Oberursel. Eine Apfel-Liaison aus herber und lieblicher Note, eine „Liaison des Pommes“, hat das Rennen gemacht. Und Jubel in der Straußwirtschaft „Alt Orschel“ ausgelöst, denn mit ihr hat ein örtliches Kelterteam den Titel des hessischen Apfelweinkönigs gewonnen. Der Heimsieg ist garniert mit Ruhm und Ehre in der wachsenden Szene, die das Brauchtum der Veredlung von Äpfeln pflegt. Das Oberurseler Königspaar Frank Grimmer und Daniela Strickert hat sich auch den Hessentitel geholt, „Orschel hat Geschmack bewiesen“, rief der neue König im ersten Überschwang.
Die Stimmung ist schon am frühen Nachmittag gelöst, auch wenn die Spannung in der Luft zu spüren ist. Am Sonntag, dem Tag, an dem der neue hessische Apfelweinkönig oder eben eine Königin gekürt wird. Es gibt keine Krone zu gewinnen, nur einen Bembel mit goldenem Rand. Gewählt wird der König von Volkes Gnaden. Der Hof am Marktplatz, es gibt Kamm-Rippchen mit Apfelweinkraut und Kartoffelstampf, ist rappelvoll, für diesen Nachmittag und das Vorspiel an den Abenden zuvor ist er das Mekka der Freunde des Apfelweins. 19 regionale Könige geben sich die Ehre, jeder trägt ein kleines Schild auf der Brust. Und als Ehrengast ist sogar ein Weltmeister da, Norman Groh aus Butzbach, dessen Apfelwein kürzlich in Michigan (USA) von 60 Sommeliers unter 1200 Varianten zum Weltmeister-Stöffche gekürt wurde. Riesenapplaus, der Weltmeister hat ein paar Flaschen vom 2023er Speierling mitgebracht.
In der „Liaison des Pommes“ von Daniela Strickert und Frank Grimmer steckt das Beste von beiden drin, seine herbe, ihre liebliche Note, eine gelungene Mischung. Jene Mischung aus heimischen Apfelsorten im Testballon mit der Probe-Nummer 16 hat das feierlustige Trinkvolk bei der Blindverkostung überzeugt. Wessen Apfelweinkunst hinter dem Produkt steckt, weiß beim Test der 19 Proben diverser Apfelweinkönige niemand, meist sind diese selbst nicht in der Lage, ihr Produkt herauszuschmecken. Jeder hat 30 Liter seines Stöffchens geopfert, der Titel muss verdient werden. Außer Daniela Strickert war übrigens keine Frau im Rennen. Aber ja, werden jetzt viele sagen, vielleicht haben ja trotzdem Frauen das Rennen entschieden.
Ein heikles Thema, es beschäftigt die Szene am Rand immer mehr. Glaubenskriege werden da ausgefochten, na gut, Glaubenskämpfe. Um Restsüße geht es da, um Gärstockung, um Zusätze wie Birne und Quitte, die Puristen alter Schule im Apfelwein strikt ablehnen. Klassisch herb muss er sein, der Stoff, und nicht „wie Apfelsaft“ daherkommen, so ihr Credo. Kurzum, die Damenwelt, das habe sich herausgestellt, präferiert im Gerippten eher die liebliche Note als die herbe, die einem, radikal beschrieben, „auch mal die Schuhe ausziehen kann“, wie einer zum Besten gibt.
Wehrheims Apfelblütenkönigin Victoria I. legt die liebliche Spur im diskreten Gespräch ohne Lauschpublikum, die Nummer 8 ist ihr absoluter Favorit. Warum? „Süß, fruchtig, lecker, könnte man den ganzen Abend von trinken“, sagt sie mit Überzeugung. Die Nummer 8 wird nur knapp geschlagen. Zweiter im Endklassement mit 1366 Punkten, von den insgesamt 368 Test-Trinkenden hatten da wohl viele eine ähnliche Idee vom Apfelwein wie die Blütenkönigin. Das Siegerpaar bekommt 1378 Punkte, 1 bis 5 Punkte konnten vergeben werden bei der Bewertung, die Statistik verrät nichts über den Anteil von Männern und Frauen unter den Testern. Aber bietet Anlass zur Diskussion eines zweiten Themas. Denn in „Alt Orschel“ bestimmt das Volk den König, bei einigen regionalen Entscheidungen machen das „Apfelwein-Experten“ in einer Jury. Da kann es vorkommen, dass gekürte Könige aus Mammolshain oder Gießen im Orscheler Apfelwein-Tempel nur im Mittelfeld oder gar noch weiter hinten landen, weil Geschmäcker eben verschieden sind.
Ein Fest zu Ehren des Apfels und des Besten, was er werden kann, ein Lob der Tradition, selbst zu keltern, ist die Kür des hessischen Apfelweinkönigs allemal. Die Diskussionen am Rand dabei allenfalls Geplänkel, das den Festcharakter nicht ändert. Toll organisiert von Jockel Döringer und seinem Team mit den Frontfrauen Caro Knopf und Svenja Engelhardt, bestens präsentiert in der coolen Location „Alt Orschel“ und veredelt von einem ehrenwerten Publikum, das dem Apfel und der deftigen Kost drumherum huldigt und für die dazugehörenden Traditionen wirbt.
Jedes Urteil wird beim Gipfeltreffen der regionalen Führungskräfte hingenommen, es weht ein zutiefst demokratischer Geist durch den vom Apfel beseelten Ort. Trotz viel Monarchie, denn irgendwie sind ja auch alle anwesenden Königinnen der Branche von Wehrheim bis Oberrad und mittendrin Orschels neue Brunnenkönigin zumindest indirekt vom Volk gewählt. Mit 15 Jahren hat Veranstalter Jockel Döringer diesen guten Geist des Kelterns vom Opa eingeimpft bekommen, hat ihn eine Leidenschaft gepackt, die ihn nicht mehr loslässt. Zum Hessentag 2011 wurde der Hessen-König in Sachen Apfelwein erfunden, in jedem Herbst schlägt das Herz des inzwischen Profi-Kelterers schneller, wenn er seine 450 Bäume begutachten und ernten darf. Und der edle Wettstreit neu beginnt.