Appell an Jugend: „Glaubt nicht den einfachen Antworten“

Thomas Fiehler (ULO), Dietrich Andernacht (Linke), Sven Mathes (Grüne), Andreas Bernhardt (OBG), Elenor Pospiech (SPD) und Lothar Köhler (CDU) stellen sich den Fragen von Laura und Laura (v. l.). Foto: gt

Oberursel (gt). Ein großes überparteiliches Bündnis von über 45 Organisationen hatte zur Demonstration und Kundgebung am 1. Juni aufgerufen. Drei Gründe gab es für die Wahl des Termins: den 75. Geburtstag des Grundgesetzes acht Tage zuvor, die bevorstehende Europawahl am kommenden Sonntag und die Ermordung von Walter Lübcke vor fünf Jahren am 2. Juni 2019.

Der Bahnhofsplatz als Startpunkt war nicht so voll wie bei der Demonstration im Januar. Auf einem Lkw stand DJ Michel in einem „Pussy Riot“-T-Shirt und spielte Technomusik. Pünktlich um 16 Uhr sperrte die Polizei die Nassauer Straße am Bahnhof ab und Organisatorin Claudia von Eisenhart Rothe winkte zum Aufbruch. Über die Adenauerallee machten sich etwas über 100 Personen auf den Weg zum Epinay-Platz. Ganz vorne liefen Bürgermeisterin Antje Runge, Erster Stadtrat Christof Fink, Stadtverordnetenvorsteher Lothar Köhler, die Kreisvorsitzende der Freien Wähler Hochtaunus, Christin Jost, sowie die Stadtverordneten Andreas Bernhardt (OBG), Michael Reuter (CDU) und Dietrich Andernacht (Linke).

Am Epinayplatz wurde die Menschenmenge größer, bis etwa 1000 Personen nach Schätzung von Eisenhart Rothe auf dem Platz waren. Die Politiker versammelten sich an der Treppe von Café Heller vor einer riesigen Europafahne, während die Trommlergruppe „Ankafo“ loslegte. Auf Schildern waren Sprüche wie „Menschenrechte statt Rechte Menschen“, „Lieber Grüne Soße als braune Suppe“ und „Wer in der Demokratie schläft, wacht in der Diktatur auf“ zu lesen.

„Hallo Orschel, seid ihr alle da?“ fragte Christoph von Eisenhart Rothe und dankte allen, die gekommen waren, um ein deutliches Zeichen gegen Rechtsextremismus zu setzen. Zwischen den Rednern unterhielt die Band „Wir sind’s“ mit Musikstücke wie „I Walk Alone“, „Hier kommt Alex“ und „Unchain My Heart“. Wem das alles zu laut wurde, konnte sich etwas abseits in der Ruhezone eine Pause gönnen.

Die erste Rednerin war Antje Runge. „Heute ist ein Tag zum Feiern“, sagt sie, „denn wir feiern die Demokratie als breites Bündnis hier in Oberursel.“ Sie sei als Bürgermeisterin stolz darauf, dass Oberursel für seine Vielfalt bekannt sei, auch für Zusammenhalt, Gemeinschaft und Respekt gegenüber anderen Menschen unabhängig von Geschlecht, Hautfarbe, Religion oder sexueller Orientierung. Es sei aber „wichtiger denn je, diese Werte zu verteidigen“ gegen das Nicht-Akzeptieren demokratischer Beschlüsse, Beleidigungen und Provokationen, sowie politisch motivierte Straftaten. Es habe Angriffe gegen Menschen, Parteien, Kirchen und Initiativen, die sich für Demokratie und Vielfalt in Oberursel einsetzten, gegeben, und als erstes seien diejenigen betroffen gewesen, die zur Kundgebung im Januar aufgerufen hatten. Jetzt betreffe es Leute, die mit Plakaten an der Hauswand zur Europawahl aufrufen. Diese Angriffe sollen verunsichern und einschüchtern „und das darf nicht sein“, sagte die Bürgermeisterin. Sie rief dazu auf, Anti-Demokraten zu demaskieren und zu zeigen, was für Menschen dahinterstehen. Um zu erfahren, was Rechtextreme vorhaben, gehöre es dazu, ihre Wahlprogrammen zu lesen. Runge appellierte, am 9. Juni wählen zu gehen gehen.

Europa bringt Freiheiten

Elke Lieder von den „Omas gegen Rechts“ wollte ihren Fokus auf die positiven Dinge im Land richten. Dazu gehöre der 75. Jahrestag des Grundgesetzes. Es sei das Grundgesetz, das den Menschen erlaubt, ihre Meinung in Deutschland sagen zu können, ohne Angst haben zu müssen, verhaftet und eingesperrt zu sein. „Oftmals behaupten gerade Leute, die sich menschenverachtend äußern, man darf hier gar nichts mehr sagen“, erklärte Lieder und erwiderte: „Ihr dürft ganz vieles sagen, ihr müsst aber damit rechnen und es aushalten, dass ihr für Hass und Hetze Kritik und keinen Applaus bekommt und es auch strafrechtliche Konsequenzen haben kann.“ Auch wenn man an der EU einiges kritisieren könne, lobte sie die Freiheiten, die die Mitgliedschaft in der EU mit sich bringt, darunter freies Reisen, etwa um in anderen Ländern zu arbeiten, zu studieren oder die Rentenzeit zu verbringen.

Europa war auch das Thema von Hildegard Klär. Die Europa-Union, deren Vorsitzende im Taunus sie ist, ist keine Partei und setzt sich seit über 75 Jahren für die Vereinigung Europas ein. Mit Blick auf die Europawahl erklärte Klär: „Es wird sich in der kommenden Wahl entscheiden, ob der mehr als 70-jährige Frieden nach dem Zweiten Weltkrieg gefährdet ist und ob unsere Freiheit und unser Wohlstand auf Dauer erhalten bleiben.“ Die EU sei ein „einzigartiges Friedensprojekt“, aber seit einigen Jahren seien rechtsextreme, nationalistisch orientierte Extremisten am Werk, die das Projekt kaputt machen wollen. Diese Leute wollten zurück in die Vergangenheit, sagte sie, doch „diese heile Welt, von der sie sprechen, gibt es nicht und hat es nie gegeben.“

Wer die Umfragen der vergangenen Tage verfolgt habe, sei sicher aufgefallen, dass gerade die jungen Erstwähler sehr stark zur AfD tendieren. „Dagegen müssen wir etwas tun“, sagte Christoph von Eisenhart Rothe und begrüßte, dass es in Oberursel jetzt einen Jugendrat gibt, um die Interessen der Jugendlichen gegenüber der Politik zu vertreten. Dessen Vorsitzender Jonas Giebitz sagte: „Wir leben in einer Zeit der Angst. Wir blicken mit Sorge auf den Klimawandel und ob wir es schaffen, den Point of no Return abzuwenden. Wir haben Angst vor einem Krieg in Europa und in Deutschland, Angst vor einem Krieg, in dem Atomwaffen eingesetzt werden. Wir fürchten, durch die voranschreitende Digitalisierung ersetzt zu werden, oder gar einen Beruf zu erlernen den es gar nicht mehr gibt, wenn wir unseren Abschluss machen. Wir sorgen uns um die globalen rechtsextremen Bestrebungen, die uns in die Zeiten des Nationalsozialismus zurückversetzen wollen.“ Er kommentierte auch den Anstieg politisch motivierter Gewalt und sagte: „Wir lassen uns nicht einschüchtern! Wer Argumente durch Gewalt ersetzt, ist Feind der Demokratie.“

Bei der Kundgebung gab es auch Kunst und Kultur. Außer den zwei Bands gab es einen Auftritt des Poetry Slammers Marco V. Er hatte seinen Text gegen Rechtsextremismus mitgebracht. Während er sein Gedicht „Erinnern, verstehen, verändern, sich verbünden“ vortrug, ließ er die Namen von 28 Opfern rechtsradikaler Gewalt auf Papierschnipsel zu Boden fallen. Er kritisierte, dass man in Deutschland den Fokus ausschließlich auf die Täter und deren Namen richte.

In der ersten von zwei Podiumsdiskussionen fragten Laura B.P. vom Schülerrat und Laura P. von „Fridays for Future“ Vertreter von im Stadparlament vertretenen Parteien, warum man ihre Partei wählen sollte und wie die Politiker mit dem zunehmenden Rechtsruck umgehen, wie sie das Vertrauen in die demokratischen Parteien stärken wollen und wo sie ihre Prioritäten in der Migrationspolitik setzen. Zusammenhalten als Bündnis und nicht wegschauen wollen die Befragten, Transparenz und Bürgerbeteiligung sollen das Vertrauen stärken und vor allem Integration stehe im Vordergrund der Migrationspolitik. Anschließend sprach Christoph von Eisenhart Rothe mit Elena Opanasenko von der Windrose, Birgit Kindler von Kunstgriff, Cordula Jacubowsky vom BUND und Nasser Djafari von der VzF darüber, was „für Sie ganz persönlich Europa bedeutet“, und Begriffe wie „Demokratie, Akzeptanz, Toleranz, und Frieden“ sowie der Wegfall von Grenzen waren bei den Antworten oft dabei. Als Botschaft für junge Menschen appellierten sie: „Geht wählen und informiert euch. Glaubt nicht den einfachen Antworten“.

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