Die Geschichte eines Rings

Liora Hilb kniet in ihrem Ein-Personen-Stück „remembeRING“ nieder, während sie den Zuschauern ihre jüdische Familiengeschichte nahe bringt. Foto:lm

Oberursel (lm). Alles fängt an mit einer Stimme hinter einem Vorhang. Liora Hilb beginnt in ihrem Theaterstück „RemembeRING“, ihre Familiengeschichte zu erzählen: „Ich trage gerne diesen Ring… er zieht die Aufmerksamkeit auf sich.“ Der Ring gehörte ihrer jüdischen Großmutter, Jenny Hilb, seine volle Geschichte bleibt ein Geheimnis.

Geboren wurde Liora in Tel Aviv. Ihr Vater war deutscher Jude. Kurz vor Kriegsausbruch flieht er nach Israel und baut dort ein neues Leben auf. Er heiratet Lioras Mutter, eine selbstbewusste und weltgewandte Frau. 25 Jahre nach Kriegsende zieht die Familie zurück nach Deutschland. Liora war noch Kind und konnte nur hebräisch und polnisch sprechen. Dass ihre Großmutter damals in Ulm geblieben war und die Shoa nicht überlebt hat, das fand Liora nur Stück für Stück heraus. Ihre Familie schwieg über die Geschehnisse der Vergangenheit. Vor allem ein Ereignis verbirgt bis heute viele Rätsel: Wie hat der Ring es damals aus Theresienstadt aus dem Besitz ihrer Großmutter vor die Haustür der Familie Hilb in Tel Aviv geschafft?

Liora wusste schon lange, dass sie eine Geschichte im Zusammenhang mit dem Familienerbstück erzählen will. Das Ein-Personen-Stück verbindet Tanz, Musik, Schauspiel und Bildprojektionen. Sie sammelte Erinnerungsfetzen ihrer eigenen Kindheit zusammen und bringt dem Publikum so das Leben einer jüdischen Familie in drei Generationen nahe. Das Stück nähert sich Themen über Verlust, Ausgrenzung und Identität auf verschiedenste Weisen an. So spricht sie neben der tragischen Geschichte ihrer Familie auch über aktuelle Themen wie die Verlegung von Stolpersteinen in Städten, für die auch heute teilweise noch gekämpft werden muss.

Auch Schülern führt sie das Stück vor. Anschließend reden sie gemeinsam über die Themen der Aufführung. Liora erzählt, dass junge Leute oft viele Fragen zu dem Stück haben. Was bedeuten der Kreis und das Sechseck auf dem Boden der Bühne? Wie schaffte es der Ring zur Familie Hilb? Außerdem können viele der Schüler die Erfahrungen, die Liora gemacht hat, als sie von Israel nach Deutschland zog, mitempfinden. Sie selbst oder ihre Eltern sammelten ähnliche Eindrücke und wissen, wie es ist, wenn man in ein Land kommt, dessen Sprache man nicht spricht.

Besonders bleibt eine Szene hängen, in der die junge Liora von ihrer deutschen Lehrerin, Frau Reichsstädter, über ihre Herkunft ausgefragt wurde. Liora konnte jedoch noch kein Deutsch und antwortete, wie ihre Mutter es ihr riet, auf jede Frage mit ihrem Namen. Die Umsetzung des darauffolgenden Monologs, in dem sie Wörter aufzählt, die ebenfalls mit „Reichs-“ anfangen und in Verbindung zur NS-Zeit stehen, bleibt ebenfalls im Gedächtnis der Jugendlichen hängen. Im Hintergrund werden von einer zweiten Stimme immer banaler werdende Verbote für Juden aufgesagt. Indem sie das Interesse der Jugendlichen weckt und indem sie sie selbst zu Wort kommen lässt, schafft sie es, ihnen die Leiden der Shoa nahe zu bringen und gleichzeitig auf aktuelle Formen von Ausgrenzung, insbesondere den Antisemitismus, aufmerksam zu machen.



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