Der vom deutschen Kaiser national zu verantwortende Erste Weltkrieg führte zu Millionen von Opfern. Man schätzt, dass es sich weltweit um 17 Millionen Menschen handeln könnte, die ihr Leben verloren. Darunter auch Kinder, Alte und Kranke. Matrosen, Arbeiter und Soldaten wollten gen Ende des Krieges nicht länger einer Obrigkeit gegenüber Verantwortung übernehmen, Befehle in Empfang nehmen müssen und ihre Leben und die ihrer Angehörigen gefährden und opfern, die gleichsam aus der heutigen bundesrepublikanischen Sicht in keiner Weise demokratisch legitimiert war, den Staat im Namen der Mehrheit seiner Bevölkerung zu führen und Entscheidungen für sie zu treffen. Die Novemberrevolution führte sodann das Deutsche Reich schließlich von einer konstitutionellen Monarchie in eine parlamentarisch-demokratische Republik – die sogenannte Weimarer Republik. Der deutsche Adel war bis zum Jahr 1919 eine gesellschaftlich privilegierte Bevölkerungsgruppe. Angehörige des Adels herrschten in den meisten deutschen Landstrichen oder waren zumindest maßgeblich beteiligt. Nach der Novemberrevolution der Jahre 1918 und 1919 wurden glücklicherweise und im guten demokratischen Sinn mit der Weimarer Reichsverfassung vom 11. August 1919 die „öffentlich-rechtlichen Vorrechte oder Nachteile der Geburt oder des Standes“ aufgehoben. Deutschland machte sich auf, eine Demokratie zu werden. Die Ausrufung der Weimarer Republik und die Abdankungen von Kaiser Wilhelm II. und der Bundesfürsten im November 1918 beendeten das Zeitalter der Monarchien in Deutschland. Zu diesem Zeitpunkt gehörten ungefähr 60.000 Menschen dem Adel an, gerade einmal in etwa 0,1 Prozent der Bevölkerung. Nun wurden alle Standesvorrechte des Adels ad acta gelegt und jede Bürgerin und jeder Bürger zumindest formal vor dem Gesetz gleichgestellt. Ein unerlässlich notwendiger Vorgang, um eine tatsächliche demokratische Staatsform ins Leben zu rufen respektive an deren Verwirklichung zu arbeiten. Im Grunde erhielten Frauen und Männer nun dieselben staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten, öffentlich-rechtliche Vorrechte oder Nachteile der Geburt oder des Standes wurden aufgehoben, Titel durften nur noch verliehen werden, wenn sie ein Amt oder einen Beruf bezeichneten und somit in irgendeiner Form etwas – im Gegensatz zu den meisten vorherigen Adelstiteln – geleistet wurde. Allerdings durften die bisherigen Adelsbezeichnungen als Teil des Nachnamens weiterhin verwendet, aber nicht mehr verliehen werden. Mit dem sogenannten „Adelsgesetz“ aus dem Jahr 1920 – also vor über einhundert Jahren –, dem Preußischen Gesetz über die Aufhebung der Standesvorrechte, wurde der Adel rechtlich als privilegierte gesellschaftliche Gruppierung in Deutschland abgeschafft. Und das war auch gut so. Zumindest für die Demokratinnen und Demokraten im Land.
Es stellt sich nun die Frage, warum heutzutage eine Person einen Adelstitel – zwar glücklicherweise ohne jegliche rechtliche Wirkung – im Nachnamen eingebettet trägt, wenn der Mensch hinter dem Namen und dem Titel sich zur Demokratie aus Überzeugung bekennt, in einer Demokratie lebt und deren Vorteile genießt. Der Name an sich bliebe ja dennoch in jedem Fall erhalten, auch wenn die historischen adeligen Zusätze entfielen. Es hieße dann eben nicht mehr Gräfin oder Graf von Müller-Meier, sondern eben nur Frau oder Herr Müller-Meier. Kein schlechter Tausch womöglich – sind es doch häufig genug Frau Müller-Meier und Herr Meier-Müller, die zum Erhalt der Demokratie beitragen. Und vor allem waren es Herr Müller-Meier und Frau Meier-Müller, die in erster Linie die Entstehung der Demokratie über einen langen Zeitraum seit dem Beginn der Bauernkriege im 16. Jahrhundert unter zahlreichen Opfern ermöglichten. Demokraten profitieren heutzutage von Frau Müller und Herrn Meier allenthalben. Warum trägt jemand nun einen Adelstitel im Namen? Identifizieren sich Menschen auf diese Weise mit der Geschichte der Familie, der sie nachkommen? Gehört dazu der Titel? Sind es individuelle und persönlich bisweilen emotionale Gründe? Oder doch – auch – andere? Nun ist der Umgang mit Adelstiteln in Deutschland mittlerweile vielseitig und häufiger auch „ein buntes Treiben“. Gewiss ist der „Namensadel“ selbst auch keine homogene Gruppe. Auch hier gibt es unbestritten eine Reihe von verantwortungsbewussten und engagierten Demokraten, die diese Staatsform schätzen, leben und verteidigen. Es tummeln sich dennoch gleichzeitig allerlei Menschen in diesem Bereich, der auch hinreichend Klatsch, Tratsch, Voyeurismus und anderes bedient. Vielen aus diesem Segment geht es um persönliche Geltungsbedürfnisse und den eigenen Hang, „etwas Besonderes“ zumindest sein zu wollen. Womöglich könnte gleichzeitig auch einer der Gründe sein, warum Adelstitel in einer Bundesrepublik Deutschland noch existieren, dass Adelsfamilien die wie auch immer zustande gekommenen und ererbten Vermögen – wenn denn vorhanden – auch nach der Novemberrevolution und dem Beginn der ersten Demokratie in Deutschland behalten durften. Wie nun jeder halbwegs gedanklich geradeaus denkende Mensch in seinem Leben begreifen musste, spielt Geld keine ganz unwesentliche Rolle bei der Einflussnahme im Leben. Der Adelstitel, nach wie vor ein möglicher „Türöffner“ in kleinen Teilen einer an sich großen demokratischen Gesellschaft, die dieses Thema nicht einmal nur ansatzweise tangiert?
Markus Göllner („Meier-Müller“)