Kronberg (mw) – Am 1. Mai sind es elf Jahre, dass die Tierärztin Dr. Uta Westerhüs, inzwischen Fachtierärztin für Zootiere, die Betreuung der 1.700 Tiere im Opel-Zoo übernommen hat. Neuland war für sie die Behandlung von Zootieren nicht, Stationen zuvor waren der Duisburger und der Münchner Zoo (dort hat sie promoviert). Inzwischen kann sie allerdings von sich behaupten, vermutlich alle 200 Tierarten im Zoo schon einmal behandelt zu haben. „Na ja, vielleicht ausgenommen die Fische“, sagt die zierliche und dennoch resolute 48-Jährige und strahlt. Die Vielseitigkeit ist einer der zentralen Punkte in ihrem Job, weshalb sie ihn nach wie vor mit großer Leidenschaft ausübt. Und damit sind gar nicht allein die vielen unterschiedlichen Tierbestände gemeint, um deren Gesunderhaltung sie sich kümmert. Sie betreut die Zuchtprogramme für gefährdete Tierarten bis zu deren Auswilderung mit, organisiert die internationale Weiterverteilung der Jungtiere und vieles mehr. Die 48-Jährige schätzt, bei aller Alltagsroutine, viel draußen inmitten schönster Natur arbeiten zu können und sich nicht nur mit kranken Tieren zu beschäftigen, sondern sich täglich an all den gesunden Tieren, die sie umgeben, erfreuen zu können. Dass sie so wahnsinnig spezialisiert sein müsse in ihrem Beruf, tut die Mutter einer 17-jährigen Tochter mit einer Handbewegung ab. Natürlich hätten die unterschiedlichen Zootierarten alle ihre Besonderheiten, aber grundsätzlich seien sie ganz leicht den unterschiedlichen Gattungen zuzuordnen, deren Organ- und Skelettaufbau man im Studium genauestens kennengelernt hat: „Habe ich einen Geparden vor mir, ist er eigentlich nichts anderes als eine große Katze. Kamel, Antilope und Giraffe sind Wiederkäuer wie die Kuh, das Zebra ist ein Pferd und der Vogel Strauß ist eben ein sehr großer Vogel.“ Schwierig sei bei der Behandlung der Tiere nicht ihre Exotik, sondern die Tatsache, dass sie alle Wildtiere sind und bleiben. Dr. Westerhüs hat schnell ein Gespür dafür entwickelt, zu welchen Tieren sie ins Gehege hineingehen kann, um sie zu untersuchen und wo sie es besser bleiben lässt. „Ich kann mir beispielsweise den Roten Panda greifen, um ihm eine Impfprophylaxe zu geben, Blutabnehmen geht jedoch schon nicht mehr.“ Doch gerade, wenn sie von einem der Tierpfleger gerufen wird, weil es einem Tier schlecht gehe, es sein Futter nicht anrührt oder sich atypisch verhält, sei es am Einfachsten, dem Leiden des Tieres auf die Spur zu kommen, indem man es abtastet. „Genau das funktioniert aber in den wenigsten Fällen“, erzählt sie. Muss man ein Tier betäuben, um es zu behandeln, kann es keinen Hinweis mehr geben, an welcher Stelle die Schmerzen sitzen, macht sie klar. Hinzu komme, dass die Herzen der Zootiere deutlich stärker für ihre Tierpflegerinnen und Tierpfleger schlagen würden – im Opel-Zoo sind das rund 25 plus zehn Azubis – als für sie. „Die meisten vergessen nicht, wenn ich schon einmal bei ihnen war und sei das nur für eine Impfung. Sie mögen mich leider gar nicht, ich rufe mindestens Skepsis bei ihnen hervor“, gesteht sie und fügt lächelnd hinzu: „Deshalb habe ich auch einen Hund. Der liebt mich.“
Tatsächlich erlebt sie immer wieder, dass das Tier, zu dem der Tierpfleger sie ruft, weil es plötzlich schielt oder lahmt, sich just in dem Moment, in dem sie das Gehege betritt, alle seine Kraft dafür aufwendet, um ganz normal und fit zu wirken.
Sollte sich Dr. Westerhüs selbst einmal bei einem schwierigen Fall unsicher mit der Diagnose sein, kennt sie viele spezialisierte Haustierärzte, die sie um Rat fragen kann. Sie hebt außerdem die ausgesprochen gute Vernetzung der Zootierärzte untereinander hervor, „Es gibt 130 Zootierärzte deutschlandweit in unserem Verein und wir kennen uns und sind teilweise auch befreundet. Weichteilchirurgie mache ich selbst“, erzählt sie. Aber das Richten und Operieren von Brüchen überlässt sie lieber Tierärzten, für die das gängige Praxis ist und die bei entsprechenden Fällen in den Zoo bestellt werden. Einen Großteil ihres Zooalltags macht nicht die Behandlung von Krankheiten und Wunden aus, sondern die Prophylaxe, also die passende Haltung, das Futter, die Impfung und Entwurmung der Tiere, führt sie aus. Dazu wechseln die Schwerpunkte ihrer Arbeit jahreszeitenbedingt. Im Winter liege die Konzentration auf der Vorbereitung der entwöhnten Jungtiere auf ihre internationale Weiterverteilung. Es sei die Zeit „der klassischen Transporte“, berichtet sie, für die vieles dokumentiert werden müsse, bis die Tiere über das Europäische Erhaltungszuchtprogramm weitervermittelt werden und den Zoo tatsächlich im Transporter verlassen könnten. Auch hier gibt es zwischen den Zooteams einen regen Austausch, um den Tieren die Eingewöhnung in ihr neues Domizil so einfach wie möglich zu machen. Aktuell in Richtung Frühling verlagern sich Dr. Westerhüs Einsätze mehr und mehr auf Geburten (Tierkennzeichnungen mittels Transponder) sowie auf zu verarztende Bisswunden und Laufverletzungen. „Das bringt die Balzzeit mit sich“, erzählt sie. Die Huftiere würden sich öfters mal verspringen oder vor lauter Bocksprüngen im Matsch ausrutschen. Die Löffelhunde nutzten beim Kampf ums auserkorene Weibchen durchaus auch ihre Zähne. Geburten gibt es allerdings das ganze Jahr über im Zoo. Meistens würden die Muttertiere „ganz ohne großartige Mithilfe und mitunter viel schneller, als manche annehmen“, gebären und oftmals in den Nacht- und Morgenstunden, weil die Tiere da die größte Ruhe haben. Doch ein paar Mal Geburtshilfe leisten musste Westerhüs in der letzten Zeit öfters bei den Ziegen. „Kaiserschnitte musste ich aber glücklicherweise wirklich nur sehr selten machen.“ An die Geburt eines mesopotamischen Damhirschkalbs kann sie sich noch gut erinnern. „Das war nicht einfach, aber am Ende war das Kalb da und die Mutter hat überlebt, dass war schon ein toller Moment.“ Bekanntlich liegen Glück und Leid nah beieinander. Ein sehr trauriger Augenblick, den sie nicht vergessen hat, war für Westerhüs, als die Elefantendame Wankie sich zum Sterben hingelegt hatte. „Wir haben noch sehr viel unternommen, sogar die Feuerwehr war da und hat zusammen mit uns versucht, sie mittels stabilisierender Kissen wieder aufzurichten. Doch leider vergebens.“
Inzwischen leben auch Zimba und Aruba nicht mehr, dafür unterhalten aber der Elefantenbulle Tamo und die beiden Elefantenkühe Kariba und Lilak, die 2020 aus dem Tierpark Berlin nach Kronberg gekommen sind, die Kronberger Zoobesucher. So zutraulich die Elefanten auch wirken, wenn sie sich fast schon liebevoll mit ihrem Rüssel eine Möhre angeln, auch Westerhüs kann sie nicht eben mal in ihrem Außengehege besuchen. „Gängige Praxis, auch bei den Pflegern, ist heute der geschützte Kontakt“, klärt sie auf. Das bedeutet, es befindet sich immer ein Gatter zwischen Tier und Mensch. Kann hier eine Untersuchung des Tieres ohne Narkose überhaupt noch funktionieren? „Ja natürlich“, weiß Westerhüs, auch wenn das alles andere als selbstverständlich ist. Dafür erhalten die Elefanten regelmäßiges medizinisches Training. Sie lernen beispielsweise, ihren Huf zu geben, ihr Ohr hinzuhalten oder ihr Maul zu öffnen.
Anders als die Haustierärzte, kann sich die Fachtierärztin für Zootiere ihren Tag relativ frei einteilen. Vor allem muss sie sich nicht mit den Befindlichkeiten von Haustierhaltern auseinandersetzen, sondern alleine mit denen „ihrer“ Tiere. Das würden angehende Haustierärzte mitunter unterschätzen.
„Da bin ich klar im Vorteil“, meint sie lachend zur Verabschiedung und verschwindet zwischen den Zoobesuchern hindurch zu ihrem nächsten Zootier.