Oberursel. In den Hinterhöfen der Altstadt und in dunklen Kellern tut sich was. Wo einst nur Apfelweinkönige gekürt wurden, entwickelt sich heute Bierbraukunst nach dem ehernen Reinheitsgebot von 1516. Der Laie staunt, was da für eine kleine Welt entsteht. Einen Bierkönig gibt es noch nicht, wohl aber haben 13 private Brauer ihre Bier-Kreationen zum „Bierfest“ anlässlich des „Tags des Deutschen Bieres“ zur Bewertung durch eine fachkundige Jury eingereicht.
„Vielleicht geht ja ein neuer Stern am Bierhimmel auf“. So stand’s in der Einladung zur öffentlichen Vertestigung der Ergebnisse Oberurseler Braukunst beim Hausbrauer-Wettbewerb. Und wieder staunt der Laie, der Fachmann wundert sich nicht, ein Engländer macht das Rennen um die (noch) imaginäre Bierkrone des Siegers. Kleine Kronenspäße am Rande wie die Äppler-Könige brauchen die Brauer nicht, hier geht es um die reine Wahrheit des Geschmacks, die im goldenen Gerstensaft steckt. Die hat Gavin Mennie wohl am besten herausgekitzelt, der Mann aus Liverpool, der „seit 40 Jahren in der schönsten Stadt Deutschlands lebt“, also in Oberursel. So stellt er sich im Testzentrum auf dem Rathausplatz vor und holt damit vielleicht die ersten Extrapunkte, sein Pale Ale „Liverpool Style“ aber muss die Jury überzeugen.
Geruch, Optik, Geschmack natürlich, Kreativität, Handwerk, all das fließt ein in die Bewertung plus Kurzkommentar in der Sparte „Sinneseindrücke“. Die Männer und die eine Frau auf der improvisierten Bühne unterm vorsorglichen Zeltdach sind vom Fach, weil sie etwa selbst Bier brauen oder aus Bayern stammen wie Orschels charmante neue Brunnenkönigin Felicitas I. mit ihrem Brunnenmeister Steff im gewagten Outfit mit kurzen Lederhosen. „Es war eine sehr knappe Entscheidung bei der Punktvergabe“, verrät der Pfälzer Brauhaus-Wirt Thomas Studanski, Mitveranstalter wie der Oberurseler Marc Rauschmann von Braufactum und Brian von Brian’s Best, der in der Hochwüste New Mexicos aufgewachsen ist. Was alles nichts über die Qualität des Biers aussagen soll, eben nur, dass der Gott des Biers international ist und Geschmäcker variabel sind. Nur für sich gebraut hat ein anderer Thomas, „damit ich gutes Bier zu Hause habe“, sagt er bei seiner kurzen Vorstellung. „Wem’s nicht schmeckt, mir schmeckt’s gut“, das muss reichen bei der Eigenwerbung. Gavin Mennie also macht das Rennen, sein Preis ist neben der Ehre fein. Im Herbst wird sein Siegerbier im Alt-Oberurseler Brauhaus in etwas größerer Menge nachgebraut und dort auch ausgeschenkt. Es könnten je nach Ingredienzen um die 500 bis 650 Liter werden, so Hausherr Thomas Studanski. Eine neue Note im 29. Brauhaus-Jahr in der Ackergasse.
Professionell hergestelltes Bier hatten beim zweiten von der „AiA“ (Autos in der Allee) losgelösten Bierfest auf dem Platz am Jürgen-Ponto-Brunnen zwischen Rathaus und Stadthalle sechs Anbieter mitgebracht. Außer dem stadtbekannten Brauhaus die Unternehmen Braufactum, ein Ableger der Radeberger Produktentwicklung, das Brauhaus Castel’er Bier, Ölkeller, Brian’s Best und 28er Hinterhofbräu. Der Tag des Deutschen Biers wurde übrigens 1994 erfunden und teilt sich den 23. April im Jahreslauf mit dem Tag des Buches. Könnte sein, dass der benachbarte Buchladen vielleicht mit Rahmenprogramm in die Bierfest-Gestaltung einsteigt, da kann man sich ja auch schöne Verbindungen von Buch und Bier vorstellen.
Wer was lernen will über den Gerstensaft, die örtliche Braukünste oder die Braukunst allgemein und dem Bier entsprechend Ehre erweisen will, dem tun sich beim Bierfest mannigfach Türen auf. Unglaublich fast diese Artenvielfalt, da braucht sich der Brauer hinter keinem Winzer zu verstecken. Vom schlichten Rauchweizen bis zum India Pale Ale, die Fachleute können darüber erzählen wie Gourmetköche über ihre Kreationen. Wie der Hopfen das Bier je nach Sorte leicht bitter macht mit fruchtiger Note, auch über dessen antiseptische Wirkung, die schon vielen Menschen in früheren Zeiten das Leben gerettet hat, wenn Krankheiten umgingen, und überhaupt gibt es 200 unterschiedliche Hopfensorten.
„Man muss sich einlassen“, sagt einer beim Probieren. Auf die schönen Worte zum Bier, auf den immer wieder anderen Geschmack. „Das kann man den ganzen Tag machen. Kleine Probe, dazwischen ein bisschen Wasser und ein Stück Brot, alles gut.“ Spricht’s und entschwindet zum Härtetest unterm Zeltdach. Dort versucht ein Dutzend Männer, „Maßkrugstemmen-Meister“ im offenen Wettbewerb zu werden. Knapp zwei Kilo wiegt das Ding mit einem Liter Bier gefüllt, am ausgestreckten Arm muss er vor der Brust gehalten werden. Wer zittert zuerst und muss aufgeben, wer besiegt die Schwerkraft? Julian heißt er, vier Minuten und 41 Sekunden hält er den Krug in korrekter Stellung, bekommt den polierten Siegerpokal und den verdienten Applaus der Konkurrenten. Und Prost!