„Vergiss die Säge nicht!“ Etwas Dümmeres hätte man(n) mir nicht zurufen können. Die Säge, ein unverzichtbares Utensil beim Tannenbaumschlagen. „Eigentlich Männersache!“ rufe ich zurück und steige ins Auto.
Auf dem Dalles in Oberhöchstadt warten sie schon, unsere lieben Mitstreiter: Günter, Karlheinz, Hans, Norbert, Frank, Traudel, Karin, Doris, Anne. Wie jedes Jahr geht es in Richtung Treisberg, wo sich die schon seit Jahren geplünderte, weitläufige Schonung befindet. Es wird wohl das letzte Mal sein, denn die neu gepflanzten sind noch in der Wachstumsphase.
Es schneit, aber die Straßen sind frei. Am Parkplatz, auf der Höhe angekommen, lassen wir uns dick eingemummt, zunächst Günters Glühwein schmecken. Dann stiefelt jeder in eine andere Richtung zu den begehrten Edeltannen.
Die sind in einen dicken, weißen Mantel aus Schnee gehüllt und daher fast unkenntlich. Erst durch intensives Abklopfen kommt der Baum zutage und dann verwandelt sich so mancher Gutaussehende in eine mickrige Gestalt. Umso länger das Suchen, aber auch eine Riesengaudi, wenn die Schneemassen mal wieder einen von uns begraben.
Da vorne, endlich, das scheint der Richtige zu sein. Ein wunderschöner Baum, gerade gewachsen, ohne Tadel. Heinz sägt ihn ab und schleppt ihn zum Eingang, wo er vermessen wird. Unsere Freunde sind auch schon eingetrudelt und wir vergleichen. Klar, der Unsrige ist wieder mal der Schönste. Stolz schaue ich meinen Mann an. „Haben wir gut gemacht“, soll der Blick heißen. Die andern geben es neidlos zu. Nun aber die Tannen bezahlen, aufs Autodach und ab in die Landsteiner Mühle. Das ist schon Tradition. Schon Wochen vorher wurde unterm Dach das Hexenstübchen für uns reserviert. In der gemütlichen Stube steht ein Klavier und das ist wichtig. Nun beginnt der vorweihnachtliche Teil unseres Ausflugs.
Ein vorzügliches Essen wird serviert. Danach setzt Frank sich ans Klavier. Ich wundere mich jedes Mal, wie schön wir noch die Weihnachtslieder singen können, wenn auch nur die erste Strophe. Es werden Geschichten erzählt und Gedichte vorgetragen. Es ist ein rundherum wunderschöner 4. Adventssonntag. Nach dem letzten Espresso brechen wir auf.
Die gute Laune findet jäh ein Ende als wir am Auto die Bescherung sehen. Unser sorgfältig ausgesuchter Christbaum ist weg. Einfach weg. Stattdessen befindet sich ein Baumstumpf auf dem Autodach. Die schöne Tanne hat jemand in der Zwischenzeit niederträchtig abgesägt und gestohlen. Wäre es nicht so traurig, man hätte noch darüber lachen können. Nun aber stehen wir da. Ohne Baum. Die Freunde trösten uns: „Ärgert euch nicht, wir holen einen anderen“. Aber nein, warum denn? Dafür haben wir zu lange nach dem Geeigneten gesucht und außerdem, nochmal bezahlen? Nein! Zorn steigt in mir auf.
Wer tut so etwas? Zu faul sich einen eigenen zu suchen. Norbert und Günter trösten uns. „Wir legen zusammen und kaufen in Oberhöchstadt einen Neuen“. Traurig steigen wir ins Auto, dabei registriere ich verärgert ein Lächeln auf manchen Gesichtern der Freunde. Ist es Schadenfreude?
In Kronberg lädt Karlheinz uns noch zu einem Kaffee ein.
Norbert und Hans drucksen herum und rücken endlich mit der Wahrheit heraus.
Die beiden hatten sich einen Scherz erlaubt und unsere Tanne mit einem Baumstumpf ausgetauscht. Wahrscheinlich hat sie mein triumphierendes Lächeln beim Vergleich der Tannen dazu animiert, denke ich. Aber nein. Der Stumpf… sie müssen es bereits vorher geplant haben.
Wir machen gute Miene zum bösen Spiel, doch insgeheim sinne ich auf Rache.
Beim Umladen der Tanne, nehmen wir auch den Stumpf in Gewahrsam und dabei kommt mir blitzartig eine Idee. Am nächsten Tag besorge ich mir im Kaufhaus einen großen Karton, packe den Baumstumpf hinein, beklebe das Riesenpaket mit bunten weihnachtlichen Motiven und gebe das Christkind als Absender an. „Erst zu Weihnachten öffnen! Überraschung!“ schreibe ich in großen Lettern darauf.
Von der Wirkung brauche ich wohl nicht zu berichten.Unserer Freundschaft hat es aber keinen Abbruch getan.
Gerti Kurth
Schreibstube Kronberg