Kronberg (pf) – Zwischen Euphrat und Tigris liegt die Wiege der Kultur. Syrien ist ein Land voller Kunstschätze und zehntausendjähriger Geschichte, in dem Perser und Ägypter, Griechen und Römer, Kreuzritter, Mongolen und Osmanen ihre Spuren hinterlassen haben. Über dieses „Land unter dem Halbmond“, wie es früher genannt wurde und das sich damals von der Küste des Mittelmeers bis weit in den heutigen Irak und Iran erstreckte, berichtete Montagabend beim Schönberger Forum der aus Aleppo stammende und seit vielen Jahren in Kronberg lebende Volkswirt Dr. Talaat Said.
Sein Vortrag war viel mehr als ein Reisebericht. Anhand von Karten und Dias, die er vor einigen Jahren bei einer Gruppenreise nach Syrien aufnahm, bei der er als Reiseleiter fungierte und an der auch eine Reihe von Kronbergern teilnahmen, ließ er ein Land und eine Region lebendig werden, in der es fruchtbare Gebiete und unfruchtbare Wüstenstriche gibt, geschichtsträchtige Metropolen mit prächtigen Moscheen und sogenannte „tote Städte“ voller Baudenkmäler aus der Zeit vor mehr als 2.000 Jahren. Er zeigte Bilder von den Straßen, die seinerzeit die Römer anlegten, auf denen man noch heute laufen kann, und Amphitheater, die es in dieser Größe nirgendwo sonst auf der Welt gibt.
Dort wurde vor tausenden von Jahren, wie Ausgrabungen beweisen, die Keilschrift erfunden und später das Alphabet, die arabischen Zahlen und die Ziffer. Das ist nämlich die Bezeichnung für Null, die das Rechnen erst ermöglicht, erklärte Dr. Said. Dort trafen sich die aus dem Süden kommende Weihrauchstraße und die aus dem Osten kommende Seidenstraße und machten das Land und die Städte, die an ihnen lagen durch Zölle, die sie von den reisenden Händlern einnahmen, reich und mächtig.
Es war ein tolerantes Land, in dem viele ethnische Gruppen und Religionen friedlich miteinander lebten, wo Kurden und Armenier mit offenen Armen aufgenommen wurden, als man sie aus ihren Ländern vertrieb, und wo neben Arabisch noch heute viele unterschiedliche Sprachen gesprochen werden, unter anderem auch Aramäisch, die Sprache von Jesus Christus. Die meisten Bewohner sind Muslime, aber es gibt auch Juden und Christen. Sie machten 10 bis 15 Prozent der Bevölkerung aus, erzählte Dr. Said, und sie gehörten zu zwölf verschiedenen christlichen Kirchen. Muslime, Juden und Christen lebten friedlich als Nachbarn nebeneinander und feierten gemeinsam ihre Feste.
Die heutigen Grenzen wurden erst 1918 willkürlich mit dem Lineal auf der Landkarte gezogen, als Engländer und Franzosen die Region unter sich aufteilten. Der Libanon, Palästina, Jordanien und der Irak fiel den Engländern zu, Syrien bekamen die Franzosen. Erst 1946 wurde das Land unabhängig, berichtete Dr. Said. Syrien hatte zunächst eine demokratische Regierung bis das Militär putschte und die Macht an sich riss. Als der heutige Diktator Baschar al-Assad von seinem Vater Hafiz al-Assad die Regierung übernahm, sei er zunächst vom Volk begeistert empfangen worden, hatte er doch in England studiert. Aber Pressefreiheit und andere demokratische Rechte, die er zunächst einführte, habe er sehr rasch wieder abgeschafft, denn die alten Machthaber wollten ihre Privilegien, die sie unter seinem Vater genossen hatten, nicht aufgeben.
Der schreckliche Bürgerkrieg, der heute das Land verwüstet und bereits zahlreiche Kulturschätze und Denkmäler unwiederbringlich zerstört und vernichtet hat, nahm seinen Ursprung, als in Tunesien, Libyen und Ägypten die Menschen gegen die Diktatoren demonstrierten und damit Erfolg hatten. Damals seien auch in Syrien junge Menschen auf die Straße gegangen und hätten friedlich für Freiheit, Demokratie und Arbeitsplätze demonstriert, erzählte der Referent. Mit ihnen sei auch der amerikanische Botschafter marschiert, sodass sie geglaubt hätten, Amerika sei auf ihrer Seite. Doch Assad ließ auf die Demonstranten schießen, ließ sie verhaften und ins Gefängnis werfen. Dann habe sich der Iran eingemischt, deren Rivale Saudi Arabien und die Türkei.
Die Amerikaner und Assad, sagte Dr. Said, hätten die Kämpfer für den Islamischen Staat, die heute so viel Schrecken verbreiten, selbst ins Land gerufen. Viele seien als Terroristen im Gefängnis gewesen, aber entlassen und bewaffnet worden, um auf Seiten des Diktators gegen die Befreiungsarmee zu kämpfen. Es gehe in diesem Krieg um Geld, militärische Macht und Öl. „Und die USA spielen ihre ganz eigenen Spiele“, meinte der Referent.
Inzwischen seien große Teile des Landes zerstört, die Städte bombardiert, zigtausend Menschen getötet und etwa zehn Millionen Menschen auf der Flucht. Viele der Flüchtlinge, die in letzter Zeit nach Kronberg gekommen sind, stammen aus Syrien. Dass sie hier mit so viel Hilfsbereitschaft empfangen wurden, dafür bedankte sich Dr. Said ausdrücklich und meinte, Kronberg könne ein positives Beispiel für ganz Deutschland sein.
Einige der syrischen Flüchtlinge hatten typische Vorspeisen aus ihrer Heimat zubereitet, die nach dem Vortrag zusammen mit einem Glas Wein angeboten wurden und die allen ausgesprochen gut schmeckten. Ein anderer Syrer, Ferhad Chikhi, der am 1. Dezember 2014 als Flüchtling nach Kronberg kam, hatte sein Musikinstrument mitgebracht und umrahmte den Vortrag von Dr. Said mit Musik aus seiner Heimat.
Der Abend war ein gelungener Auftakt der im Rahmen des Schönberger Forums geplanten Vortragsreihe über die Heimatländer der in Kronberg lebenden Flüchtlinge.