Berührend und begeisternd – das Eröffnungskonzert von „Chamber Music Connects the World“

Gidon Kremer und sein Ensemble applaudieren der litauischen Komponistin Raminta Šerkšnyte und ihrem im vergangenen Jahr in Kronberg uraufgeführten Werk „This too shall pass“, mit dem das Eröffnungskonzert des elftägigen Kammermusikworkshops „Chamber Music Connects the World“ endete. Foto: Patricia Truchsess

Kronberg (pf) – „Jetzt können die Kammerspiele beginnen.“ Mit diesen Worten begrüßte Raimund Trenkler, Gründer und Vorstandsvorsitzender der Kronberg Academy in der Stadthalle das Publikum, das zum Eröffnungskonzert des Kammermusikworkshops „Chamber Music Connects the World“ gekommen war. Doch ehe die ersten Töne erklangen, ging es um zwei Menschen, die eng mit diesem weltweit einzigartigen Projekt verbunden sind und waren: um die im Oktober 2019 verstorbene Ulrike Crespo, auf deren Initiative hin es im Jahr 2000 zum ersten Mal stattfand und deren Crespo Foundation es bis heute finanziert, und Stargeiger Gidon Kremer, der von Beginn an aktiv dabei war und es weiterhin ist und der am 27. Februar seinen 75. Geburtstag feierte.

„Ulli Crespo war es ein großes Herzensanliegen und ihr Herzens-Festival,“ erinnerte Professorin Christiane Riedel vom Vorstand der Crespo Foundation an die Mäzenin. „Sie war ihm aufs Engste verbunden, immer präsent und begeistert dabei.“ Sie würde sich sicher sehr freuen, meinte sie, dass es über ihren Tod hinaus in die Zukunft weist, erfülle es doch ideal das Motto ihrer Stiftung, junge Menschen fürs Leben stark zu machen. Und sie zeigte sich überzeugt, dass man von den jungen Musikern, die in diesem Jahr dabei sein dürfen, sicher noch viel hören wird.

Gidon Kremer, der nach ihr die Bühne betrat, nannte Kronberg und die Kronberg Academy das „Pflaster und die Basis der Musik“. Angesichts des Krieges in der Ukraine aber sei es ihm unmöglich, sich hinter schönen Tönen zu verstecken. Daher habe er keine Zugabe – die könne es später auch noch geben – sondern eine Vorgabe mitgebracht, das Requiem für Violine solo, das der aus Georgien stammende und heute in Ingolstadt lebende Geiger und Komponist Igor Loboda 2014 dem endlosen Leiden der Ukrainerinnen und Ukrainern widmete.

„Bei aller Trauer um Ulrike Crespo überwiegt die Dankbarkeit“, meinte Raimund Trenkler. Denn fast 300 junge Musikerinnen und Musiker aus aller Welt hätten seit dem ersten „Chamber Music Connects the World“ im Jahr 2000 daran teilnehmen dürfen. „Was man verschenkt, das bleibt“, zitierte er in seinen Geburtstagswünschen Gidon Kremer, der sich vor 25 Jahren zu seinem 50. Geburtstag die Kremerata Baltica zum Geschenk machte, das Kammerorchester mit jungen Musikerinnen und Musikern aus den Ländern des Baltikums, das heute Orchestra in Residence in Kronberg ist.

„Musik ist nichts für Feiglinge, wie gut, dass du bereit bist, für sie zu leben, ihr zu dienen und für sie zu kämpfen“, wandte er sich an Gidon Kremer. Er schilderte ihn als Musiker, der stets auf der Suche nach der Wahrheit, dem Richtigen sei, der nie aufhöre, Fragen zu stellen und für Gerechtigkeit zu kämpfen, der in seinen Konzerten viel neue und wiederentdeckte Musik ins Programm nehme. Viele junge Musikerinnen und Musiker hätten das Glück gehabt, vom ihm dabei mitgenommen zu werden.

Stellvertretend für diese durften zwei Studierende der Kronberg Academy ans Mikrofon treten, die Geigerin Anne Luisa Kramb und der Cellist Ivan Karizna. Sie bedankten sich bei Gidon Kremer für seine Freundlichkeit, für seine stets respektvolle Begegnung auf Augenhöhe, dass er sie immer ernst genommen habe. „Das sind unbezahlbare Erfahrungen, nicht weniger als Gold wert“, meinte Anne Luisa Kramb. Er habe ihnen gezeigt, was Musik ist, welche Rolle ein Musiker hat, nämlich sein Ego durch die Musik zu ersetzen, so drückte es Ivan Karizna aus. Raimund Trenkler hatte aber nicht nur herzliche Worte, sondern auch ein Geburtstagsgeschenk mitgebracht: einen Scheck über 25.000 Euro für die Gidon Kremer Stiftung und seine Kremerata Baltica. Denn während sich Geschäftsleute bei Zusammenkünften stets über Musik unterhielten, witzelte er, sprächen Musiker, wenn sie sich träfen, immer über Geld, ohne das es nun einmal nicht gehe.

Gidon Kremer hat sich Franz Schubert in diesem Jahr als Leitmotiv gewählt, und so begann das Eröffnungskonzert mit fünf Menuetten und sechs Trios für zwei Violinen, Viola und Violoncello von Franz Schubert, dargeboten von Studierenden und Alumni der Kronberg Academy. Es folgte das Streichsextett „Tam“ („Dort“) des 1953 in Moskau geborenen Alexander Raskatov, das 2014 im Rahmen von „Chamber Music Connects the World“ in Frankfurt uraufgeführt wurde. Es ist dem kurz vor der Uraufführung verstorbenen, der Kronberg Academy seit ihrer Gründung eng verbundenen Cellisten Boris Pergamenschikov gewidmet.

Ein weiteres, in Kronberg uraufgeführtes Werk des aus Sankt Petersburg gebürtigen, seit 1990 in Belgien lebenden Komponisten Victor Kissine mit dem Titel „Swan time“ erklang nach einem Chopin-Zwischenspiel des lettischen Pianisten Georgijs Osokins, der seit 2018 regelmäßig mit Gidon Kremer musiziert und von ihm zum ständigen Gastkünstler der Kremerata Baltica ernannt wurde. „Swan time“, ein Auftragswerk der Kronberg Academy voller leiser Töne und Poesie, wurde 2015 von Gidon Kremer mit Alumni der Kronberg Academy uraufgeführt. Für das jetzige Eröffnungskonzert schrieb der Komponist die Version für Violine, neun Streicher und Triangel.

Letzter Programmpunkt des Konzerts war „This too shall pass“ für Violine, Violoncello, Vibraphon und Streicher der litauischen Komponistin Raminta Šerkšnyte, ein weiteres Auftragswerk der Kronberg Academy, das im vergangenen Jahr beim Festival „Frau Macht Musik“ in Kronberg uraufgeführt wurde. Der Komponistin geht es darin um die Vergänglichkeit von allem, was in der Natur und im menschlichen Leben geschieht: Jugend, Schönheit, bedrückende und freudige Momente. Das Vibraphon mit seinem stetigen Puls steht für den Fluss der Zeit. Ihm gegenüber steht das „himmlische“ Cello, während die Geige die kurze und vergängliche Zeit eines Menschenlebens und das Orchester den mächtigen Strom der Zeit symbolisieren.

Victor Kissine und Raminta Šerkšnyte, die beide eigens zum Eröffnungskonzert unter dem Motto „Gidon Kremer Connects the World“ nach Kronberg gekommen waren, nahmen den Applaus des von den beiden ungewöhnlichen zeitgenössischen Kompositionen berührten und beeindruckten Publikums dankbar entgegen. Mit der Zugabe, ohne die es dann natürlich doch nicht ging, einem Wiegenlied des ukrainischen Komponisten Yefgeni Stankovich, schloss sich dann der Kreis dieses in vielerlei Hinsicht denkwürdigen Konzerts, das allen Zuschauern noch lange in Erinnerung bleiben wird.



X