Spitzenkandidat Christian Lindner warb für FDP-Positionen

Christian Lindner Foto: S. Puck

Kronberg (pu) – Zweieinhalb Wochen vor der Bundestagswahl und viereinhalb Monate vor der am 28. Januar nächsten Jahres anstehenden Landratswahl im Hochtaunuskreis luden die hiesigen Liberalen dieser Tage zur prominent besetzten Open-Air-Veranstaltung auf dem Berliner Platz ein.

Die in der Vorankündigung proklamierte Beteuerung „Wir haben viele gute und engagierte Kandidaten und sind weit weg von der One-Man-Show“ war für diesen einen Abend kurzerhand zu einem gewissen Teil außer Kraft gesetzt worden. Geschuldet war dies Hauptredner Christian Lindner. Dem seit Dezember 2013 amtierenden Bundesvorsitzenden, der es in den letzten Monaten erstmals in die Top Ten der wichtigsten Politiker schaffte, bereiteten die Generalsekretärin der FDP Hessen und Kreisvorsitzende der FDP Main-Taunus, Bettina Stark-Watzinger, der Landesvorsitzende der FDP Hessen und Wahlkreiskandidat des Hochtaunuskreises, Dr. Stefan Ruppert sowie Holger Grupe, der Vorsitzende des FDP-Ortsverbands Kronberg und Landrats-Kandidat als selbsternannte „Vorgruppe“ nur allzugern die Bühne. Mit 45-minütiger Verspätung stürmte der von einer anderen Wahlkampfveranstaltung kommende und als liberale Lichtgestalt geltende Politiker schließlich auf das Podium.

Kurz verschnaufend, den rosa Schlips mit den Worten „damit Sie mich auch erkennen“ ablegend, spielte er charmant lässig auf die mit seiner Person verbundenen unkonventionellen Wahlspots und Plakatwerbung an und war prompt und mühelos der Aufmerksamkeit der zirka 500 Versammelten gewiss.

Nach vorheriger Aussage Bettina Stark-Watzingers hat die Partei die Zeit nach der verheerenden Wahlschlappe 2013 genutzt, als die Liberalen nach der „roten Karte durch die Wähler“ mit 4,8 Prozent der abgegebenen Stimmen zum ersten Mal seit der Gründung der Bundesrepublik den Sprung ins Parlament verpassten. „Wir haben uns vergewissert, wofür wir stehen und welches Bild wir von den Bürgern haben!“ Mit dem 38-jährigen Spitzenkandidaten, der für eine Polit-Generation steht, die explizit auch junge Wähler für politische Themen begeistern will, sieht man sich perfekt aufgestellt und für eine Rückkehr in den Bundestag gerüstet.

Dessen Erkenntnisse zum zwei Tage vorher stattgefundenen „TV-Duett“ zwischen Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und ihrem sozialdemokratischen Herausforderer Martin Schulz waren rasch auf einen Nenner gebracht: „Es ist doch absurd, wenn so wichtige Schlagworte wie ‚Bildung‘ und ‚Digitalisierung‘ einzig in Merkels Schlusswort eine nebensächliche Rolle spielten. Ein Weitermachen wie bisher samt dem damit verbundenen Verlieren weiterer Zeit bei so zentralen Fragen kann sich unser Land nicht länger leisten“, strich Lindner die seiner Meinung nach eigentliche Sonntags-Botschaft heraus.

Gemäß der Prämisse, die Lust darauf, etwas verändern zu wollen, „holen Sie sich doch nicht aus Wahlprogrammen, sondern sie wählen eine Haltung und Prioritätensetzung“ nahm er anschließend an Fahrt auf, um eine Reihe dringender Probleme aufzuzeigen, die zeitnaher Lösungen bedürfen.

Haftung und Kodex ehrbarer Kaufmann

Stichwort Diesel-Gipfel. „Es kann kein Zweifel darüber bestehen, die Hersteller müssen Zugesagtes einhalten, sprich die Autos auf eigene Kosten umrüsten – da geht es um Haftung und den Kodex des ehrlichen Kaufmanns und zur Not erhalten die Aktionäre eben keine Dividende!“ Er habe den Eindruck gewonnen, man mache systematisch eine weitere Branche kaputt.

Bei einer kürzlichen Talkrunde bei Anne Will mit Oppermann (SPD), Kauder (CDU) und Weidel (AfD) wäre ihm „Angst und Bange geworden“. „Das sprachen zwei Juristen und ein Ökonom über Stickoxid-Werte und meines Erachtens wusste keiner, wovon er spricht!“ Politische Gesetze könne man ändern, physikalische bekanntlich dagegen nicht. Lindner plädierte mit Nachdruck für eine Entflechtung von Politik und Wirtschaft, damit der Staat seiner eigentlichen Aufgabe als Schiedsrichter wieder angemessen nachkommen könne.

Mut, Entschlossenheit und Konsequenz bei gleichzeitiger Gesprächsbereitschaft forderte er in Bezug auf das Türkei-Problem. „Die einzige Sprache, die Erdogan versteht, ist Härte!“ Gleiches gelte in Sachen Krim, deren Anektierung er als völkerrechtswidrigen Akt bezeichnet. Dennoch könne es nicht angehen, dass Putin nicht mehr zum G8-Gipfel geladen werde. „Sieben gute Nationen unterhalten sich über die böse Achte, statt miteinander zu reden!“

Einstimmiger Tenor von Lindner, Stark-Watzinger und Ruppert am großen Wahlkampfabend zu den Themen „Bildung“ und „Digitalisierung“: Zur Zukunftssicherung der Bundesrepublik Deutschland setzen die Liberalen auf mündige Bürger. Zu den dazu erforderlichsten Grundlagen zähle eine gute Bildung. Die erbärmliche Bildungspolitik der aktuellen Regierung sei unter anderem an mangelhafter Unterrichtsgarantie und miserablen Gebäudezustand von Kindertagesstätten und Schulen ablesbar. Der Spitzenkandidat gab dazu ein anschauliches Beispiel: „An der Uni Erlangen kam kürzlich nachts in einem Dozentenraum die Decke herunter – das muss man sich einmal vor Augen halten!“ Dass die Digitalisierung sich vor allem auf dem Schulhof statt im Unterricht abspiele – ebenfalls ein unhaltbarer Zustand.

Zu den unterschiedlichen Aspekten einer besseren sozialen Gerechtigkeit zählten neben einer optimierten Bildung und forcierten Digitalisierung unter anderem durchdachtere Lösungen für Steuer, Einkommen und Rente. „Es kann doch nicht angehen, dass Menschen, wenn sie mehr und härter arbeiten unter bestimmten Bedingungen weniger Netto haben!“ Kurz streifte Lindner noch das Flüchtlingsthema und erklärte dazu, Menschen in großer Not müssten selbstverständlich aufgenommen werden, im Prinzip jedoch, sobald wieder Frieden im Heimatland herrsche, zum Wiederaufbau zurückgehen.

Trotz Zeitdruck wegen einer noch anschließenden weiteren Veranstaltung nahm sich der FDP-Spitzenkandidat im Anschluss an seine Ausführungen noch Zeit, der großen Nachfrage nach Selfies und Autogrammen in Gänze nachzukommen. Dazu wurde sogar das eine oder anderen FDP-Plakat gemopst, doch darüber sahen die Kronberger FDP-Mitglieder milde hinweg, ihnen war Stolz und Freude ins Gesicht geschrieben, weil es ihnen gelungen war, einen solchen Hochkaräter im Wahlkampf zu Gast aufbieten zu können.



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