ow-Grabstein
Oberursel (ach). „Das Datum hat sich einfach so ergeben. Aber es passt doch wunderbar, dass die Wiedereinweihung seines Grabsteins auf dem Jüdischen Friedhof in Niederursel genau auf den 134. Geburtstag von Jakob Grünebaum fällt“, sagt die Oberurseler Historikerin Angelika Rieber, die Vorsitzende sowohl des Projekts Jüdisches Leben in Frankfurt als auch der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Hochtaunus ist. Wenn der Rabbiner der Jüdischen Gemeinde Frankfurt, Julian-Chaim Soussan, am Montag, 28. Januar, den Grabstein weiht, findet eine ungaubliche Geschichte ihren guten Abschluss.
In Heft 57 der Mitteilungen des Vereins für Geschichte und Heimatkunde Oberursel hat Rieber die Geschichte publiziert. Wie dort zu lesen ist, war es der Kalbacher Wolfgang Diel, der im April 2018 bei einem Osterspaziergang mit seiner Frau in Oberstedten auf einem nicht eingezäunten Privatgelände einen merkwürdigen Sandsteinblock entdeckt hat, der sich bei näherem Hinsehen als jüdischer Grabstein entpuppte. Durch seine frühere Tätigkeit bei der Unteren Denkmalschutzbehörde der Stadt Bad Homburg war seine Neugier geweckt. Nachdem Moos und Laub entfernt waren, konnte Diehl lesen: „Hier ruht in Gott Jakob Grünebaum, Geb. 28. Jan. 1885, Gest. 18. Juli 1910“. Doch wer war dieser Jakob Grünebaum, und wie kam sein Grabstein in das Unterholz in Oberstedten?
Auf Umwegen gelangte Diel an Rieber, die dank eines Hinweises der Oberurseler Stadtarchiv-Leiterin Andrea Bott und mit Hilfe des Instituts für Stadtgeschichte Frankfurt die Geburts- und Sterbeurkunde von Jakob Grünebaum fand. Er stammte aus Niederursel und war der Sohn des aus Oberursel stammenden Metzgers Bernhard Grünebaum und dessen Frau Amalie. Die Familie lebte in Niederursel in der Obergasse (heute Alt Niederursel), Haus Nr. 49. Da Jakob in Niederursel geboren wurde und dort starb, ist anzunehmen, dass er ursprünglich auf dem Niederursder Friedhof beerdigt war.
Verwandtschaften
Das Gelände des alten jüdischen Friedhofs von Niederursel wurde 1720 von der jüdischen Gemeinde erworben. Als dieser Friedhof zu klein wurde, kaufte die Gemeinde ein weiteres Grundstück, das ab 1876 als Gemeindefriedhof genutzt wurde. Vermutlich war Jakob dort beerdigt. Bereits im März 1932 wurde dieser Friedhof geschändet, wie aus einem Artikel in der Zeitschrift „Der Israelit“ hervorgeht. Während der NS-Zeit wurden beide Niederurseler Friedhöfe zerstört und abgeräumt, während die Mehrzahl der jüdischen Friedhöfe in Hessen erhalten blieb, so auch der Friedhof der mit der Gemeinde in Niederursel/Heddernheim eng verbundenen jüdischen Gemeinde in der Altkönigstraße in Oberursel. Dort sind etliche Grünebaums beerdigt: der Feuerwehrmann Wolf Grünebaum, seine Ehefrau Lina und ihr Sohn Ferdinand. In welcher verwandtschaftlichen Beziehung Jakobs Vater zu ihnen stand, lässt sich mit den Unterlagen des Stadtarchivs gegenwärtig nicht belegen. „Vielleicht waren sie Vettern“, vermutet Rieber.
Ende 1942 erwarb die Stadt Frankfurt die beiden Friedhöfe in Niederursel und andere Liegenschaften im Rahmen der „Judenverträge“ mit der Begründung, „zur Sicherung dringlichsten Raumbedarfs der Stadt Frankfurt, insbesondere zur Erfüllung sozialer Aufgaben“, sei der Erwerb der Liegenschaften „dringend geboten“. Vom 19. Oktober 1941 bis zum September 1942 wurden innerhalb eines Jahres 10 000 Juden von Frankfurt aus in die Konzentrations- und Vernichtungslager
deportiert und ermordet. Von zwei Geschwistern von Jakob ist bekannt, dass sie Opfer des Holocaust wurden: seine Schwester Hermine, 1942 verschleppt, und sein Bruder Moritz, der mit dem letzten großen Transport am 15. September 1942 zusammen mit seiner Frau nach Theresienstadt deportiert und in Auschwitz ermordet wurde.
80 Jahre im Verborgenen
Nachdem mit den Deportationen 1941/42 jüdisches Leben in Frankfurt fast ausgelöscht worden war, sollten die Orte, die daran erinnerten, beseitigt werden. Die Grabsteine auf den beiden Friedhöfen wurden im Rahmen des Besitzwechsels offensichtlich beseitigt. Grabsteine christlicher Friedhöfe werden nach einer bestimmten Zeit abgeräumt und anschließend oft für die Einfassung von Grundstücken oder Bachläufen genutzt. So ist es nach Ansicht Riebers nicht ausgeschlossen, dass Jakobs Grabstein aus solchen Gründen entfernt wurde. Da rund um den Fundort in Oberstedten kleine Steinblöcke zu sehen sind, nimmt die Historikerin an, dass er als Fundament für eine Gartenhütte, die bis in die 1970er-Jahre an dem Ort stand, Verwendung gefunden hatte. Dies würde auch den guten Erhaltungszustand
des Grabsteins erklären.
Ob diese Nutzung des Grabsteins in Unkenntnis oder in bewusster Missachtung des jüdischen Brauchs erfolgte, wonach Grabsteine nicht abgeräumt und die Grabstätten nicht wiederbelegt wird, oder aus anderen Gründen, ist gegenwärtig offen.
Gerade weil die jüdischen Friedhöfe über Jahrhunderte erhalten bleiben mehrheitlich die Nazizeit mehr oder weniger unbeschädigt überlebt haben, seien sie wichtige Zeugnisse einer vergangenen Epoche, so Rieber. Deshalb sei der Fund des Grabsteins in Oberstedten von großer Bedeutung, zeuge er doch von dem einst lebendigen jüdischen Leben in Niederursel vor der NS-Zeit. Bisher war der früheren Friedhof in Niederursel nur noch ein umzäuntes Gelände mit einem Erinnerungsstein, nun wurde der Grabstein dank des Engagements des Oberurseler Bürgermeisters Hans-Georg Brum vom städtischen Betrieb und Service Oberursel (BSO) geborgen und wieder an seinen Ursprungsort, den jüdischen Friedhof in Niederursel, zurückgeführt. Seit er am 11. Oktober 2018 dort aufgestellt wurde, erinnert er sichtbar an die frühere jüdische Gemeinde, an ihre Zerstörung und an die Schicksale ihrer Mitglieder.