Oberursel (bg). Entfesselte und – um der Wahrheit die Ehre zu geben – auch alkoholisierte Kleinbürger stürmen mit ohrenbetäubendem Lärm mitten in der Nacht los, um den Wildwuchs in Nachbars Garten platt zu machen. Ausgestattet mit Rasenmäher, Trimmer, Kettensäge und Axt, machen sich vier Reihenhausbesitzer gemeinschaftlich ans Werk, angefeuert von ihren johlenden Frauen. Bis die Polizei eingreift, da machen sich alle schnell aus dem Staub. Den Letzten aber beißen die Hunde – das bewahrheitet sich auch auf der Bühne des Theaters im Park (TiP).
Wer meint, hiermit wäre der Höhepunkt der Eskalation erreicht, wird am Ende von „Unkraut“ noch eines Besseren belehrt. In der überzeugenden Inszenierung von Volker Zill steuern die Protagonisten nach jedem nachbarlichem Treffen in ihren Gärten unausweichlich auf ein verblüffendes Ende zu. Gerade die perfekte Fassade vom stylischen Jung-Paar bröckelt dabei gewaltig. Das Ensemble spielt wie aus einem Guss die zum Teil stark überzeichneten Rollen. Dabei gelingen immer wieder schräge Gemeinschaftsszenen.
Es ist ein heißer Sonntag. „Hit-Radio TiP“ meldet sich mit dem fröhlichen Lied vom „Sonntag“. Das Bühnenbild präsentiert vier Reihenhäuser mit akkurat gepflegten Gärten, aber schon die aufgeräumten Fassaden und kurzgeschoren Rasen vermitteln eine trügerische Idylle. Am Haus von Julia und Stefan hat Tochter Lara an ihrem Fenster ein Banner aufgehängt. Sie will die Welt retten, das missfällt ihren Eltern. Hans und Karin, ein älteres Rentnerehepaar, haben an diesem Tag zum Grillen eingeladen. Haus und Garten sind tip-top gepflegt, aber der Hausfrieden hängt mehr als schief, mit seinem Sohn will Hans nichts mehr zu tun haben. Ausgerechnet am Sonntag kurz vor dem Grillen holt er seinen geliebten Rasenmäher hervor, Karin ist stinksauer und Nachbar Bernd stolpert bei seinem Besuch erst mal über einen Gartenschlauch. Seit einem Autounfall ist er gebehindert, frühverrentet und geschieden. Genug Stoff für die lieben Nachbarn, sich über ihn lustig zu machen. Sein Haus fällt etwas aus dem gutbürgerlichen Rahmen. Die Markise hängt runter, leere Bierflaschen liegen im Garten herum. Stylisch geht es bei den vierten Reihenhäuser-Besitzern zu, dem jungen Pärchen Lisa und Tim. Wie die sich das alles leisten können, andauernd in Urlaub und teure Klamotten, das bewegt den Rest der Truppe.
„Das ist ja ein Witz“, ist der Kommentar, den Bernd (Rudolph Weber) lebensecht verbittert über die Bühne humpelnd gerne äußert. Der Lieblingsspruch von Julia (Grit Hoh) lautet: „Wir ham’s nich so dicke“. Zum gemeinsam Grillen hat sie Sekt vom Discounter mitgebracht, ein Sonderangebot. Dann tauchen Lisa (Marie-Luise Ette) und Tim (Leonhard Mink) mit einem Knalleffekt auf, einem Maulwurfshaufen. Daran sind nur die neuen Nachbarn, die Krauses mit ihrem ungepflegten Garten, schuld, da sind sich alle sofort einig. Sven Kube überzeugt als cholerischer Wutbürger Hans sehr lautstark und flippt bei jeder Gelegenheit so richtig aus.
Das nächste Treffen findet bei „Hinkefuss“ Bernd statt, jedes Grundstück wird im Laufe des Abends mal zur eigenen Bühne auf der großen Bühne. Dabei reden die Frauen über die Nachbarn, die Kinder und sagen beim „Sektchen“ nie nein. Die Männer bevorzugen ein Bier. Alkohol wird immer gemeinschaftlich und durchaus auch in großen Mengen konsumiert. Mit dem unberechenbaren Hans, der seiner Wut einfach freien Lauf lässt, hat Ehefrau Karin ihre liebe Not. Tamara Dierkson spielt diese Rolle sehr authentisch und präsent. Es entwickeln sich starke Szenen, wenn Hans wieder ausfallend wird und der Rest betreten schweigt. Julia beschwert sich über die aufmüpfige Tochter Lara und findet, dass ihr Mann Stefan (Matthias Nitsch) mehr durchgreifen müsste. Der Bedenkenträger ist gerne um Ausgleich bemüht auch bei den Maßnahmen gegenüber den Krauses ist er anfangs skeptisch: „Das ist doch der Lehrer von der Lara“.
Die Eskalationsstufe steigt, als Löwenzahnsamen durch die Luft niederschweben. „Krause, jetzt reichts“, brüllt Hans lautstark, der auch nicht davor zurückschreckt handgreiflich zu werden. Alle sind sich einig, diese Krauses, die in ihrem Garten einfach alles wachsen lassen wie es will, stören. Diese „Löwenzahnterroristen“ müssen weg. Eine Unterschriftensammlung wird organisiert: „Wenn ihr Garten in einer Woche nicht so aussieht wie unsere, bringen wir sie vor Gericht“. Das Publikum bekommt die „Öko-Fuzzis“ Krause nie zu Gesicht, dafür für aber eine Siegesfeier im Garten von Lisa und Tim, als Wochen später der Umzugswagen rollt. „Die Krauses machen die Sause“, grölt Hans zufrieden. Die Plattmachaktion war also erfolgreich, auch wenn Bernd alles ausbaden musste. Doch das dicke Ende kommt noch, und schuld daran sind ausgerechnet Rosenstöcke. In diesem bitterbösen Stück hält Fitzgerald Kusz der Gesellschaft satirisch und mit drastischen Worten den Spiegel vor. Es ist nicht alles Gold, was glänzt, und auch in einer gepflegten Reihenhaussiedlung können Abgründe lauern.
Die Licht- und Tonregie hat bei dieser Produktion alle Hände voll zu tun. Angefangen vom „Hit-Radio TiP“, das immer wieder dudelt, bis zum Polizeieinsatz mit Martinshorn und Blaulicht. Zum Schluss zieht ein infernalisches Gewitter auf. Mit viel Engagement und pfiffigen Einfällen haben Inge und Kurt Hame für passende Kostüme und Requisiten gesorgt, als Regieassistentin ist Brigitte Martin im Einsatz. Am Gelingen der Aufführung hat auch das Bau- und Technikteam, bestehend aus Sven Hochwitz, Ralf Müller, Thomas Bingenheimer, Jörg Wessels und Arnold Nell, großen Anteil.
!Karten für „Unkraut“ im Theater im Park der Klinik Hohe Mark, Friedländerstraße 2, gibt es im Vorverkauf im Ticketshop Oberursel, Kumeliusstraße 8, unter der Hotline 069-1340400 oder im Internet unter www.frankfurt-ticket.de zum Preis von 22 Euro. An der Abendkasse beträgt der Eintritt 30 Euro. Die Aufführungstermine sind bis 13. August freitags und samstags um 20 Uhr, der Catering-Bereich öffnet ab 18.30 Uhr.