Kronberger Geschichtssplitter
Fritz Stiebel
Kronberg (war) – Von der einstigen Villa Stiebel ist heute nicht mehr viel zu sehen. Sie befindet sich in der Hainstraße 10 und wurde vor ein paar Jahren wenig behutsam überbaut und dadurch in ihrem Äußeren stark verändert, womöglich nicht zu ihrem ästhetischen Vorteil. Das ursprüngliche Haus erwarb der Arzt Fritz Stiebel aus Frankfurt am Main im Jahr 1888, wie dem umfassenden Artikel Sabine Hocks im Frankfurter Personenlexikon zu entnehmen ist. Stiebel war es, der als Schwiegersohn von Jacques Reiss dessen Villa Schönbusch im Jahr 1888 an Kaiserin Friedrich verkaufte. Der Frankfurter Bankier und Geschäftsmann Jacques Reiss, seit dem Jahr 1864 Ehrenbürger von Kronberg, hatte sich seinen von einem weiträumigen Gelände umgebenen Ansitz ab dem Jahr 1864 vor den Toren der Stadt im Neorenaissancestil erbauen lassen. Nach seinem Tod im Jahr 1887 boten die Erben unter Verhandlungsführung von Fritz Stiebel, dem die Nachlassverwaltung oblag, das Objekt zum Verkauf an. Vermutlich war der Erbengemeinschaft der weitere Unterhalt des Anwesens zu kostspielig. Kaiserin Friedrich erwarb die Villa jedoch nicht direkt, sondern über ihren Generalbevollmächtigten Ludwig von Ompteda. Es liegt nahe, dass die Monarchin nicht als direkte Käuferin agieren wollte, um so über Ompteda als „Strohmann“ einen günstigeren Kaufpreis mit Stiebel aushandeln zu können. Aus dem Erlös des Verkaufs konnte dieser dann das bereits erwähnte Haus in der Hainstraße erwerben, um es im Jahr 1897 mit dem Nachbargrundstück zu erweitern. Friedrich Julius Stiebel, in der Familie kurz Fritz genannt, kam vor 200 Jahren am 1. Juli 1824 in Frankfurt am Main zur Welt. Sein Vater war der in Frankfurt bekannte Herzoglich Nassauische Geheime Hofrat und Arzt Salomon Friedrich Stiebel. Der Familienname rührt von dem „Stiefel“ her, der einst vor ihrem Stammhaus im Frankfurter Judenghetto hing. Das weist darauf hin, dass die Vorfahren, um das Jahr 1560 aus dem Schwäbischen an den Main gelangt, wohl einst den Beruf der Stiefelhändler oder Schuster ausübten. Fritz wurde laut Hock im November 1826 christlich getauft. Die Eltern konvertierten im Jahr 1828 ebenfalls vom jüdischen zum christlichen Glauben. Nach seiner Gymnasialzeit in Nürnberg startete Stiebel im Jahr 1842 mit dem Medizinstudium in Göttingen, um später nach Heidelberg zu wechseln und dort 1847 zu promovieren. Nach Frankfurt zurückgekehrt, betätigte er sich als Kinderarzt, Geburtshelfer und Chirurg. Ab November 1848 betreute er den Winter über den an Asthma leidenden Kaufmann und nassauischen Kommerzienrat Enoch Reiss, seit dem Jahr 1867 Ehrenbürger von Soden, ärztlich auf dessen mehrmonatigen Reise nach Italien und Malta. Im Jahr 1853 heiratete Stiebel schließlich mit Marie Reiss eine Tochter von Jacques und Nichte von Enoch Reiss. Ab 1850 praktizierte er als Assistenzarzt am Dr. Christschen Kinderhospital in Frankfurt. Dieses Krankenhaus für bedürftige Kinder war von dem Arzt Theobald Christ testamentarisch gestiftet und anfangs von Salomon F. Stiebel geleitet worden. Fritz Stiebel übernahm 1853 dessen Leitung von seinem Vater. Die Klinik erwarb sich unter den beiden Stiebels im Laufe der Zeit einen exzellenten Ruf weit über die Grenzen Frankfurts hinaus. Jacques Reiss unterstütze das Spital ebenfalls finanziell sehr großzügig. Nicht zuletzt durch ihre häufigen Aufenthalte in Italien interessierte sich das Ehepaar Stiebel sehr für die Künste. So stand Stiebel schon bald mit vielen Kronberger Malern in engem Kontakt. Er selbst hatte Zeichenunterricht genommen und malte entsprechend gerne, insbesondere auf seinen Reisen. Eine Zeit lang war er zudem Vorsitzender des Frankfurter Kunstvereins sowie Mitglied der hiesigen Künstlergesellschaft und des Städelschen Museumsvereins seit dessen Gründung im Jahr 1899. Dem Städel vermachte er zwei Werke des Malers Victor Müller, die sein Schwiegervater eigens für die Villa Schönbusch in den Jahren 1866/67 von dem Künstler in München hatte erstellen lassen. Es handelt sich dabei um „Ritter Hartmut von Cronberg nimmt Abschied von seiner Familie“ sowie „Ritter Hartmut von Cronberg im Gespräch mit Oecolampadus in Basel“. Auf Stiebels Veranlassung ließ Jacques Reiss wohl auch die Bronzestatue „Ritter Hartmut“ von dem seiner Zeit renommierten Bilderhauer Eduard Schmidt von der Launitz formen und gießen. Die Figur stand anfangs in einer Außennische der Villa Schönbusch und befindet sich heute etwas verloren auf einem Treppenabsatz oberhalb des Berliner Platzes. Aber auch Stiebel selbst förderte immer wieder Künstler finanziell. So gab er bei Anton Burger das Gemälde „Begegnung im Wald“ in Auftrag. In ihrem Aufsatz weist Hock explizit auf die Kunstsinnigkeit im Haus Stiebel hin: „Im Saal des Hauses am Untermainkai [seit 1988 Teil des Jüdischen Museums] veranstaltete das Ehepaar Stiebel ab 1860 offene Montagabende, bei denen sich bildende Künstler, Architekten und Literaten zwanglos, ohne Kleiderordnung bei einem einfachen Essen, zum Austausch im persönlichen Gespräch treffen konnten.“ Außerdem schrieb er laut Hock eine Reihe von Theaterstücken bis hin zu Puppenspielen und satirischen Gedichten, teilweise sogar in Dialektform. Diese Leidenschaft hatte er von seinem Vater geerbt. Am 3. Dezember 1902 verstarb Fritz Stiebel in seiner Geburtsstadt. Seine Tochter Charlotte Stiebel hatte bereits im Jahr 1886 den Kronberger Julius Neubronner als späteren Hofapotheker von Kaiserin Friedrich geheiratet.