezahlung von Frauen und Männern. Sieber kann aber auch deftig, wenn er direkt im Anschluss einen Witz für die Chauvi-Kasse reißt: „In der katholischen Kirche dürfen die Frauen alles machen, nur nicht hinterm Altar stehen, denn der bräuchte ja dann Herdplatten!“
Politisches Kabarett – präsentiert nicht nur durch Sprechen, sondern auch in Form von Vorlesen, Gitarre spielen, Singen, Rappen – Sieber macht vor nichts halt, selbst nicht vor einem Zitat von Hölderlin Ende des 18. Jahrhunderts: „Ich kann kein Volk mir denken, das zerrissener wäre als die Deutschen.“ Das Publikum war von dem Humor und der verbalen Schlagkraft Siebers begeistert, sie haben Sieber verstanden.
„Wer werden wir in zwanzig bis dreißig Jahren gewesen sein?“ – diese Frage gibt Sieber dem Kronberger Publikum mit auf den Heimweg, „Siri wird darauf keine Antwort haben!“