Vier junge Tänzerinnen des Eukatanz Studios boten dem Publikum eine Aufführung mit Ballett- und koreanischen Tanzeinlagen.Foto: Jake Lee
Wenn in Oberursel jährlich am dritten Septemberwochenende der Spätsommer langsam dem goldenen Herbst Platz macht, verwandelt sich Oberursel in ein einziges, lebendiges Festgelände: das Herbsttreiben, das in diesem Jahr zum 29. Mal stattfindet.
Organisiert vom fokus. O. - dem Gewerbeverein, der sein 175. Jubiläum feiert und „der einzigartig ist und in dem die Gewerbetreibenden Hand in Hand arbeiten, um Oberursel positiv nach vorne zu bringen, und das schon über viele Jahre. „Die Stadt hat sich super entwickelt und wenn in der Gründungsphase die Handwerke und Gewerbetreibenden nicht so aktiv gewesen wären, würde Oberursel heute nicht so aussehen“ betont Reiner Herrmann, Vorsitzender des fokus O. in seiner Rede des Get-together, bei dem sich die Aktiven des Herbsttreibens sowie Gäste aus Politik, Kultur und Stadtmarketing vergangenen Freitag auf dem Epinayplatz bei herrlichen Spätsommertemperaturen versammelt haben. „Es sind aber nicht nur die Mitglieder, die einen Anteil von 80 Prozent ausmachen, sondern vor allem auch die Ehrenamtlichen, die mit dazu beitragen, dass Oberursel nicht nur lebenswert sondern vor allem so liebenswert ist“.
Auf dem Handwerkermarkt zeigten 17 Betriebe, was Oberursels Handwerkskunst zu bieten hat. Ob Holzbau, Wärmetechnik, Fliesen, Dächer oder Gartenbau – die Besucher können nicht nur schauen, sondern selbst ausprobieren, Fragen stellen und hinter die Kulissen schauen. Das macht den Markt nicht nur für Erwachsene spannend, sondern auch für Kinder, die spielerisch entdecken, wie viel Kreativität und Können in einem Handwerksberuf steckt, der zukünftig eine noch viel größere Bedeutung in der Gesellschaft haben wird, weil er nicht durch künstliche Intelligenz zu ersetzen ist, wie viele andere Berufe. Ein Ort, an dem Tradition und Moderne aufeinandertreffen: Alte Techniken erklärt und moderne Lösungen gezeigt werden und Leidenschaft für das Handwerkt gespürt wird.
Und genau diese Leidenschaft trägt auch dazu bei, dass „man in Oberursel zusammenhält, man kennt sich, sieht sich und die Wege sind kurz“ so Reiner Herrmann. „Es gibt aber nicht nur schöne Tage in Oberursel, sondern auch traurige Tage“ und so gedachten alle Anwesenden den zwei in diesem Jahr verstorbenen Mitgliedern in einer Schweigeminute, „die den Verein mit ihrer liebenswerten Art geprägt haben und die zukünftig sehr fehlen werden: René Ressler und Thomas Oeckel. Und wer sie gekannt hat, weiß, dass sie sich einen freundschaftlichen, geselligen Abend zum Jubiläum auf dem Epinayplatz gewünscht haben, bei dem der Austausch und Genuss im Vordergrund stehen sollte“ gedachte Reiner Herrmann sichtlich bewegt den Verstorbenen. Und so dauerte es nicht lange, bis 106 Besucher des Get-togehter mit Weinen aus Österreich, die von der Allianz Generalvertretung in Oberursel gesponsort wurden, und in der eigens dafür aufgestellten Hütte und Gondeln bei deftigem Essen ins Gespräch kamen und die Zeit zum „Networken“ nutzen. Genau das wünschte Stadtrat Jens Uhlig in seiner Begrüßungsrede allen Ausstellern, eine erfolgreiche Ausstellung, gute Kontakte und schöne Tage und ergänzte süffisant, dass „die Bürgermeisterin eigentlich für das Wetter zuständig sei, aber wir es auch ohne sie sehr gut hinbekommen haben“.
Wesentlich lauter und stimmungsvoller heizte die Band Max Headroom mit Rock- und Bluesklassikern dem Publikum auf der Rathausbühne ein und beendete pünktlich um 22 Uhr mit der Zugabe „Angels von Robbie Williams“ emotional und hautnah am Publikum ihr Konzert – so sympathisch, weil Sascha Schneider, neben Mareike Busch Frontsänger, sichtlich seinen Gig in Orschel, seiner Heimat, genoss.
Ein Fest für alle Sinne und die Seele
Das Herbsttreiben ist ein Treffpunkt, an dem man spürt, was Oberursel ausmacht: Offenheit, Gemeinschaft und Freude am Feiern: für Familien, Kulturfreunde und kulinarische Genießer aus nah und fern. Musikclownin Augustine verzauberte am Weltkindertag und am Sonntag die Kinder auf dem historischen Marktplatz, der das Hessendorf repräsentierte, und zog sie mit ihrem Mitmachprogrammen in ihren Bann. Das „Stöffche“ auch ohne Promille geht, machte die Apfelweinagentur Döringer möglich, die nach dem Erfolg im vergangenen Jahr den Kindern die Möglichkeit bot, ihren eigenen Apfelsaft aus dem Keltern frischer Äpfel herzustellen. Ganz im Gegensatz dazu wurden bereits am Samstag am Sankt Ursula Brunnen die „Stöffche“ mit Promille für die Blindverköstigung positioniert. 16 Apfelweine von verschiedenen Keltereien aus Orschel, der überwiegende Teil Hobby-Kelterer, die am Sonntag gegeneinander antraten. Tradition verbindet, vor allem, wenn sie sich zum 26. Mal jährt, dennoch möchten die Apfelfreunde Oberursel ihren Titel aus dem Vorjahr verteidigen und waren natürlich wieder mit von der Partie. Auf dem Epinayplatz verkauften die Schüler der Waldorfschule Kuchen, um ihre Klassenkasse für die Parisfahrt aufzubessern, die Schülerband des Gymnasiums Oberursel (GO) rockte die Handwerkerparty und alle anderen jungen Gäste durften bei den Ausstellern schauen, ausprobieren und vor allem mitmachen. Eine Stippvisite nach ihrem Xtrem Marsch beim Oberursel-Lauf legte auch die Brunnenkönigin Tanja I. bei der Handwerkerparty ein, rockte zur Musik des GO, bevor sie am Sonntag ihre Korea-Delegationsreise antrat. Auch wenn der Weltkindertag schon eine Woche zuvor in Oberursel gefeiert wurde und die Rechte und Wünsche der Kinder den Brunnen zieren, durften weitere Attraktionen beim Herbsttreiben für die Kleinen nicht fehlen wie die Kinder-Olympiade, das -Schminken, das Taschen bemalen oder einfach nur das „Spiel uff der Gass“ mit dem XXL-Memory und 4 gewinnt“ für ein nachhaltiges Miteinander in Oberursel. Das repräsentierten auch die Vertreter des Roten Kreuzes, die mit einem Rettungswagen und Einsatzkräften vor Ort waren, und die Besucher für einen Notfall sensibilisierten, um Menschen im Notfall zu helfen. Die „Untere Hainstraße“ verwandelte sich zum Herbsttreiben in eine Eisenbahnstrecke für die Mini-Dampfeisenbahn, die seit vielen Jahren von der Dampfbahngesellschaft Oberursel zur Verfügung gestellt wird − die Jungen begeistert und die Älteren an ihre Modell Eisenbahnen und der Orscheler-Anekdote in Erinnerungen schwelgen ließ, dass derjenige, der sie ihnen verkauft hat, zurecht von sich behaupten kann, „sein Geld spielend“ verdient zu haben.
Das kann der Beruf des Pflegers gewiss nicht von sich sagen und so freut sich der fokus O. über ein neues Mitglied, das sich auch zum Herbsttreiben den Besuchern präsentiert hat: „FAIR PLUS“ mit Katharina Hunger und ihrem Team, die die Sparte Gesundheit, eine der zehn Säulen beim fokus O., zukünftig besetzen wird. Den Mut, den es hierfür laut fokus O. benötigt, gewinnt sie aus ihrer täglichen Arbeit als ausgebildete Intensivmedizinerin und ihrem Credo: „Wir machen Pflege mit Herz und Expertise und Gesundheit ist ein viel zu wichtiges Thema, um es nicht aufzunehmen“ und sie hofft, neue Akzente in der Säule Gesundheit setzen zu können.
Wie wichtig Gesundheit ist und dass man sich dessen immer wieder bewusst sein muss, davon kann Christoph Janz ein Lied singen. Der frühere Braumeister des Alt-Oberurseler Brauhaues ist an Multiple Sklerose (MS) erkrankt und weil er seiner Leidenschaft aufgrund gesundheitlicher Einschränkungen nicht mehr nachgehen kann, machte er von seinem Wissen der Braukunst Gebrauch und kreierte kurzerhand (s)ein MS-Bier, einzigartig und einfach nur lecker, um mit dem Erlös die MS-Forschung zu unterstützen – Gemeinsam! Dieser Idee schloss sich vor allem sein früherer Chef des Brauhauses an, Thomas Studanski, „ohne den die Idee nicht umsetzbar gewesen wäre und der die Taschen aufgemacht hat“, dankte ihm Max C. Luscher, Freund und Weggefährte von Christoph Janz. Reiner Herrmann ergänzte, dass er von dem Unternehmertum in Oberursel begeistert sei, auch wenn viele schimpfen und alle mitbekommen, dass die Gastronomie leidet und zurecht eine Steuersenkung hoffentlich für Abhilfe schafft und „umso beachtlicher ist es, dass Thomas bereit ist, einen großen Teil vom Erlös zu spenden“ – für die Forschung der Krankheit der 1000 Gesichter. Sascha Reifenberg, Braumeister des Brauhauses, sieht sich „nur als ausführendes Organ, da die Rezeptur von Christoph stammt, und beschreibt das MS-Bier als Exportbier, das kalt gestampft ist, eine fruchtige Note hat und gut die Kehle runtergeht“. Das testete auch gerne Stadtrat Jens Uhlig, der Christoph seine Hochachtung gegenüber aussprach, ihm viel Erfolg und noch mehr Spenden für sein Projekt wünscht und dass er seine gute Laune nicht verliert. Sichtlich erschöpft aber sehr glücklich erfreute sich Christoph, dass das Bier große Abnahme fand, in den eigens dafür kreierten Biergläsern und auf den passenden Bierdeckeln mit dem Slogan: JANZ STARK – gemeinsam gegen MS“.
Ein Ort der Begegnung und ein Fest das verbindet
„Mit 30 Geschäften am verkaufsoffenen Sonntag, 52 Ständen in der ganzen Stadt sowie 17 Handwerksbetrieben, wie es Reiner Herrmann in seiner Rede auf dem Rathausplatz am Samstag betonte, lud er die Gäste zur Teilnahme an den Programmpunkten ein. Sven Uhlig und Andreas Bernhardt vertraten gemeinsam die Stadt und sehen im fokus O. einen wichtigen Partner, der mit seinen Veranstaltungen die Stadt bereichert, repräsentiert und „die Gäste den Reiz unserer schönen Stadt entdecken und sie wiederkommen lässt“. Brunnenmeister René nutzte die Gelegenheit, um daran zu erinnern, dass ohne die Geschäftstreibenden und Handwerker der Region „die Traditionen und Feste nicht stattfinden könnten, weil sie von ihnen und dem fokus O. gesponsert werden“.
Am schönsten geschmückt, mit seiner Herbstbepflanzung, machte der Epinayplatz dem Motto Herbst alle Ehre. Dabei durfte passend zum Handwerkermarkt das Brauchtum der Zunft mit dem Aufstellen des Zunftbaums nicht fehlen, der genau das widerspiegelt, was den fokus O. ausmacht: die Zunft war eine organisierte Gemeinschaft von Handwerkern und Gewerbetreibenden, die ihre Existenz vor über 175 Jahren hatte und deren Nachfolge der fokus O. antrat. „Oberursel ist das Zentrum für handwerkliche Berufe und prägt das Stadtbild und das Leben. Das Herbsttreiben ist die perfekte Bühne, um Tradition zu feiern, Handwerk zu erleben und Geschichte zu spüren“ und so verwundert es nicht, dass Reiner Herrmann auch auf den Stationärmotor GNOM hinwies, der seinen vorübergehenden Platz vor der Alten Apotheke aufgeschlagen hat, von allen Besuchern bewundert und an die Ursprünge der Motorenfabrik Oberursel erinnert, als Willy Seck den robusten, zuverlässigen und einfach zu bedienenden Motor im Jahr 1892 entwickelte, der erstmalig 1906 ausgeliefert und 126 Jahre später im Jahr 2022 wieder im Werksmuseum Motorenfabrik Oberursel zum Leben erweckt wurde. Der Landwirtschaftliche Förderverein begeisterte auf der angrenzenden Eppsteiner Straße mit Traktoren und Erntegeräten, die auch schon einige Jahre auf dem Buckel hatten wie der Porsche Standard T 217 aus dem Jahr 1962 in feuerrot, mit 15 PS und zwei Zylindern gesegnet.
Wesentlich mehr PS brachte die Band Depeche Reload mit ihrem dreistündigen Konzert auf die Bühne am Rathausplatz, der bis auf den letzten Steh- und Sitzplatz gefüllt war und regelrecht bebte und von den Fans aus nah und fern mit einer Spende gedankt wurde.
Porsche Standard T 217 aus dem Jahr 1962 mit 15 PS und zwei Zylindern. Foto: sis