Maestro Christoph Eschenbach probt mit 23 Alumni Richard Strauss

Maestro Christoph Eschenbach bei der Probe zu Richard Strauß’ Metamorphosen mit 23 Streichern – eine Glanzleistung der Alumni der Kronberg Academy, herausragend Christel Lee, erste Geige, und Miriam Helms Alien, zweite Geige, die kurz vorher ihr Examenskonzert bestanden hatte. Foto: Patricia Truchsess

Kronberg (aks) – Die Welt des Richard Strauss fiel zum Ende des Zweiten Weltkriegs in Schutt und Asche. Seine Wirkungsstätten, darunter das brennende Dresden, waren Ruinen. Der Komponist war enttäuscht und resigniert, dass nichts, auch nicht die Musik, die Barbarei hatte verhindern können. In seinem ergreifenden Alterswerk „Metamorphosen für 23 Solostreicher“, bringt er seine Trauer mit den Mitteln der Musik zum Ausdruck.

Zu dieser Zeit, im April 1945, war Christoph Eschenbach erst fünf Jahre alt und Opfer von Flucht und Krieg. In seinen frühen Schicksalsjahren hatte er beide Eltern und die geliebte Großmutter verloren.

Christoph Eschenbach, heute fast so alt wie Richard Strauss 1945, der auf eine bewegende Karriere als Pianist und Dirigent weltweit zurückblicken kann, ist eine elegante Erscheinung ganz in Schwarz gekleidet. Man spürt die Aufregung, als er den Probenraum in der Stadthalle betritt, schließlich ist es für die Alumni der Kronberg Academy eine große Ehre für den berühmten Maestro zu spielen. Seine Gesten sind grazil und seine Befehle leise. Er wirkt fast wie verklärt, wäre da nicht die spürbare Verbundenheit mit den Schülern.

Seiner hellsichtigen Aufmerksamkeit entgeht nichts und seine scharfsichtige und präzise Interpretation dieses gewaltigen Strauss-Opus, in dem Beethovens „Eroica“ thematisiert und „verwandelt“ wird, spornt die jungen Musiker zu Höchstleistungen an. Strauß’ Metamorphosen sind eine Herausforderung für Dirigent und Streicher, denn die einzelnen Dialoge zwischen den Instrumenten sind subtil verhalten und dann wieder klanggewaltig – apokalyptisch ohrenbetäubend.

Das Stück muss nach nur wenigen Proben für das Alumni-Konzert am Sonntagabend im Rathaus sitzen. Als erste Handlung sollen alle aufstehen und die Stühle bei Seite räumen, nur die Cellisten dürfen sitzen bleiben. Er möchte, dass jeder mit jedem Blickkontakt hat. Eschenbach wirkt freundlich, wie er sich vor die jungen Musiker stellt, Alumni der Kronberg Academy, die alle zwischen 20 und 27 Jahre alt und von überall her nach Kronberg gereist sind. Mit ihm am Pult gibt es keine Gefühlsausbrüche, er wird nie laut, höchstens ein leises Lächeln huscht über sein Gesicht und zeigt wie zufrieden er mit der Leistung seiner Schüler ist.

Schon mit den ersten Klängen kann man sich der schmeichelnden Melancholie von Strauss leidenschaftlichem Klagegesang nicht entziehen. Das schillernde Crescendo der 23 Streicher geht bis an die Schmerzgrenzen. Welch verzweifelte Klage und welch süßer Schmerz! Strauss‘ Trauer wird hörbar im besinnungslosen Aufheulen der Violinen, Violas, Celli und Kontrabässe. Trost sucht man in dieser Musik vergebens. Sie ist wie ein Weckruf, ein schriller Alarm, der vor neuen Tragödien der Menschheit warnt. Auch wenn die Musik Kriege nicht verhindern kann, ist sie doch die Grundlage für Menschlichkeit und für emotionale Verbundenheit.

Eschenbach nimmt die Nachwuchstalente mit einladenden Gesten immer weiter hinein in die Musik. Es gibt kein Entrinnen, bis in die Fußspitzen strahlt die Spannung aus. Der Dirigent wendet sich vor allem der ersten Geige zu, Christel Lee aus USA, die schier Unglaubliches meistert, an ihrer Seite Miriam Helms Alien aus Norwegen, die noch vor wenigen Stunden als Solistin ihr Examenskonzert erfolgreich absolviert hatte und sich nun nahtlos einreiht in das Ensemble der Streicher. Die Probe ist nach einer halben Stunde erst einmal beendet und Eschenbach klatscht Beifall „Bravi, bravi!“ Dann lässt er einzelne Passagen wiederholen, die Zäsuren sind wichtig: „You need to finish together!“ Der Energiefluss und die Konzentration brechen nie ab, da ist Eschenbach ein wahrer Meister, der sich der Jugend verbunden fühlt.



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