Das Antiquariat von Nolting: Immer mehr als ein Buchladen

Marion von Noltings Abschied von Antiquariat und Buchhandlung in der Kumeliusstraße verläuft ruhiger als sie es geplant hatte. Foto: Streicher

Oberursel (js). Eine Institution nimmt Abschied vom Geschäftsleben. „Buchhandlung & Antiquariat Marion von Nolting vormals Klärner“ steht an der Hauswand auf einem schlichten Schild, der Ort für Bücher war immer mehr als ein Buchladen. Nun ist es Zeit für den Ausverkauf, ohne persönliche Beratung der „Gäste“, wie die Kunden in der Kumeliusstraße schon von Gunter und Babette Klärner genannt wurden. Die aktuelle Gastgeberin Marion von Nolting verlässt die Bühne nach 25 Jahren, der Laden schließt Ende des Monats.

Das Coronavirus hat den Abschied vermasselt. Es trägt nicht die Schuld am Rückzug, wie es bei vielen anderen Läden sein wird. Aber es hat aus dem ohnehin traurigen Anlass eine Geschichte ohne Publikum gemacht. Am Mittwochabend sollte Pit Knorr die engen Freunde des Hauses und der literarischen Kleinkunst noch einmal aufheitern und auf den letzten Monat vorbereiten, Marion von Nolting musste einen der letzten Großelche der großartigen „Frankfurter Satireschule“ ausladen. Bücher und Wortwitz fallen noch immer nicht in die Kategorie Lebensmittel. Pit Knorr, einer der legendären Gründer der Satirezeitschrift „Titanic“, wäre ein Guter gewesen für aufmunternde Worte zum Abschied. „Viele sind ganz traurig, dass wir schließen“, sagt die Gastgeberin. Stammkunden aus Oberursel, aber auch aus Frankfurt, Königstein und Bad Homburg.

Bücher in besonderem Ambiente

Sie schätzen das besondere Ambiente im engen Laden. Die Luftveränderung nach dem ersten Schritt hinein, den Charme der 60er-Jahre zwischen den alten, meist handgefertigten Regalen, drei verschiedene Tapeten dahinter, alte Sofas im „Lesezimmer“ und im kleinen Büro hinten raus. Da kommt man nicht zu einer Veränderung, will das vielleicht auch gar nicht, „das ist wirklich Arbeit, mit allem was da dranhängt“. Sagt Marion von Nolting über das Leben zwischen Antiquariat und literarisch-belletristischen Werken, vielen besonderen Kinderbüchern, „vielen schönen Büchern“. Fast 71 ist sie geworden in den 25 Jahren mit ihrem Laden, nur Tochter Nina von Nolting ist ihr seit vielen Jahren eine zuverlässige Partnerin. Bewusst haben sie sich gegen eine Weitergabe entschieden. „In unserem Sinn würde das keiner schaffen.“ Weil halt „alles ein bisschen anders ist“, so Nina von Nolting, die promovierte Ethnologin. Und Idealismus in der neuen Bücherwelt mit Online-Shops und hartem Konkurrenzkampf nicht reicht für einen lohnenden Betrieb.

Die älteste Buchhandlung Oberursels, die noch existiert, 1961 von Gunter und Babette Klärner als „Erasmus-Alberus-Bücherstube“ gegründet, hat zwar ihren Kundenkreis, aber die Zeiten ändern sich. Das Antiquariat ist schon lange rückläufig, die Sammler und Jäger in dieser Sparte gibt es so nicht mehr. Auch Antiquarisches wird längst über Portale im Internet bestellt, ein Feld für Spezialisten. Für das Sortiment im Laden hat die Inhaberin einen Abnehmer gefunden, das geht komplett weg, immerhin. Aus dem gemütlichen Ausverkauf bis Ende April wird nun nichts, der langsame Abschied muss neu sortiert werden.

Für Marion von Nolting war es Zeit für den Rückzug, auch ohne Virus. 25 Jahre, am Ende ist die Zeit doch wie im Flug vergangen, nun soll noch ein bisschen mehr Zeit für Reisen und Theater und Kunstausstellungen auch fern der Wahlheimat in Neuenhain sein, wo sie einst mit Mann und drei Kindern hingezogen ist. Wäre mit Pit Knorr tatsächlich der 25. Jahrestag im Laden gewesen. Am 1. April 1995 hat Gunter Klärner ihr den Schlüssel in die Hand gedrückt. Eine Halbtagsstelle hatte sie gesucht, Klärner hat das volle Programm geboten und nach mehr gefragt, „zack, war ich ins kalte Wasser gestoßen und als Geschäftsfrau in völligem Neuland“, erinnert sich die gelernte Buchhändlerin. In der legendären „Frankfurter Bücherstube“ hat sie volontiert, 20 Jahre nach Gunter Klärner, das hat irgendwie verbunden.

Die Liebe zum Beruf ist spürbar im Gespräch mit Marion von Nolting. Ist sichtbar, wenn sie mit sanfter Hand über ein besonders schönes Werk streicht. Nun ist die Zeit der Resteverteilung gekommen. Für Regalteile gibt es Interessenten, Bücherliebhaber, die sonst vorbeischauen in solchen Fällen und mit ähnlicher Empathie über Meisterwerke der Literatur und der Buchkunst streichen, müssen sich nun per Telefon melden und eine Abholung vereinbaren, „einiges geht mit nach Hause“, sagen Mutter und Tochter von Nolting fast im Gleichtakt. Ein Ausverkauf unter dramatisch geänderten Vorzeichen. Ein Verlust für die Oberurseler Bücherwelt.



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