COR alias Justus Becker sprayt Geigensolo

COR was here! Der junge Geiger Stephen Waarts als Graffito in Schwarz-Grau-Rot, um die Ecke vom Büro der Kronberg Academy.
Fotos: Sura

Kronberg (aks) – Justus Becker ist COR, das lateinische Wort für Herz (aber auch für Farbe auf Portugiesisch): So lautet der Künstlername des besten Graffiti-Sprayers im Rhein-Main-Gebiet. Besonders seine großformatigen fotorealen Werke machten ihn berühmt. Viele Wände in über 15 Ländern zeugen davon: „COR was here!“ Er ist bekannt für seine kritische Einstellung zu Politik und Gesellschaft. So verewigte er in einem Graffito an der Osthafenmole in Frankfurt gemeinsam mit Oguz Sen den zweijährigen syrischen Aylan Kurdi, der auf der Flucht mit seiner Mutter und seinem Bruder ertrank und in Bodrum angeschwemmt wurde. Dieses Foto ging 2015 um die Welt.

CORs Galerie ist die Straße und sein brandaktuelles Werk ist im Recepturhof in Kronberg zu bestaunen, wo er anlässlich der Geigen Meisterkurse und Konzerte im Auftrag der Kronberg Academy den niederländisch-amerikanischen Geiger Stephen Waarts auf eine Wand projizierte. Das Foto ist von Patricia Truchsess, der Haus- und Hof-Fotografin der Kronberg Academy, die seit 2015 im Wechsel mit Andreas Malkmus alle Berichte der Kronberg Academy mit ihren Fotos verschönert. Die Vorlage hat Becker per Photoshop bearbeitet. Die Farbe Rot erhält eine tragende Rolle. Als Betrachter muss man schon genauer hinschauen, um Geige, Hände, Gesicht und Augen des Künstlers auszumachen. Mit geschlossenen Augen und voller Hingabe spielt dieser junge Virtuose, der seit dem Concours Reine Elisabeth 2015 international gefragt ist und dem eine kometenhafte Musik-Karriere vorausgesagt wird, sein Geigensolo. Welche Musik das wohl ist? Die Lösung: Stephen Waarts spielte am 27. September 2017 in der Alten Oper Johannes Brahms‘ Violinkonzert D-Dur op. 77 unter der Leitung von Christoph Eschenbach.

Fasziniert steht man vor dem Werk, im Mittelpunkt das helle Gesicht, die schwarze Augenbraue über dem geschlossenen Lid im Fokus, die Haare in schwarzen Kringeln auf seiner Stirn. Rot ist die Geige und auch der Himmel, in den die Töne aufsteigen. Da möchte man länger stehen, meditieren und genauso glücklich in den Geigenhimmel abheben. Drei Tage lang arbeitete Justus Becker in der Kronberger Altstadt, vom 18. bis 20. Juni, dann ist es fertig das überdimensionale, rund 50 Quadratmeter großes Graffito. Jeden Tag fast sechs Stunden, danach lässt, wie er selbst sagt, die Konzentration und die Körperspannung nach. Es sei eine Herausforderung mit Farb-Sprays zu arbeiten, die er selbstverständlich mit Maske aufträgt. 60 Dosen werden da wohl verbraucht werden. Ob denn das nicht gefährlich ist? „Nein, die Sonneneinstrahlung ist schlimmer!“ Heute seien die Sprays nicht mehr so giftig, wie in den 80er-Jahren, als sie noch Schwermetalle enthielten. Er hat schon als Teenager Graffiti gesprüht, da kam dann auch öfter mal die Polizei, später studierte er an der Academy of virtual arts in Frankfurt. Graffiti entstanden in den Straßen New Yorks in den Achtzigern und waren Teil der Hip-Hop-Kultur. Politische Statements wurden gesprayt, einfarbig und unabhängig. Über sich selbst sagt Justus Becker heute: „Ich werde immer mehr zum alten Meister, ich gehöre nicht mehr zu den jungen Wilden“, so passt sein Auftragswerk auch ganz gut zu den Meisterkursen der Kronberg Academy. Im Gegensatz zur Musik seien die jungen Graffiti-Künstler allerdings absichtlich hässlich in ihrem Ausdruck. Während seine Werke im Fotorealismus die Ästhetik suchen, seien seine Nachfolger auf Provokation aus. Ganz anders die 150 Geigenstudenten, teils blutjung, die aus 40 Ländern zu den Meisterkursen nach Kronberg gereist sind, um sich in der hohen Kunst der klassischen Musik weiterzubilden. Zu ihren großen Meistern und Vorbildern gehören Ana Chumachenco, Mauricio Fuks, Gerhard Schulz, Mihaela Martin und Pavel Vernikov, mit denen sie eine Woche gemeinsam musizieren und viel lernen durften, um zu ihrer eigenen Ästhetik zu finden.

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