Auf Walderkundungstour: Einblicke in ein labiler gewordenes Ökosystem

Vom Waldschwimmbad führt Revierförster Martin Westenberger (Zweiter von rechts) seine interessierte Besucherschar bis hinauf auf den Hünerberg und zurück. Foto: Westenberger

Kronberg (mw) – „Kronberg hat seinen eigenen Wald direkt vor der Haustür. Das hat nicht jeder und das ist ein hohes Gut“, bemerkte Revierförster Martin Westenberger zur Begrüßung einer großen Besucherschar, die sich am Waldschwimmbad zwecks Erkundung des unteren Kronberger Stadtwaldes versammelt hatte. Eingeladen zu dem über zweistündigen Erkundungsgang hatte der SPD-Ortsverein zusammen mit der Bundestagskandidatin für den Wahlkreis Main-Taunus, Dr. Ilja-Kristin Seewald, die sich selbst vor Ort ein Bild über den Zustand des durch Klimawandel gebeutelten Waldes machen wollte. Förster Martin Westenberger wählte als Ziel seines Rundgangs den Hünerberg. Auf dem Weg dorthin erläuterte er an verschiedenen Waldstücken anschaulich, wie der Wald über Jahrzehnte, durch Menschenhand gelenkt, entsteht, gedeiht und schließlich abgeerntet wird. Die Fragen, die ihm die Besucher stellten, beantwortete er geduldig und allumfassend in seiner Funktion als Verwalter für insgesamt sechs Kommunen plus dem Staatswald. Es sei klar, dass sich der Wald im Wandel befindet. So dürfte das Verhältnis von 50 Prozent Fichtenbeständen zu 50 Prozent Laubwald (große Teile Buche und Eiche), das zur Waldinventur 2014 festgehalten wurde, längst nicht mehr stimmen. Wie inzwischen den meisten bekannt, haben starke Trockenheit, Unwetter und der Borkenkäferbefall auch im 502 Hektar großen Kronberger Stadtwald Schäden angerichtet und dafür gesorgt, dass große Freiflächen entstanden sind, vor allem dort, wo die Fichtenbestände gerodet werden mussten, um dem Borkenkäferbefall möglichst Einhalt zu bieten. Wie genau inzwischen die Bestandsverteilung auf die einzelnen Baumarten aussieht, vermochte Martin Westenberger nicht zu sagen, doch 2024 steht die nächste Waldinventur an, danach wisse man es dann ganz genau, erklärte er. Seiner Überzeugung nach ist der Wald „ein labileres System“ geworden. „Noch haben wir aber stabile Bestände“, stellte er fest. Natürlich hätten mehr Wärme, mehr Trockenheit und weniger Niederschläge Auswirkungen auf des Ökosystem Wald. Doch sieht er die Lösung und auch die Notwendigkeit nicht, über das Experimentieren mit Mittelmeerbaumarten oder über den Ansatz, den Wald ganz und gar sich selbst zu überlassen, nachzudenken. Beim Spaziergang durch die unterschiedlichen Waldabschnitte zeigte er beispielsweise einen jungen Baumbestand an Buchen, Eichen und Linden auf – ein 30-jähriger Bestand, sogenanntes Stangenholz. Die Gäste lernten, warum neben einer Eiche rechts und links gerne Buchen gepflanzt werden: Dadurch wachsen die Eichen in die Höhe, ohne seitliche Äste auszubilden, was den Wert ihres Holzes später steigert, wenn sie, schließlich schon 140-jährig, für die Holzwirtschaft interessant werden. „Dann arbeitet hier die Buche also im Interesse der Möbelindustrie“, bemerkte eine Besucherin dazu. Der Förster erklärte, dass die Eiche alleine kaum wachsen werde, „da sie keinen Druck von außen verträgt und äußerst viel Licht braucht“. Das heißt, wenn man den Wald nur sich selbst überließe, würden vermutlich die Buchen, die in den hessischen Wäldern dominierten, das Rennen machen. Weiter zeigte er auf, dass, gäbe es beispielsweise vermehrt Buchen, damit auf dem Holzmarkt tatsächlich deutlich weniger verdient werden könne. Aber auch die Biodiversität würde auf der Strecke bleiben, weil sich eben nicht alle Baumarten von selbst ansiedeln würden, sondern eine natürliche Verdrängung bestimmter Arten stattfände. Man dürfe bei der nachhaltigen Waldbewirtschaftung nicht aus dem Blick verlieren, dass Deutschland seinen Holzbedarf (Möbel und Heizen) immerhin zu 50 Prozent aus Eigenbestand decke.

Der Revierförster kann sich einen so dicht bevölkerten Stadtwald, als Wald, der völlig sich selbst überlassen wird, nur schwer vorstellen. „Allein aus Gründen der Verkehrssicherheit können wir hier abgestorbene Bäume nicht einfach stehen lassen, das wäre viel zu gefährlich, das mag in einem Nationalpark gehen, aber nicht in einem solchen Wald, der von Menschen stark frequentiert wird.“ Anhand es Weges zeigt er auf, dass jedoch bereits heute schon im Zuge einer schonenden und nachhaltigen Waldbewirtschaftung ganz unterschiedlich mit den Waldbereichen umgegangen wird. Abgestimmt auf die unterschiedliche Bodenbeschaffenheit – meistenteils ist der Boden von Taunusquarzit durchzogen und damit nährstoffarm, am Hünerberg mit Grünschiefer als Bodengrundlage jedoch nährstoffreicher – wird entschieden, was an welcher Stelle aufgeforstet wird. Dabei werden die Fichten inzwischen lieber in höhren Gefilden neu gepflanzt, da sie sich dort auf felsigerem Untergrund mit ihren flachen Wurzeln ebenfalls behaupten können, weiter unten wurden mit Landesfördermitteln Erlen gepflanzt, zeigt er auf. Statt mit Mittelmeerhölzern zu experimentieren, setzt er beispielsweise auf die Traubeneiche, man sollte zunächst einmal ausloten, was die heimischen Baumarten an Möglichkeiten mit sich bringen und wo sie trotz veränderten Klimabedingungen noch gut gedeihen, sagte er.

Auf dem Hünerberg schien der Besucherschar die Sonne ins Gesicht. Hier fehlen große Waldbestände. Doch die Fläche liegt nicht, wie an anderen Stellen im Taunus, brach, sondern wurde bereits, wie Westenberger verriet, mittels Sponsoren frisch aufgeforstet. Ehrenamtliche Arbeitsgruppen helfen nun, die durch Zäune oder Einzelschutzmaßnahmen geschützten Setzlinge zu pflegen. Denn sie sind in den ersten Jahren pflegeintensiv, und es fehlt an Arbeitskräften.

Diese Information veranlasste die SPD-Bundestagskandidatin Seewald sogleich, sich gemeinsam mit dem SPD-Ortsverein für einen ehrenamtlichen Arbeitseinsatz im Wald anzumelden. Seewald zeigte sich positiv überrascht davon, wie interessiert die Bevölkerung an „ihrem“ Wald ist. „Und ich dachte, es steht noch schlimmer um unseren Wald“, sagte sie. Sie haben heute viel gelernt, beispielsweise, dass es keine Neuzüchtungen brauche, aber Menschen, die mithelfen, sei es im Bund für Förderprogramme zum Schutz des Waldes oder für die Pflege und Aufforstung vor Ort. „Wenn wir jetzt anpacken, schaffen wir es.“

Am Unterhang gedeihen junge Eichensetzlinge, am Oberhang wurden Edelkastaniein und Douglasien neu angesiedelt. Ein Stückchen weiter unten zeigte Martin Westenberger einen Bereich im Wald, der gezielt sich selbst überlassen wird. Trotz Brombeergestrüpps sieht man hier bereits Buchen wachsen. „Auch Ahorn und Fichte wird sich hier an der einen oder anderen Stelle durchsetzen können, Eiche allerdings alleine definitiv nicht“, erklärte er. Auf dem Rückweg wurde, während viele weitere Spaziergänger, Jogger und Mountainbiker die Gruppe überholten, munter weiterdiskutiert. Über die Möglichkeiten und Ziele der Waldbewirtschaftung/Walderhaltung, die in Zeiten des Klimawandels neu zu bewerten ist, damit der Wald und seine Forstwirtschaft auch in Zukunft nachhaltig bleibt. „Ja, der Wald wird sich radikal verändern, aber wir müssen ihm auch Zeit geben, sich zu entwickeln“, gab Revierförster Westenberger den Gästen schließlich als Gedanken mit auf den Heimweg.



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