Die Chroniken von St. Vitus – Gerhard Lill sammelt Zeitzeugnisse für die nächsten Generationen

Oberhöchstadt (hmz) – Chronisten haben mit der Chronik zu tun, und Chronik kommt vom altgriechischen Wort „chronos“. Die „Zeit“ steht also im Fokus, und in diesem Fall sind es 300 Jahre Kirchengeschichte von St. Vitus. Seit dem Jahr 1890, als Pfarrer Dr. Münz begonnen hat, Ereignisse in seiner Gemeinde niederzuschreiben, erfüllten erst die nachfolgenden Pfarrer und schließlich Laien diese Pflicht und haben damit wichtige Quellen über die Gemeinde geschaffen. Dies sowohl in der Vergangenheit als auch in der Gegenwart, und das in Wort und Bild. So heißt es Spurensuche in der Geschichte des Ortes und seiner Menschen. Da Chronisten nicht nur mit dem Stift, sondern oftmals auch mit dem Gefühl schreiben, färbt sich deren Niederschrift selbstredend mit subjektiven Eindrücken.

Viel Idealismus

Das weiß auch Gerhard Lill, der seit dem 1. Januar 2000 das aktuelle Geschehen im Kirchort Oberhöchstadt erfasst, akribisch und auf größtmögliche Neutralität bedacht. Seine Sammlung von Zeitungsausschnitten und Bilddokumentationen ist beachtlich und ebenso die Summe der Ereignisse, wie sie die Chronisten vor ihm erlebt haben und die er in deren Tradition stehend jetzt für die nächstfolgenden Generationen aufschreibt. Das auf Hunderten von Seiten. Chronikarbeit bedeutet also: Die Alltagsgeschichte des Ortes festhalten, die Eigenheit und Einzigartigkeit von Oberhöchstadt sowie dessen Wandlung in der Gesellschaft dokumentieren und bewahren. Die Arbeit der Chronisten ist eine zeitintensive, und für die ehrenamtliche, oftmals neben dem Berufsleben ausgeführte Tätigkeit ist schon großer Idealismus notwendig. „Mein Anfang war ein ledergebundenes, dickes Buch mit leeren Seiten, das Günther Budelski in seiner Buchbinderei hergestellt hat. Es gehört zu den Besonderheiten in der langen Reihe verfasster Dokumente“, erinnert sich Gerhard Lill, dessen Arbeit in der Gemeinde sehr geschätzt wird. Bei der Durchsicht nur eines Bandes wird sehr schnell deutlich, dass Geschichte und Entwicklung der eigenen Gemeinde keineswegs langweilig sind, sondern enorm spannend und sehr gegenwartsbezogen sein können.

Lange Zeit wurde die Arbeit der Kirchen-Chronisten vom Dekanat kontrolliert und erst mit dem „vidi“, das für gelesen und genehmigt stand und mit einer Unterschrift besiegelt wurde, genehmigt. Das allerdings ist auch Geschichte. Gerhard Lill hat sein Amt von seiner Vorgängerin Elfriede Alsheimer übernommen. Mit ihr zusammen hat er Beiträge für die Festschrift zum 275-jährigen Bestehen der Kirchengemeinde verfasst, herausgegeben von Dr. Heribert Alsheimer. Jetzt wird ein kleiner Zusatzband über die letzten 25 Jahre aufgelegt, der vermutlich Ende Oktober, also nach dem Ende der Festwoche, erscheinen wird. Und sie wird deutlich die Handschrift des Chronisten tragen, der im Laufe der 300-Jahrfeierlichkeiten auch Lesenswertes für den Kronberger Boten zur Verfügung gestellt hat. Der rührige Chronist ist 87 Jahre alt, hat ein bemerkenswertes Gedächtnis und ein unerschöpfliches Repertoire an sehr persönlichen Erinnerungen. Zum Beispiel an Pfarrer Wolfgang Rösch, „mit dem ich sehr intensiv während meiner Zeit im Verwaltungsrat zusammengearbeitet habe. Als ursprünglich gelernter Maschinenbauer war er ein Organisationstalent. Zudem war er ein geselliger Mensch, der regelmäßig die Kapläne zum gemeinsamen Kochen eingeladen hat. Die Gemeinschaft war ihm immer besonders wichtig.“ Weil nur drei Gemeinden, nämlich Königstein, Kronberg und Oberhöchstadt, Geld vom Bistum Limburg zur Verfügung gestellt bekamen, bemühte er sich um einen finanziellen Ausgleich für die anderen, damals noch vier weiteren Gemeinden, die somit aus dem zur Verfügung stehenden Topf mit unterstützt wurden.

Nach dem Abitur am humanistischen Gymnasium in Münnerstadt/Unterfranken machte er eine Lehre als Industriekaufmann. Gerhard Lill lernte seine Frau kennen und kam im Jahr 1968 nach Oberhöchstadt und ist diesem Ortsteil bis heute treu geblieben. Zuletzt arbeitete er bei der Braun AG. Angefangen hat seine „Kirchenkarriere“ im Jahr 1969 als Lektor. Während der Planungs- und Bauzeit der Kindertagesstätte (Kita) war er drei Jahre lang im vorbereitenden Kindergartenausschuss tätig. „Offenbar hat er in diesem Bereich ein interessantes ehrenamtliches Feld entdeckt. Wie sonst wäre es zu erklären, dass die Kita ihn dann ab 1976 für 32 Jahre im Rahmen seiner Verwaltungsratstätigkeit begleiten würde. Insider wissen, dass gerade eine Kita die meiste Arbeit im Umfeld des Verwaltungsrates ausmacht. Seine ruhige und stets ausgleichende Art im Umgang mit Personal und Handwerkern sorgte für ein jahrzehntelanges gutes Miteinander“, erinnert sich Stefan Hans, Vorsitzender des Kirchenvorstands von St. Vitus, auf Nachfrage. Viele Jahre war Gerhard Lill in diesem Gremium der Stellvertretende Vorsitzende, dann vier Jahre lang Vorsitzender. Neben der Kita gab es noch einige weitere Bauprojekte, „die er zielstrebig und verantwortungsbewusst im Rahmen von Umgestaltungen, Instandsetzungen, Renovierungen und Modernisierungen begleitete“, so Hans weiter. Parallel zu der Tätigkeit im Verwaltungsrat war Gerhard Lill im Kirchenchor St. Vitus, dessen Vorsitz er 14 Jahre lang von 1990 bis 2004 innehatte. Neben einer weiteren Tätigkeit im Festausschuss kann er auf eine über 30-jährige Kolping-Mitgliedschaft zurückblicken.

Als Chronist ist Gerhard Lill am Puls des Geschehens, hat Veränderungen miterlebt, sie eigentlich sogar zweimal erlebt: einmal als Oberhöchstädter und noch einmal, als er die Ereignisse in der Chronik aufgeschrieben hat. Die Chroniken von St. Vitus sind wichtige Zeitdokumente und später werden sie Quellen aus einer vergangenen und hoffentlich dann nicht vergessenen Zeit sein.

Gerhard Lill verwahrt sorgfältig das „Gedächtnis“ von St. Vitus.

Pfarrer Münz war der erste Chronist von St. Vitus. Fotos: Muth-Ziebe



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