Kronberg (hmz) – In der Reisebranche wird gerne und oft mit Pferdekutschenfahrten geworben oder auch zu besonderen Anlässen. Sich „rumkutschieren lassen“ zählt zu den heiteren Vergnügen, und meistens vermitteln Attribute wie „wildromantisch“ oder „nostalgisch“ den tieferen Sinn. Mit Pferdestärken gezogen, edel poliert, mit bequem aufgepolsterten Sitzen und nachträglich eingebauter Stoßfederung lässt sich komfortabel reisen, wenigstens über kurze Strecken. So oder so, Kutschen haben Hochkonjunktur und werden eingesetzt, wo es sinnvoll ist. Wenn es nach den Vorstellungen des Vorstands der Dingeldein-Stiftung geht, könnte auch „ihre“ Kutsche, die derzeit noch in der Remise neben der Dingeldein-Scheune untergebracht ist, so oder so ähnlich aussehen. „Das gute alte Stück“, einst mit einem PS durch die Kronberger Altstadt gezogen, steht verwaist und ungenutzt seit vielen Jahren an Ort und Stelle. Um mehr Platz für Veranstaltungen zu gewinnen, soll sie nun von dort in einen anderen Unterstand wechseln – aber wohin? „Zum einen wollen wir sie vor dem Verfall bewahren und zum anderen möchten wir für sie eine sinnvolle Verwendung finden“, erklärt Albert Sanftenberg, Vorsitzender der Dingeldein-Stiftung. Er, wie auch die übrigen Mitglieder im Vorstand, sind dringend an einer neue Bleibe für das Vehikel interessiert. „Wir wollen aber auch sicher sein, dass sie in gute Hände wechselt“, so Sanftenberg. Augenscheinlich ist die Kutsche in einem einigermaßen guten Zustand und ließ sich mit dreifacher Manneskraft aus der Remise ziehen. Albert Sanftenberg, Dirk Sackis und Dr. Wolfram Schmitt packten mit an und schoben das betagte Gefährt an der Deichsel rückwärts aus der Remise und nach der Begutachtung den gleichen Weg auch wieder zurück. Die Radlager liefen dabei wie geschmiert. „Wir können davon ausgehen, dass die beiden Dingeldein-Frauen alles bestens gepflegt und dabei mit Fett nicht gespart haben.“
Kutschengeschichte
So leicht wird sich ein neuer Unterstand wohl nicht finden lassen und jemand, der die Kutsche auf eigene Kosten aus Liebhaberei restaurieren lässt, wohl auch nicht. Da werden wohl Glück und Zufall Pate stehen müssen, ganz ausgeschlossen ist das aber nicht. „Wir werden die Kutsche kostenfrei abgeben, schön wäre es, wenn später auch die Öffentlichkeit Zugang zu ihr hätte.“ An Ideen für deren Verwendungszweck wird es wohl kaum mangeln, und mit viel gutem Willen und breiter Unterstützung wird Kronberg mit dieser Initiative der Dingeldein-Stiftung vielleicht um eine Attraktion reicher.
An der Stelle ein kleiner Blick in die Kronberger „Kutschengeschichte“, die Hans Robert Philippi und Dr. Alexandra König vom Stadtarchiv Königstein recherchiert haben:
„Königstein war schon früh ein Poststandort. Auf Betreiben des Mainzer Kurfürsten Johann Schweickard von Cronberg erhielt die Stadt bereits im Jahr 1615 eine Thurn und Taxissche „Poststation“ und eine „Posthalterei“. Besonders die Posthalterei war von einiger Bedeutung, weil sie die Pferde bereithielt, die in größerer Zahl für den Übergang über „die Höhe“ gebraucht wurden. Über Königstein verlief die Hauptstrecke von Frankfurt aus Richtung Limburg. Außerdem ging von hier aus eine Verbindung über Hofheim und Diedenbergen nach Kastel und Mainz. Im 30-jährigen Krieg wird ein Conrad Stechmann als Posthalter erwähnt, ihm folgte sein Sohn Johannes. Die Posthalterei befand sich im Gasthaus „Zum Grünen Baum“(Hauptstr. 21). Dort blieb sie unter wechselnden Posthalterfamilien. Später war Posthalter die Familie Colloseus. Nach Kronberg wurde die Post in der Frühzeit durch Boten transportiert. Es gibt wohl Magistratsrechnungen für Boten auf dieser Strecke“, fand Alexandra König heraus. Und Hans Robert Philippi meint:
„In einem Dekret der General-Postdirection vom 30. Dezember 1847 wird verfügt, „…in der Herzoglich Nassauischen Stadt Cronberg tritt mit dem 1. k. M. eine Postexpedition in dienstliche Wirksamkeit, welche ihre Postverbindung durch tägliche Botengänge nach und von Bad Soden erhält. …“ Damit begann am 1. Januar 1848 der Postdienst in Kronberg und die Thurn- und Taxis Post richtete die erste Poststelle im Schützenhof ein. In den folgenden Jahren wechselte sie zu verschiedenen Örtlichkeiten, bis die Reichspost im Jahr 1898 in ein eigenes Haus in der Hainstraße einziehen konnte. Heute befindet sich dort die Stadtbücherei. Neben der Stadthalle steht das Hotel „Zur Post“. Es hat seinen Namen erhalten, weil einst an der Ecke Frankfurter Straße/Berliner Platz im Haus Nr. 4 die Reichspost ihr Domizil hatte, bevor 1898 das Postamt in der Hainstraße gebaut worden ist. Inzwischen ist die Nachfolgeorganisation Deutsche Post keine Behörde mehr. Das Postamt Kronberg wurde aufgelöst und ist danach als Einzelhandelsgeschäft Mc Paper mit einer Postagentur weitergeführt worden. Dann folgte eine Verlegung fast an den ursprünglichen Ort am Berliner Platz in den vormaligen Schlecker Markt. Doch auch das ist schon wieder Geschichte.“
Reisen waren eine Tortur
Das Reisen, etwa mit der Postkutsche, muss eine Tortur gewesen sein und setzte, wie ein Reisender einmal schrieb, vor allem „eine gute Leibeskonstitution und christliche Geduld“ voraus. Die meisten Straßen waren schlecht oder gar nicht gepflastert; die eng beieinander sitzenden Passagiere wurden in den ungefederten Kutschen bei jedem Schlagloch durcheinandergerüttelt. Außerdem waren sie den „als grob und impertinent beschriebenen“ Postillionen auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. In alten nachzulesenden Reiseberichten wird an ihnen nur selten ein gutes Haar gelassen. In den 1820er Jahren war Deutschland mit einem dichten Netz von Kutschenstraße überzogen und mit der Geschwindigkeit von acht bis neun Kilometern in der Stunde „rasten“ sie bei Wind und Wetter über diese Straßen. Nicht selten blieben sie im Schlamm stecken, wurden von Straßenräubern ausgeplündert, bekamen einen Achsbruch oder verloren ein Rad.
Das Schicksal dürfte der Dingeldein-Kutsche, sollte sie Kronbergs Straßen einmal queren, erspart bleiben. In Sachen Nachhaltigkeit wäre sie sicher unschlagbar und „Abfallprodukte“ sind in der Landwirtschaft nützlich. Energieeffizienz wäre gegeben, die Feinstaubbelastung unerheblich und Geschwindigkeitsüberschreitungen nicht zu erwarten.
Der Vorsitzende der Dingeldein-Stiftung, Albert Sanftenberg, möchte die Kutsche an den Mann oder die Frau bringen. Fotos:privat
Aquarell aus dem Jahr 1925 von Emil Rumpf