Kronberg (aks) – Shakespeares Spätwerk entfachte mit einer ziemlich jungen Truppe der American Drama Group Europe und TNT theatre Britain im neu renovierten Wappensaal ein Feuer der Begeisterung. Auf der spärlichen Bühne, die wie zu Shakespeares Zeiten vor 400 Jahren nur aus einem Holzblock bestand, geht es gleich am Anfang um Leben und Tod. Das Geschrei der Seeleute ist verzweifelt. Das Schiff des Königs von Neapel erleidet im Sturm Schiffbruch und sinkt – auch für den König von Neapel und seinen Sohn, ihre Getreuen und die Mannschaft scheint es keine Rettung zu geben.
Cut! In einer paradiesisch anmutenden Szenerie gesteht Prospero, der wegen seiner Zauberkräfte als König von Mailand fliehen musste und nun seit zwölf Jahren Herrscher auf einer einsamen Insel ist, seiner wunderschönen Tochter Miranda, die bisher in „splendid isolation“ aufgewachsen ist, dass er aus Rache den Sturm gerufen hat, um das Schiff zu zerstören. Sie erfleht Hilfe von ihm und so rettet er die Schiffbrüchigen, die ihm auf seiner Insel zunächst ausgeliefert sind. Prospero, der Souverän, ebenso rachelustig und sarkastisch wie lebensweise gespielt von Mark Prince aus Ontario, ist der Herrscher einer Welt des Zaubers, der Träume und der Illusionen. Ihm zu Diensten ist der Geist Ariel, den er einst aus einem Baumwipfel befreite. Dessen irdischer Konterpart heißt Caliban, mehr Biest als menschliches Wesen, jähzornig und voll triefendem Hass und dumpfer Mimik – großartig gespielt von Glyn Conop. „You taught me your language – the red plague should kill you!“ Seine Figur steht für die groben Triebe des Menschen, die Prospero verachtet und straft. Ariel, eine federleichte Lichtgestalt, die jeden Raum erhellt und die Menschen verzaubert, ist dem Meister Prospero gottergeben – hinreißend und engelsgleich verkörpert von Rachel Middle aus London, die in schnellem Wechsel ebenso die schöne tugendhafte Miranda spielt, die in einer Traumwelt lebt und sich unsterblich in den Prinzen Ferdinand verliebt. Er ist ja auch der einzige Mann, dem sie außer ihrem Vater und Caliban bisher begegnet ist: „The three men I saw – the first I sigh for“. Im Grunde seines Herzens wohlwollend, doch mit gewisser Ironie und Abgeklärtheit des Alters verfolgt Prospero die Triebe der jungen Liebe. „It works!“ feixt er, greift dennoch ein und droht dem jungen Mann mit Gewalt, wenn dieser seine Tochter nicht ehrt – „and to talk to her – she is thy now“.
Michael Armstrong spielt den würdevollen, liebestollen Adligen ebenso überzeugend wie Trinculo, einen kruden Gesellen. Sein Kampf mit einem roten Regenschirm, ein Teufelsding, das er nicht kennt, lockert die Stimmung im Publikum, das andächtig und konzentriert dem Shakespeare-Englisch lauscht, um kein berühmtes Zitat zu verpassen. Wie sein Kompagnon, der Kellermeister Stephano (Gareth Fordred spielt auch den Adligen Antonio, der damals seinen Bruder vom Thron stieß), strebt er nach Macht – und Schnaps. Die Slapstick-Einlagen in breitestem Cockney der beiden bösen – eher ignoranten – Buben, die es sich gut gehen lassen wollen, von schönen Kleidern träumen und dabei listig von Prospero getäuscht werden, sind urkomisch. Am Ende sind sie fast nackt, wähnen sich aber in prunkvollen Gewändern und stolzieren durch den Saal. Die überwiegend jungen Zuschauer im ausverkauften Saal, Schüler der Stufe 11 u.a. aus Wiesbaden und Bad Nauheim, brechen in wildes Lachen aus. Schauspieler in Unterhosen? Das hatten sie sich sicher nicht so vorgestellt.
Caliban schließt sich den beiden Nichtsnutzen an, koste es was es wolle. Moral kennt er nicht, also begnügt er sich mit allen anderen irdischen Genüssen. Dass ihn alle „Monster „nennen, stinkendes Monster sogar, das ficht ihn nicht an, er genießt die Aufmerksamkeit, die Gemeinschaft und viel Schnaps, was zu einem unbändigen lautstarken Saufgelage ausartet. Shakespeare liebte Clowneinlagen und derbe Szenen, um die Unterschichten, die in seinem Theater nur Stehplätze im unteren Bereich hatten, die „groundlings“, zu amüsieren und den Adligen in den Logen den Spiegel vorzuhalten.
Prosperos Akt der Gnade, „forgiveness“ als höchste menschliche Tat, obwohl ihn auch durchaus die Rache antreibt, ist ein Akt der Freiheit. „The rare action is in forgiving“. Er durchschaut als Gelehrter die Menschen und ihre Intrigen, ebenso wie ihre Boshaftigkeiten, aber er verzeiht ihnen. Prospero muss den „Spuk“ beenden, wenn er seiner Tochter zuliebe in die reale Welt zurück kehren will. Er muss seine verzauberte Tochter ebenso frei lassen wie seinen geliebten Ariel, der ihm stets zu Diensten ist. Zu seiner Großherzigkeit gehört auch, dass er, der Exil-Mailänder, den König von Neapel und seine Getreuen auf seiner Insel willkommen heißt. Die Unstimmigkeiten sollen für immer begraben sein. Dies endet in einem harmonischen Bild mit Fernando und Miranda und ihrem Kind der Liebe, das in der Zukunft Neapel und Mailand einen wird. Dies geschieht aus der Einsicht, dass er, Prospero, kein guter Herrscher in Mailand war – zu sehr war er mit dem Zauber der Bücher beschäftigt. So übergibt er symbolisch sein Zauberbuch den Flammen, in der Hoffnung, Frieden in einer Welt zu finden, die nicht wirklich real ist, sondern „der Stoff aus dem die Träume sind“. Alles ist Illusion und Traum, nur der Tod ist wirklich, er beendet alles. Die Entzauberung, die Prospero herbeiführt, erinnert auch an die Vertreibung aus dem Paradies, das es so nicht mehr gibt: Plötzlich werden sich Antonio und Trinculo ihrer Nacktheit und dummen Eitelkeit bewusst – welche Scham! Prospero bittet in einem finalen Monolog, der an die Zuschauer gerichtet ist, um Vergebung und Nachsicht, die ihn befreien soll – und um Applaus, der „seine Segel“ füllen wird. Prospero als Shakespeares Alter-Ego, hier spricht der Theatermacher, der mit einem schönen Traumstück unterhalten wollte („Project..., which was to please“). Das ist an diesem Vormittag perfekt gelungen und der Applaus überschwenglich. Schüler, Lehrer, junge und alte Shakespeare Fans von nah und fern erlebten eine mitreißende Aufführung, in der das Stück aus dem 17. Jahrhundert in kunstvollem historischen Englisch durch die lebendigen Figuren, ein subtiles Spiel und Themen wie Liebe und Vergebung zu neuem Leben erweckt wurde – die meisten Handys blieben für fast zwei Stunden in der Tasche!