„Gefühl, als ob es in den Krieg ginge“ – Literaturnobelpreisträger Thomas Mann vor 75 Jahren in Schönberg

Kronberg (war) – Vor 75 Jahren herrschte Ende Juli im beschaulichen Schönberg, seit dem Jahr 1972 Stadtteil von Kronberg, „jede Menge Trubel“. Schließlich hatte sich mit Thomas Mann der Literaturnobelpreisträger des Jahres 1929, den er für seinen Roman „Die Buddenbrocks“ erhielt, im kleinen Taunusort angekündigt Mann war nach Frankfurt eingeladen worden, da er am 25. Juli 1947 in der Paulskirche den Goethepreis anlässlich des 200. Geburtstags des Dichters erhalten sollte. Doch warum war Thomas Mann dazu ausgerechnet nach Schönberg gekommen und warum schon Ende Juli? Der Goethepreis wird stets anlässlich des Dichters Geburtstags am 28. August überreicht.

Umstrittene Person

Zwischen den Jahren 1933 und 1938 lebte Thomas Mann im Exil in der Schweiz und danach bis zum Jahr 1952 in den USA. Im Jahre 1936 hatten ihm zudem die Nazis die deutsche Staatsbürgerschaft samt Doktorwürde aberkannt, 1944 erhielt er gleichzeitig die US-amerikanische. Seit Mitte Mai 1949 befand sich der Schriftsteller mit seiner Frau auf einer Europareise, bei der er wegen der Goethepreisübergabe erstmalig wieder deutschen Boden betrat. Am 24. Juli – es war ein Sonntag – begrüßte der damalige Oberbürgermeister Walter Kolb das Ehepaar Mann im Frankfurter Hauptbahnhof, das danach nach Schönberg gebracht wurde. In der Parkstraße in einer heute nicht mehr existierenden Villa befand sich seit dem Jahr 1947 das Gästehaus der Stadt Frankfurt am Main. Im nahegelegenen Frankfurt herrschte zu dieser Zeit noch großer Mangel an Hotelbetten, nicht zuletzt weil die Amerikaner als Besatzungsmacht durchweg die wenigen noch intakten Beherbergungsbetriebe requiriert hatten. Anfangs wollte Mann überhaupt nicht nach Deutschland beziehungsweise Frankfurt kommen, da er wusste, dass er in seiner früheren Heimat nicht nur auf Freunde stoßen würde. Das hatte sich schon bei seiner Nominierung für den Goethepreis gezeigt, wie Bettina Meier in ihrem Buch „Goethe in Trümmern“ aus dem Jahr 1989 festhält. Laut Meier traf sich ein 13-köpfiger Ausschuss zur Verleihung des Goethepreises am 1. März 1949 im Gästehaus in Schönberg, um den Preisträger für das Jubiläumsjahr zu bestimmen. Nach heftiger Diskussion votierten sieben Ausschussmitglieder für Thomas Mann, vier Stimmen entfielen auf Albert Einstein und eine Stimme bekam der Physiker Werner Heisenberg. Außerdem gab es eine Enthaltung. Mann wurde vielerorts angelastet, dass er emigriert sei, statt in Deutschland zu bleiben, um so der Nazidiktatur quasi durch innere Emigration Paroli zu bieten. Währenddessen habe er während des Zweiten Weltkriegs scheinheilig ohne großes Risiko aus den sicheren USA die Deutschen regelmäßig im Radio über den britischen BBC zum Widerstand gegen Hitler aufgerufen. Aber auch bei vielen seiner schreibenden Kollegen und Kolleginnen hatte er sich nicht gerade beliebt gemacht, als er kurz nach Kriegsende in einem öffentlichen Brief verkündete: „Es mag Aberglaube sein, aber in meinen Augen sind Bücher, die von 1933 bis 1945 in Deutschland überhaupt gedruckt werden konnten, weniger als wertlos und nicht gut in die Hand zu nehmen. Ein Geruch von Blut und Schande haftet ihnen an; sie sollten alle eingestampft werden“. Von daher ist Manns Zaudern gut nachvollziehbar, die Reise in die alte Heimat anzutreten. Als Kolb ihn schon im Jahr 1948 gebeten hatte in der Frankfurter Paulskirche anlässlich der Einhundertjahrfeier der Nationalversammlung von 1848 zu sprechen, hatte er diese Einladung noch strikt abgelehnt. Ein Jahr später sagte er Anfang Mai 1949 schließlich sein Kommen zu. Ab Mitte Mai befand sich dann Mann mit seiner Frau bereits in Europa. Als sich aber am 21. Mai sein Sohn Klaus in Cannes an der Côte d’Azur das Leben nahm, wollten die beiden wieder umgehend in USA zurückkehren, entschieden sich dann jedoch für eine kürzere Zeit als ursprünglich geplant in Europa zu bleiben. Aus diesem Grund wurde die inoffizielle Übergabe des Goethe-Preises an Mann vom 28. August auf den 25. Juli vorverlegt.

Alarmstufe wegen Morddrohungen

Am 23. Juli vermerkt Mann in Zürich in seinem Tagebuch: „Der Tag der Abreise ist gekommen. Morgens noch ein Bad genommen, denn wer weiß – Gefühl, als ob es in den Krieg ginge.“ Klaus Happrecht erwähnt in seiner Thomas-Mann-Biographie: „Schon in der Schweiz war der Dichter von Kriminalbeamten in Zivil auf diskrete Weise bewacht worden. In Deutschland schirmten ihn die Behörden durch uniformierte Polizei aufs strengste ab. Man nahm die Drohbriefe ernst.“ Es waren sogar Morddrohungen darunter. Am 24. Juli trafen die Manns dann morgens aus Sicherheitsgründen von der Schweiz per Zug kommend im Frankfurter Hauptbahnhof ein. Georges Motschan war als langjähriger Freund und Bewunderer von Thomas Mann eigens mit seinem Wagen aus der Schweiz nach Schönberg gefahren, um dem Nobelpreisträger in Deutschland als Fahrer zur Verfügung zu stehen. In seinem Buch „Thomas Mann – von nahem erlebt“ beschreibt Motschan das Gästehaus in Schönberg als „eine von der Weltpresse und deren photographierenden Begleitern belagerte Festung. (...) Meine anfängliche Sorge, ob ich denn das Gästehaus wohl finden würde, war völlig unbegründet, denn Kronberg war fest in den Händen der Polizei (...) und ich wurde auf freundlichste von Polizisten zum richtigen Haus gewiesen, selbstredend nicht meinetwegen, sondern wegen des für damalige Zeiten höchst auffallend-eleganten und großen Amerikanerwagens (Buick)“. Über den 25. Juli, den Tag der Goethepreisverleihung an Thomas Mann, berichtet Motschan: „Eskortiert von Polizeimotorrädern durfte ich Thomas und Katia Mann von Schönberg nach Frankfurt am Main vor die Paulskirche chauffieren. Eine unübersehbare Menschenmenge empfing Thomas Mann mit großem, ja herzlich zu nennenden Applaus vor dem Gebäude“. Zunächst erwähnte Mann dort in seiner Rede seine persönlichen Empfindungen, im zweiten ging er dann auf seine Beziehung zu dem Jubilar Goethe ein. So hatte Mann 1939 im amerikanischen Exil seinen Roman „Lotte in Weimar“ veröffentlicht, in dem er sich mit Goethe intensiv auseinandersetzt.

Mann betonte: „Verbunden und verschränkt aber immer mit der durchaus auch physiologischen Anstrengung des Sichumstellens und der Adaption blieb der Wille zum Beharren, die aktive Treue zur deutschen Sprache, dieser wahren und unverlierbaren Heimat, die mit mir ins Exil genommen, und aus der kein Machthaber mich vertreiben konnte. Nie ist mir in den Sinn gekommen, auch als Schriftsteller zu emigrieren:“ Im weiteren Verlauf meinte er: „Ja, meine Zuhörer, ich habe diese ruchlosen Verderber Deutschlands und Europas gehaßt, mit unbedingtem, mit tödlichem Haß. (…). und eben die Tiefe dieses Hasses mag den Gedanken verzeihlich erscheinen lassen, den ich nicht los wurde, daß, wenn er vom deutschen Bürgertum, vom deutschen Volk wahrhaft und durchgehend geteilt worden wäre, es mit Deutschland nicht hätte zu kommen brauchen, wohin es gekommen ist. (…). Ich selbst nahm an ihm [gemeint ist der Krieg – Anm. d. Verf.] teil mit vielen Aufrufen über den britischen Sender. (…). wer sie aber gehört hat .(…) der weiß, daß ich nicht, wie böse Unwissenheit mir vorwirft, aus sicherer Ferne mein Vaterland, Deutschland, damit beschimpft, verraten und verleugnet habe, sondern daß jeder Schimpf, jedes heiße Wort des Zorns und des Abscheus darin nur den machthabenden Verführern Deutschlands und ihren Untaten galt.,“

Nichts dazu gelernt?

Recht nachdenklich macht noch heute Motschans Schilderung, wie es nach der Rückkehr aus Frankfurt in Schönberg weiterging: „Zurück in Kronberg und im Gästehaus, bei einem Bier, da fragte mich Thomas Mann unter vier Augen: ‚Was glauben Sie, junger Schweizer Freund, wie viel Blut wohl an all den Händen klebt, die ich heute habe drücken müssen, wie viel?‘.(…). Thomas Mann war sichtlich erschöpft, und seine Gattin sorgte denn auch für frühzeitigen Aufbruch, was die vielen geladenen Gäste nur zu begrüßen schienen. Kaum war auch Oberbürgermeister Dr. Kolb mit engstem Gefolge ebenfalls gegangen, da ging es erst recht los. Aus purer Neugierde bin ich geblieben, fest entschlossen, als Allerletzter erst mein im obersten Stock gelegenes, bescheidenes Gästezimmer aufzusuchen. Nie habe ich Ähnliches wieder erlebt. Die meist älteren Semester, die noch ausharrten, deren gute fünfzig an der Zahl, ergaben sich dem Trunke, ungehemmt, denn es war ja alles vorhanden, gratis vorhanden, vom Bier bis zum Sekt, vom Schnaps bis Cognac, von allerfeinsten und französischen. Liköre en masse, Gänseleber und Hummer, alles war da und mußte verzehrt, getrunken werden (…). Die deutsche Fresswelle feierte Urstände, und das Gelage dauerte denn auch bis in die tiefe Nacht, als zur Krönung auch noch gesungen wurde, wenn man denn das Gegröle als Gesang bezeichnen durfte, nazistische Lieder übelster Art ertönten, man fuhr singenderweise nach England, kannte in Polen ein nicht küssen wollendes Mädchen, begrölte eine brau-, brau- braune Haßelnuß, alles, was man wenige Jahre zuvor marschierenderweise und auf Befehl in fremden Ländern gesungen haben mochte, mußte herhalten, und hätten nicht einige Besonnenere, auf meine fremde Präsenz hinweisend, mäßigend Einfluß genommen, Horst Wessels ‚Die Fahne hoch‘ wäre nicht nur angetönt geblieben, sondern aus voller Kehle durchgesungen, durchgegrölt worden, – und solches nach der Rede Thomas Manns vor wenigen Stunden und aus feierlichem Anlaß, in dem Hause, wo Thomas Mann der Gast des Oberbürgermeisters war und wo er, ein oder zwei Stockwerke höher, der Nachtruhe pflegte“.

Weiter nach Weimar

Von Frankfurt aus ging es für die Manns zusammen mit Motschan weiter über Stuttgart, München, Nürnberg und Bayreuth nach Weimar, der zweiten bedeutenden Goethestadt in der damaligen von den Russen besetzten Ostzone Hier wurde Mann am 2. August 1949 mit dem Goethe-Nationalpreis und der Ehrenbürgerwürde geehrt. Auf dem Rückweg machte Mann erneut kurz Halt in Frankfurt am Main. Laut Happrecht traf sich Mann jetzt mit dem Verleger Gottfried Bermann Fischer nochmals im Gästehaus in Schönberg. Von Frankfurt reisten die Manns per Zug nach Holland und von dort im Schiff zurück in die USA. Auf der Rückreise hält Mann in einem Reisebericht seine unmittelbaren Eindrücke fest: „Von den Schandtaten des Nazi-Regimes wollen sie nichts hören und wissen, sie erklären sie für propagandistische Lügen und Übertreibungen, legen ostentative Gleichgültigkeit an den Tag gegen Prozesse, die diese Gräuel zum Gegenstande haben. (…) Die Entwicklung geht rapide in Richtung der Renazifikation, unter anglo-amerikanischem Schutz und Schirm, und meinen Besuch, scheint es, habe ich in the very last minute gemacht.“ Zum Glück hat sich Manns Prophezeiung nicht bewahrheitet.

Goethepreis der Stadt Frankfurt

Der Preis, anfangs dotiert mit 10000 Reichsmark, wird seit 1927 alljährlich an Goethes Geburtstag am 28. August verliehen. Seit 1952 findet die Preisverleihung nur noch alle drei Jahre statt. Das Preisgeld beläuft sich aktuell auf 50.000 Euro. Die Ehrung ist vorgesehen für „Persönlichkeiten, die mit ihrem Schaffen bereits zur Geltung gelangt sind und deren schöpferisches Wirken einer dem Andenken Goethes gewidmeten Ehrung würdig ist.“ Der erste Preisträger war Stefan George. 1928 folgte Albert Schweitzer. 1930 bekam Sigmund Freud, 1939 Carl Bosch, 1945 Max Planck sowie 1946 Hermann Hesse den Preis. 1985 erhielt Golo Mann, Sohn von Thomas Mann, die Auszeichnung zuerkannt.

Kronberger Geschichtssplitter

Thomas Mann



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