Kronberg (pf) – Mit einer musikalischen Sternstunde begann am Sonntagvormittag die neue Konzertreihe im Altkönig-Stift, organisiert und betreut von Jan Ickert, Professor für Violoncello an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt. Die Virtuosität, Musikalität und Leidenschaft, mit der das erst vor zwei Jahren in Berlin gegründete „Viatores Quartett“ spielte, war überwältigend und begeisterte das Publikum vom ersten Augenblick.
Zum Auftakt hatten sich die aus London stammende erste Geigerin Louisa Staples, ihr aus Essen gebürtiger Geigenkollege Johannes Brzoska, der Bratscher Gordon Kwan Hon Lau aus Hongkong und der in Ankara geborene Cellist Umut Saglam das erste der sechs Streichquartette op. 33 in h-Moll von Joseph Haydn ausgewählt, die 1781 entstanden. „Auf eine ganz neu Besondere Art“, wie der Komponist damals selbst ankündigte und die sowohl bei Kennern als auch bei Liebhabern zu einem großen Erfolg wurden.
„Neu an den Quartetten op. 33 ist die Freude, ist das feine Gespür des Komponisten für Witz und Überraschung, für unbeschwerte Grundstimmung und Zugänglichkeit“, so der Deutschlandfunk Kultur in einer eigens diesen Werken gewidmeten Sendung. „Hatte in den früheren Quartetten intensive kompositorische Arbeit und Gelehrsamkeit überwogen, so erschienen die Quartette op. 33 nun galanter, knapper in der Form und ‚volkstümlicher‘ im besten Sinn.“
Wunderbar gelang es dem „Viatores“-Ensemble, diese Neuartigkeit, diesen vor Einfällen sprühenden Streichquartett-Charakter hörbar und erlebbar zu machen. Und die Funken sprangen sofort auf die Zuhörerinnen und Zuhörer über. Ganz so, wie es Deutschlandfunk-Moderatorin Ulrike Timm zu Beginn ihrer Sendung angekündigt hatte: „Papa Haydn, das war gestern. Das Bild vom gemütlichen Vater der Klassik hat ausgedient, nun rücken die aufregenden Seiten des Joseph Haydn in den Blick. Nirgendwo kommt seine Kunst besser zum Vorschein als in den Streichquartetten.“
Ganz anders, aber ebenso mitreißend und zutiefst berührend gelang den „Viatores“ – der Name leitet sich aus dem Lateinischen ab und bedeutet so viel wie „Reisende“ – ihr zweites Werk, das Streichquartett g-Moll von Claude Debussy. „Leider sein einziges Streichquartett“, wie Johannes Brzoska bedauerte, der als Moderator die Komposition vorstellte. Debussy schrieb es zur selben Zeit wie sein berühmtes „Prélude à l’Après-midi d’un phaune“ und es enthält, so meint er, den wohl schönsten langsamen Satz eines Streichquartetts. „Man kann es fast riechen“, schwärmte er.
Einen fast ebenso schönen langsamen dritten Satz enthalte Beethovens Streichquartett op. 135 Nr. 16 in F-Dur, das letzte Werk, das der Komponist in seinem Leben schrieb, meinte der Geiger nach der Pause in seiner Anmoderation zum letzten Werk des Matinée-Konzerts. Debussy habe ihn mit Sicherheit ebenfalls gekannt. „Lento assai e cantante tranquillo“ lautet die Satzbezeichnung bei Beethoven, die des vierten Satzes ganz ungewöhnlich „Der schwer gefasste Entschluss: Grave, ma non troppo tratto - Allegro“.
Beethoven selbst erläutert die beiden Themen, die in dem Finalsatz immer wieder erscheinen, in seinem Manuskript mit der Frage: „Muss es sein?“ und der Antwort: „Es muss sein, es muss sein.“ Während aber manche Musikwissenschaftler glaubten, damit habe der Komponist auf seinen nahen Tod, seinen angegriffenen Gesundheitszustand und die Tatsache angespielt, dass er das Quartett nur vollendete, weil es schon im Voraus bezahlt war, ging es tatsächlich um etwas ganz anderes.
Der Wiener Musikmäzen und Hobbycellist Ignaz Dembscher hatte Noten von Beethoven ausgeliehen, wollte dafür aber keine Leihgebühr bezahlen. Beethoven aber bestand darauf und komponierte einen Kanon „Es muss sein“. Dessen Anfang ist identisch mit dem „Es muss sein“ aus dem Finalsatz des Quartetts. „Man kann sich leicht vorstellen,“ heißt es im Kammermusikführer Villa Musica, „wie Beethoven die groteske Szene mit Dembscher den Streichern des Quartetts erzählte und dabei in schallendes Gelächter ausbrach. Dieses Lachen steht unüberhörbar hinter den Allegro-Teilen des Finales.“
Auch in der Interpretation des „Viatores Quartett“ war es zu hören. Denn wieder gelang ihm, wie schon in Haydns und Debussys Kompositionen, auch Beethovens letztes Werk mit der ganzen Fülle und Bandbreite seiner Ausdrucks- und Gestaltungsmöglichkeiten zu einem unvergesslichen Erlebnis zu machen.
„Von diesem Quartett wird man noch viel hören“, prophezeite Jan Ickert in seinen Begrüßungsworten. Es stehe am Beginn einer großen Karriere, ist er überzeugt. Im Januar vor einem Jahr gewann es den ersten Preis des Mendelssohn-Bartholdy Hochschulwettbewerbs sowie den Preis der Freunde Junger Musiker. Im Dezember wurde es im Rahmen des Förderprogramms des Radiosenders zum „SWR Kultur New Talent“ gewählt, wobei die Jury vor allem die große gestalterische Kraft des Ensembles lobte. Und erst vor wenigen Tagen gewann es den zweiten Preis beim Streichquartett-Fest des Heidelberger Frühlings. Begeistert zeigte sich auch das Publikum im Altkönig-Stift von diesen vier hochmusikalischen Talenten und bedankte sich für einen unvergesslichen Konzertvormittag mit langanhaltendem Applaus.