Vor 50 Jahren abgehauen – heute wieder da

Geschichten rund um den Turm

Aktuell

Im letzten Kronberger Boten wurde über die Verleihung des Verdienstkreuzes 1. Klasse des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland (schreckliches Behördendeutsch!) an Ann Kathrin Linsenhoff berichtet. Ministerpräsident Boris Rhein ließ es sich nicht nehmen, die Auszeichnung höchstpersönlich der Auserwählten im Schafhof zu überreichen. Ja, zu den Reichen und Schönen im Vordertaunus kommen die Politiker aus Wiesbaden nur allzu gerne. Sicherlich gab es bei der Übergabe lecker Häppchen und Schampus. Zudem ist ja im Herbst Landtagswahl in Hessen. Da schadet es sicherlich nicht, sich mal wieder in der Burgstadt zu präsentieren, wird hier doch gerne CDU gewählt, nur nicht bei den Bürgermeisterwahlen. Das geht bei den Christlichen permanent schief. Was machen die hier nur falsch?

Doch jetzt zurück zu den Linsenhoffs. Vor 50 Jahren sah das vor Ort ganz anders aus mit der berühmten Unternehmerinnen- und Reiterinnenfamilie. Damals hatte Ann Kathrins Mutter – die schwerreiche VDO-Alleinerbin Liselott Linsenhoff – das große Sagen in der Familie. Im Sommer 1972 hatte diese in München als erste Frau die Einzel-Goldmedaille im Reiten gewonnen und den Schafhof gerade aufwändig zum Reitzentrum umbauen lassen. Von Gewerkschaftsseite hieß es sogleich sarkastisch und vielleicht auch etwas neidisch, den Vierbeinern ginge es dort weit besser als den auf zwei Beinen Arbeitenden bei der VDO.

Im Gegensatz zu den Pferden fühlten sich Ann Kathrins Eltern in der Burgstadt scheinbar weniger wohl, denn im Kronberger Anzeiger vom 29. Dezember 1972 war unter der Überschrift „Linsenhoffs nehmen Abschied von Kronberg“ zu lesen: „Wohnsitz in der Schweiz. Das große Jahr des olympischen Siegs von Frau Liselott Linsenhoff endet mit einer Nachricht, die in ihrer Heimatstadt bei vielen Freunden und Bekannten Aufsehen hervorrufen dürfte.

Familie Linsenhoff wird, wie gestern zu erfahren war, ihren Wohnsitz von Kronberg in die Schweiz verlegen. Die Anlagen am Schafhof, wohin die VDO-Chefin und Olympiasiegerin auch das Gestüt ,ASTA‘ verlegt hatte, sollen noch bleiben“. Dass jemand mutwillig aus unserem schönen Kronberg wegzieht, sind wir Burgstädter gar nicht gewohnt. Träumt nicht fast jedermann und jedefrau im Rhein-Main-Gebiet davon, zu uns an den Westerbach zu ziehen? Also, was war damals los beim Linsenhoff-Clan? Waren dem etwa die Pferde durchgegangen?

Als Grund für ihren plötzlichen Abschied gibt Wikipedia unter „Liselott Linsenhoff“ an: „Ende 1972 zog die Unternehmerin aus Steuergründen nach Rüthi im Schweizer Kanon Gallen um.“ Doch Steuern hin und her, Liselotts Heimweh war vermutlich rasch zu übermächtig geworden, denn 1974 kam die Grande Dame des Reitsports schon wieder zurück. Dazu der Spiegel vom 14. Dezember 1975: „In den Griff der deutschen Außensteuer-Jäger geriet als erste eine Dame: Die Kronberger Tachometer-Fabrikantin und Dressurreiterin Liselott Linsenhoff, die sich im Dezember 1972 nebst Gatten Fritz in die Schweiz absetzte.

Die Fluchtsteuer von 30 Millionen Mark muß die Abwanderin zahlen, obwohl sie im Herbst letzten Jahres ohne Ehemann in ihre Residenz im Taunus zurückkehrte.“ Es folgte ein jahrelanger Streit mit dem Finanzamt wegen der Auslegung der Außensteuergesetze, der als „Lex Linsenhoff“ in die Steuergeschichte eingegangen ist. Nach ihrer Scheidung 1975 heiratete die reuige Rückkehrerin 1981 Klaus Rheinberger, selbst erfolgreicher und passionierter Reitersmann, dessen Familie einst eine der größten Schuhfabriken Deutschlands in Pirmasens gehörte. Dieser rief später die „Liselott und Klaus Rheinberger Stiftung“ ins Leben, welche unter anderem bis heute die Burgsanierung mit weit über zwei Millionen Euro unterstützt hat. Wegen dieses großzügigen Mäzenatentums hat der Burgverein 2018 quasi als symbolisches Dankeschön dem renovierten Saal im 2. Stock der Mittelburg den Namen „Liselott und Klaus Rheinberger Saal“ gegeben. Und die Moral von der Geschicht‘: Wunderbar, dass sich Liselotts in Düsseldorf geborenes Töchterlein Ann Kathrin so wunderbar wieder in Kronberg eingelebt hat und sich hier sichtlich „pferdewohl“ fühlt mit ihrer Familie samt edlen Rössern in den Ställen des Schafhofs.

Jetzt bliebt auch mir nur noch übrig, ihr zu ihrer Auszeichnung herzlichst zu gratulieren. Verdient hat sie diese Ehrung für ihr vorbildliches gesellschaftliches Engagement allemal, das meint zumindest der Autor dieser Kolumne

Walter A. Ried



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