„Wenn man alles sagen könnte, was man sagen könnte...“ –Sabine Fischmann tritt gegen das Vergessen auf die Bühne

Sabine Fischmann gelingt der Spagat zwischen Tragödie und Komödie, gemeinsam mit Pianist Markus Neumeyer. Fotos: Göllner

Kronberg (mg) – Dass „Lola Blau“ ein Jahr nach dem hundertsten Geburtstag des jüdischen Komponisten, Sängers und Dichters Georg Kreisler eine derart dramatische Aktualität erfahren würde, hätte Sabine Fischmann selbst nicht erwartet und deutet damit im Gespräch mit der Redaktion auf die aktuelle Verschärfung des Nahostkonflikts zwischen Israel und der palästinensisch sunnitisch-islamistischen Terrororganisation Hamas an, ebenso auf die Diskussion um neu entfachten und existenten Antisemitismus in Deutschland. „Lola Blau“ spiele jede Schauspielerin gerne einmal, ergänzt sie ernsthaft. Schließlich handele es sich bei dem Musiktheaterstück aus dem Jahr 1971 wohl um eines der herausragenden Werke Georg Kreislers, der selbst im Jahr 1938 mit 16 Jahren gemeinsam mit seinen Eltern aus Österreich aufgrund seiner jüdischen Herkunft und der Machtübernahme der Nationalsozialisten in die Vereinigten Staaten von Amerika emigrierte – genau wie die Protagonistin Lola Blau in der Zeit des Anschlusses Österreichs an Nazi-Deutschland im Jahr 1938. Kreisler hatte das Werk für seine damalige Lebensgefährtin Topsy Küppers geschrieben.

Das Stück selbst bewegt sich zwischen Komödie und Tragödie. Die junge Lola Blau wünscht sich eine Karriere als Schauspielerin in Wien, der aufkommende Krieg zerschlägt zunächst ihr Ansinnen. Als Jüdin in die Vereinigten Staaten ausgewandert, tritt sie dort in Nachtclubs auf und verfällt bisweilen dem Alkohol. Parallel verläuft im Handlungsstrang eine letztlich unerfüllte Liebesgeschichte. Was zunächst als ambivalenter Kontext erscheint, entwickelt sich im Laufe der 90 Minuten zur grundsätzlichen Lebensbetrachtung. „Freud´ und Leid zur selben Zeit“ kommt in den Sinn, während Sabine Fischmann virtuos die verschiedenen Facetten auf die Bretter, die für manche die Welt bedeuten, in den Kronberger Lichtspielen zaubert, mal sprechend, mal singend. Wunderbar begleitet und mehr als unterstützt wird sie dabei von Markus Neumeyer am Klavier. Zunächst ist Fischmann die naive junge Lola Blau, später dann die reife und jeglicher Illusion beraubte Verkörperung desselben Charakters, dazwischen spielt sie unter anderem Herrn Schmidt, genau wie Frau Schmidt, die beide jeweils mit „breitem Hessisch“ auf grandios unangenehme Weise den Teil der Bevölkerung Deutschlands darstellen, der selbstgerecht nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und der Naziherrschaft mit dieser und der damit einhergehenden Verantwortung nichts mehr zu tun haben will, das Geschehene verdrängt, herunterspielt, um es am besten in der nächsten Sekunde völlig zu vergessen. Der persönliche Sarkasmus bleibt dem Betrachter bisweilen im Hals stecken und doch muss man über die Darstellungen häufiger lachen, als es einem womöglich lieb ist. Es ist das Nichtvergessen, das Sabine Fischmann spürbar sehr am Herzen liegt – sie möchte gegen das Vergessen „spielen“, arbeiten. Gegen das Vergessen menschlichen Handelns, das so gar nicht humanistisch einzuordnen ist. Gegen das Vergessen von Millionen Schicksalen, die bis heute nachwirken. Den Atem ab und an zunächst stocken lassen original Audioaufnahmen zweier jüdischer Zeitzeuginnen, die Sabine Fischmann kontinuierlich in die Inszenierung gekonnt integriert und platziert – es sind die Beschreibungen und Erfahrungen von Aviva Goldschmidt und Eva Szepesi. Beide jüdischen Frauen, einst aus Polen und aus Ungarn, leben noch – nun in Frankfurt am Main und in Bad Vilbel. Sabine Fischmann kontaktierte sie und daraus entstand ein Teil ihres Stückes. Die Frauen schildern bisweilen in Einzelheiten die Martyrien, die sie als Mädchen erlebten, erleben mussten. Versteckte sich die eine für mehrere Wochen mit ihrer Mutter in einem Wandschrank bei einer Freundin, wurde die andere schlagartig von ihren einst besten Freundinnen beleidigt und diffamiert, um am Schluss völlig entkräftet, dehydriert und fast verstorben von einem russischen Soldaten nach der Befreiung mit Schnee gefüttert zu werden. Eva Szepesi wollte selbst einmal Schauspielerin werden und Fischmann lässt sie es auf diesem Wege, dazu im hohen Alter von über 90 Jahren, noch werden. Gewiss nicht über die Zeitzeugenberichte, denn diese sind beim besten Willen die blanke und grausame Realität dieser beiden Lebenswege. Szepesi singt selbst zwei Stücke … (nochmal nachfragen)

Eine sehr berührende Melange aus Theater, Musik und Dokumentation entstand an diesem Abend durch Sabine Fischmann. Sanfte Betroffenheit und fröhliche Ironie schafften es, dem eigentlich nicht zu Ertragenden der Schicksale sowohl im Stück als auch in der Realität habhaft zu werden. „Wenn man nur alles sagen könnte, wenn man sagen könnte, was man sagen könnte …, wenn man nur mit allen reden könnte, wie man reden könnte, wenn man reden könnte…“. Diese Zeilen Georg Kreislers tauchten während des Musicalabends häufig auf. Es liegt viel Wehmut, Weltschmerz und Resignation in den Worten des selbst ernannten „Anarchisten“, dem das Nichtvergessen wohl ebenso am Herzen lag wie Sabine Fischmann. Am Schluss pointiert eine Audioaufnahme einer der beiden Zeuginnen die Gesamtbetrachtung des Lebens an sich und entlässt das Publikum voller Gedanken in den späten Kronberger Abend: „Es ist alles anders gekommen, als ich dachte. Schicksal.“

Zwischen Jubel und Tränen, Sabine Fischmann als „Lola Blau“

Eindrucksvoller Blick der Schauspielerin Sabine Fischmann mit tiefem Gang

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