Drei Äbbelwoi zum Segen der Kerb

Der frisch geschlagene Kerbebaum wird von den „Orscheler Kerbeborschen“ auf der Bleiche aufgestellt.Fotos: Streicher

Von Jürgen Streicher

Oberursel. Die Kerb lebt! Es war einmal mehr die schönste Erkenntnis für die Verfechter der Tradition. Für diejenigen, die das Fest nach altem Brauchtum lieben und sich vor fünf Jahren für dessen Rettung eingesetzt haben, als die Kerb nur noch dahinsiechte und für ein Jahr komplett aus dem „Kulturkalender“ der Stadt gestrichen wurde, weil die Mehrheit der Ratsherren und -damen kein Interesse mehr an der Wahrung der Tradition zeigte. Erst nach Empörung und Protest mit den Füßen wurde zur Wiederbelebung geschritten.

Es waren nicht alte Traditionalisten, die dazu riefen, es waren mehrheitlich junge Menschen, die sich da zusammenschlossen, die „Orscheler Kerbeborschen“ etwa, die sich ihre Kerb nicht nehmen lassen wollten. Sie gründeten mit ihren „Kerbemädcher“ und anderen Gleichgesinnten einen „Verein zur Förderung des Brauchtums in Oberursel“ und nahmen die Sache selbst in die Hand. Die Lokalpolitik würde niemals gegen sie aufbegehren. Wenn der St.-Ursula-Brunnen auf dem Marktplatz im Frühherbst geschmückt daherkommt so wie in diesen Tagen, ist klar, dass die Kerb nicht mehr weit ist, passend zum hohen Fest der Kirchweihe am kommenden Samstag zu Ehren der Heiligen Ursula.

Mag das Interesse der Gesamtbevölkerung auch abflauen, Freunde der Kerb gibt es genug. Andere Feste, auch mit politischem Hintergrund wie etwa Wahlen, werden auch nicht abgesagt, weil die Resonanz sinkt, Feiertage bleiben, Apfelfeste, Erntedanktage und Fronleichnam-Prozessionen mit begrenzter Nachfrage.

Die Kerb hat ihre Fans, das hat das vergangene Wochenende bewiesen. Das war deutlich sichtbar schon beim Umzug mit dem frisch im Stadtwald geschlagenen Kerbebaum durch den Ort. „Das muss so sein“, erklärt Ex-Kerbemädchen Julia Maaß in blau-weiß karierter Bluse wie die Buben. Der Baum muss am Samstagvormittag aus dem Wald geholt werden, direkt vor dem Aufstellen, das gebe die Tradition so vor. Es ist fast wie ein kleiner Karnevalszug, bei dem auch Helau-Rufe nicht fehlen, als das fröhliche Volk mit Begleitung der „Frohsinn Brass Band“ durch die Innenstadt treckert, um auf sich und die Kerb aufmerksam zu machen.

Viel Publikum ebenso beim gemeinsamen Aufstellen der untenrum abrasierten ungefähr 17-Meter-Fichte mit Flamingo und Schlumbel vor dem Festzelt, bei der Weihe der Kerbefahne mit kirchlichem Beistand und bei all den anderen Höhepunkten bis hin zum traditionellen „Gickelschmiss“, die eine Kerb so mit sich bringen.

Macht nix, dass die Bürgermeisterin sich krankgemeldet hatte, das erste von einem örtlichen Brauhaus gesponsorte Mini-Bierfass konnte auch eine Dame der „Grünen“ mit drei Schlägen anzapfen, das Grußwort im Festzelt ein Stadtrat der CDU sprechen, auch den Gästen aus der Partnerstadt Rushmoor war’s wohl einerlei. Prost auf die Kerb, die ersten Biere waren da längst beim Vorspiel geleert.

Und die ersten Äppler natürlich auch, als der katholische Pfarrer Andreas Unfried nach erfolgreichem Hochstemmen des Kerbebaums und Verankerung im Boden am Samstagmittag die aktuelle Kerbefahne mit drei Glas Äbbelwoi weihte und den Segen Gottes für die Kerb erbat. Das gehört zu den uralten Ritualen, wenn Welt und Kirche gemeinsam feiern. „Die Kerb ist da zur rechten Zeit“, sagte der Pfarrer und meinte damit den Übergang vom Sommer zum Herbst und die Verbindung mit dem Erntedank. Und eben die Verbindung der Menschen in der Stadt, auch dies sei Tradition. Als Symbol dafür wehten wenig später die Fahnen von Kirche und Gemeinde und Kommune gemeinsam oben auf dem Kirchturm. Die von vielen Menschen geliebte und alle Jahre wiederholte Turmbesteigung zu Ehren von St. Ursula und der Kerb musste allerdings in diesem Jahr entfallen.

Veränderungen gehören zur Kerb, so ist das nun mal. Statt Riesenrad steht ein Festzelt am Ende des Festplatzes, es ist noch reichlich Platz für mehr Volksbelustigung auf der Bleiche im Schatten von St. Ursula. Die Zeiten, in denen die Innenstadt voll war mit Menschenmassen von der Allee hinauf bis zum Marktplatz und zur Bleiche sind nun eben dem Brunnenfest vorbehalten. Wie auch der Rummel in den Altstadtgassen, Tanzabende im Saal der großen Wirtschaft gehören ganz der Vergangenheit an. Alte Bilder und Stiche zeigen das noch, die Epigonen trauern darum aber nicht. Denn ganz ohne Kerb geht es eben einfach nicht, sie hat auch anno 2023 noch ihre Berechtigung.

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