Ausgrenzen, entrechten, vernichten – Mechanismen, die sich wiederholen?

Marjam Azemoun und Frank Sommer beeindruckten die Besucher der Gedenkveranstaltung in der Stadtbücherei mit ihrer szenischen Lesung zu der auch interaktive Momente, Zeitzeugenberichte und Textausschnitte zum Beispiel aus Hitlers „Mein Kampf“ zählten.
Foto:Zitzewitz

Kronberg (cz) – Diese Frage stellten sich am vergangenen Montag, dem 75. Jahrestag der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz durch die Rote Armee, die Schauspieler Marjam Azemoun und Frank Sommer in Form einer szenischen Lesung, zu der Bürgermeister Klaus Temmen (parteilos) und Stadtverordnetenvorsteher Andreas Knoche in die Räume der Stadtbücherei geladen hatten.

Das Interesse war groß und die Stadtbücherei gefüllt, wobei leider kaum junge Menschen dieser Einladung gefolgt waren. Dabei ging es an diesem Gedenkabend nicht ausschließlich um das Erinnern an das unvorstellbare Morden, sondern um Parallelen und Mechanismen dieser unseligen Zeit, die uns auch in unserer heutigen Bürgergesellschaft wieder begegnen.

Stimmen aus dem Off: „Frauen können nicht Auto fahren, Männer sind Schweine, alle Muslime sind Fundamentalisten, Flüchtlinge wollen Dir alles wegnehmen..!“

Billige Allgemeinplätze, die keinen Bestand haben, würde man meinen. Und dennoch, oft genug wiederholt, finden sie ihren Platz in den Köpfen nicht weniger Menschen.

Das Schauspieler-Duo versucht an diesem Abend zu verdeutlichen, welche Schwächen und Strukturen den Nationalsozialismus in allen seinen grauenhaften Facetten möglich gemacht haben und dass diese Phänomene auch heute wieder als Werkzeug von der ultrarechten Szene genutzt werden.

„Politische Korrektheit gehört auf den Müllhaufen der Geschichte, hier können Sie offen sprechen...solange Sie kein Regierungspräsident sind!“

Provokation, nicht Überzeugung, bringt die Massen auf die Straßen, Reaktion auf die Aktion, das zählt. „Ohne die Kerzenträger hat keine Aktion einen Sinn. Die Menschen empören sich, na und, aber stehen sie am nächsten Tag vor dem Flüchtlingsheim, um die Bewohner vor uns zu schützen? Nein!“

In diesem Zusammenhang verweisen Marjam Azemoun und Frank Sommer auf die Frommsche These des Freiheitsbegriffs. Erich Fromm, Psychoanalytiker, Philosoph und Sozialpsychologe, 1900 geboren in Frankfurt als einziger Sohn streng orthodoxer Juden, emigrierte 1934 nach USA und schrieb 1941 das Buch „Die Furcht vor der Freiheit“. Die These des Buches lautet, dass der moderne Mensch, nachdem er sich von den Fesseln der vor-individualistischen Gesellschaft befreite, die ihm gleichzeitig Sicherheit gab und ihm Grenzen setzte, sich noch nicht die Freiheit – verstanden als positive Verwirklichung seines individuellen Selbst – errungen hat. Fromm widmet sich den Fluchtmechanismen des Menschen vor der Freiheit. Seiner Auffassung nach ergeben sich drei Möglichkeiten; die Flucht ins Autoritäre, Destruktive oder Konformistische.

Alle drei „Zufluchtsorte“ haben ihre Aktualität leider nicht verloren, was die beiden Schauspieler dem betroffenen Publikum in höchst eindrücklicher und auch erschreckender Weise vor Augen führen.

Zum Abschluss ein Zitat aus der Rede von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, die er als erstes deutsches Staatsoberhaupt in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem gehalten hat. Er warnt vor den „bösen Geistern“, die heute in neuen Gewändern wieder zu einer Gefahr geworden seien. Es sei nicht die gleiche Zeit, es seien nicht die gleichen Leute. „Aber es ist dasselbe Böse“, so Steinmeier.



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