Fabelhaftes Theater und mitreißende Songs

50 Jahre ist es her, seit „ABBA“ (v. l.: Petra Oho, Christian Kerkhoff, Klaus Heindl und Susanne Anders) 1974 mit „Waterloo“ die Musikwelt veränderte. Foto: bg

Oberursel (bg). Zwischen Rathaus und Stadthalle genoss man den lauschigen Abend, hatte sich zum Teil auf mitgebrachten Stühlen niedergelassen, nippte an Bier, Wein oder Aperol – für Nostalgiefreunde gab es auch Nussecken – und erlebte einen kurzweiligen Theaterabend, eingebettet in eine mitreißende Musical-Show. Statt „Theater im Park“ gab es diesmal „Theater im Treppenhaus“.

Am Rathausplatz erklang die wohlbekannte Eurovisions-Melodie. Bernhard Lienhard, Vorsitzender des Kultur- und Sportfördervereins Oberursel (KSfO), versprach bei seiner Begrüßung dem Publikum einen klasse Abend. Bereits im vergangenen Jahr hatte Regisseurin Louise Oppenländer mit ihrem Stück „PUBerlapapp“ das Publikum in Oberursel begeistert. Das Musical „Unser Lied fürs Treppenhaus“ stammt ebenfalls aus ihrer Feder, und sie führt auch wieder Regie. Mitsingen und Mitklatschen war an diesem Abend ausdrücklich erwünscht.

Louise Oppenländer ist großer Fan des European Song Contests (ESC), sie mag die Hits, Schlager und Schnulzen, sie tun manchmal einfach gut. Ihre turbulente Sommerkomödie war eine herrliche, musikalische Zeitreise durch die Schlagerwelt der vergangenen Jahrzehnte. Im Gepäck die Klassiker des Grand Prix Eurovision und des ESC.

Dabei ist ihr das Kunststück gelungen, ein banales Treppenhaus in eine Schaubühne zu verwandeln. Der rote Faden war das Theaterstück, in dem Menschen mit ihren Wünschen, Träumen und Phantasien auftreten, die zufällig als Nachbarn im Treppenhaus aufeinanderstoßen. Die fetzigen, zum Teil herrlich schrägen Dialoge dienten als Aufhänger für bekannte und sehr erfolgreiche Oldies, aber auch für neuere Songs, bei denen das gut aufgelegte Publikum begeistert mitsang und klatschte. Als Kulisse mussten fünf Türen herhalten. Klapp auf – Klapp zu, ging es im raschen Wechsel. Ständig war jemand im Treppenhaus, klopfte beim Nachbarn an, fragte, ob er Eier habe, oder welche brauchte – die Eier waren der Running-Gag. Und Damen wie Herren nutzten den harmlosen Karton zur Kontaktaufnahme.

Das Ensemble, tanzte, sang und rockte zu Hits wie „Dschinghis Khan“, „Puppet On The String“ oder „Congratulations“ nach allen Regeln der Kunst immer im passenden Outfit über die Bühne. Paula (Petra Oho) startete die Zeitreise mit „Junger Tag“ – im Jahr 1973 gesungen von Gitte Haenning. Zur Erinnerung wurde dem Publikum immer die Jahreszahl der Hits und ihre Platzierung angezeigt.

Das spiel- und tanzfreudige Ensemble wohnte also auf einer Etage, hinter Tür 1: Lydia (Susanne Anders). Sie vermutet in Herrn März (Klaus Heindl) ihren Vater. Der Rentner ist etwas unfreiwillig hinter Tür 5 zu Hause und gibt alles dafür, diesen Zustand zu ändern. Fabi (Christian Kerkhoff) und Paula wohnen als WG neben ihr, Tür 2. Fabi ist in Lydia verschossen, kann es ihr aber irgendwie nicht gerade heraus sagen, Paula dagegen himmelt den neuen Nachbarn Gerard hinter Tür 4 an, der wiederum erst mal Lydia interessant findet.

Christian Kerkhoff tritt überzeugend mal als schüchterner Fabi, mal als Charmebolzen Gerard in Erscheinung. Frau Fritsch ist die Hausbesitzerin und lauert hinter Tür 3. Bei ihrem ersten Auftritt in Kittelschürze und Schlappen wissen alle Bescheid, so stellt man sich einen Hausdrachen und Putzteufel vor. Aber auch sie hat so ihre Geheimnisse und Abgründe. Eine Paraderolle für Susanne Anders, die es immer irgendwie rechtzeitig schafft, sich wieder in Lydia zu verwandeln. Herr März verzweifelt am Essen auf Rädern, so hat jeder sein Päckchen zu tragen. Wie kann man sich näher kommen, am besten bei einer Party: „Wir geben ne Party“ – natürlich im Treppenhaus. Das beschließen die Frauen, denn „Frau’n regier’n die Welt“, wusste schon Roger Cicero 2007, während Guildo Horn, alle lieb hatte – anno 1998. Im Treppenhaus entfaltete sich das pralle Leben, komplett analog, ohne Handy, Mail und ähnlichem.

Witzige Dialoge, Missverständnisse, Geständnisse und Erklärungsversuche wechselten sich in rasantem Tempo ab. Die Beziehungskiste zwischen Frau Fritsch und Herrn März schlug dabei dem Fass den Boden aus. Herr März mit Halsband, im Pinguinkostüm oder als Rocker mit „Hard Rock Hallelulja“ (Lordi im Jahr 2006). Herrlich auch sein Auftritt im Bademantel a la Udo Jürgens bei „Merci Cherie“ aus dem Jahr 1966. Final hauten sich die beiden handfest im Hintergrund, während im Vordergrund Paula (Petra Oho) einen überzeugenden Auftritt als Friedenssängerin Nicole hinlegte. Sie begleitete das turbulente Geschehen an der Gitarre einfühlsam mit „Ein bisschen Frieden“ (Siegertitel im Jahr 1982). Damals gab’s tatsächlich mal zwölf Punkte und nicht nur „zero points“ für Deutschland, das waren noch Zeiten.

Die turbulente Komödie „Unser Lied fürs Treppenhaus“, angekündigt als Musical mit den größten Eurovisions-Hits, hat das Publikum begeistert. Vor allem das mitreißende Abschlussmedley, eine Hommage an Katja Ebstein mit „Wunder gibt es immer wieder“ und „Theater, Theater“ sowie weiteren Ohrwürmern. Auf dem Rathausplatz sangen und klatschten alle weiter mit bei „Making Your Mind Up“, „Never, Ever“, oder „Sing A Song“. Wenn’s man schönsten ist, soll man bekanntlich aufhören.

Doch dann ergriff Christian Kerkhoff noch einmal in seiner typischen, versucht lässigen, coolen Haltung das Wort. Und erklärte dem staunenden Publikum: „Ich lehne mich jetzt mal aus dem Fenster. Der KSfO organisiert hier tolle Kulturangebote, Eintritt frei. Den Verein gibt’s nicht in Bad Homburg sondern nur in Oberursel“. Dafür gab es natürlich tosenden Applaus. Und dann wurde klar, die Ansage musste sein, um einen letzten flotten Kostümwechsel zu ermöglichen. Die Stimmung auf dem Rathaus-Platz war endgültig auf dem Höhepunkt als das die Musical-Darsteller im nostalgischen ABBA-Outfit mit „Waterloo“ über die Bühne fegten. Nach dem Sieg im Jahr 1974 begann für die Schweden eine beispiellose Karriere. Da konnte sich keiner entziehen. Mit stehenden Ovationen für das Ensemble und die Regisseurin endete diese wunderbare Veranstaltung. Ein dickes Lob ging auch an die Technik mit Sven Hochwitz an der Spitze, der in gewohnter Weise immer die passenden Töne fand. Die gute Nachricht für alle, die diesen fulminanten Auftritt verpasst haben: Das Stück wird mehrfach wiederholt, uunter anderem am heutigen Donnerstag, 1. August, um 20 Uhr und am Sonntag, 4. August, um 11 Uhr auf dem Rathausplatz – und wie gesagt: Eintritt frei!

Weitere Artikelbilder



X