Kommunikationsmittel und Sammelobjekt: die Humorkarte

Oberursel (fch). Regina und Dirk Streitenfeld haben Ende November ihr zweites Buch veröffentlicht. Bereits der Titel „April, April!“ gibt einen ersten Hinweis auf den Inhalt. Es geht zwar nicht um die witzigsten Aprilscherze, aber um „Lachen á la carte“ und „Humor auf historischen Postkarten“. Ein 120 Jahre altes Genre, dem bisher im deutschsprachigen Raum noch kein Buch gewidmet war.

Dies ist erstaunlich, wenn man bedenkt, dass historische Humorpostkarten Vorläufer für die Gestaltung von Cartoons sind. Dirk Streitenfeld, Maler, Grafiker und Galerist im Unruhestand, hat im Gegensatz zu seiner Frau schon immer ein Faible für Scherzkarten. Gemeinsam mit der Pädagogin und Künstlerin Regina Streitenfeld stellte er in der „Galerie Streitenfeld“ von 1992 bis 2014 Werke internationaler Künstler aus. Darunter Karikaturen, Comics und Komische Kunst. Zwar hat Regina Streitenfeld weniger Spaß am derben Humor, dafür umso mehr am Sammeln. Und dazu hatte sie in den vergangenenen 44 Jahren mehr als reichlich Gelegenheit.

Begonnen hat alles 1976 im Urlaub in der Bretagne. Da entdeckte das Ehepaar in einem Souvenirladen in Quimper eine Scherzpostkarte mit einer ebenso derben wie witzigen Botschaft. Da stehen sich in einem Teich ein Hund und ein nackter Mann gegenüber. Der Hund erkennt die frappante Ähnlichkeit zwischen sich und dem Hoden des Mannes, den er freudig mit „Papa!“ begrüßt. Die Reaktion der peinlich berührten Verkäuferin im Touristenshop weckte bei den Oberurseler Urlaubern das Interesse an Humorpostkarten. Fündig wurden sie vor allem in französischen Urlaubsregionen, aber auch in Finnland und auf Flohmärkten in der Region. Später erweiterten sie ihre Suche, fanden historische Postkarten auf Postkartenbörsen, in Spezialläden, bei Briefmarkenauktionen und im Internet.

Sammlung von 4500 Postkarten

„Wir wollten einfach nur sammeln und dann irgendwann das Material sichten“, sagt Regina Streitenfeld. Mit jeder Karte kamen neue Motive und Humorrichtungen dazu. Heute besitzen sie mehr als 4500 Postkarten, von denen es mehr als 960 Karten ins Buch schafften. Sie kommen vor allem aus Deutschland, Europa und den USA. Geordnet sind die historischen Humor-Postkarten im Buch nach 19 Themenbereichen. Die Bandbreite reicht von Geschlechtern, Flirt, Liebe und Heirat über Reisen, Sport, Spiel und Musik bis zu Recht und Gesetz, Politik und Propaganda. „Ein Schwerpunkt unserer Postkarten-Sammlung liegt auf dem Kurwesen“, informiert Dirk Streitenfeld. So sei im Zuge der Reform des Gesundheitswesens Anfang des 20. Jahrhunderts eine Kur nicht mehr nur für Reiche erschwinglich gewesen, sondern für alle. Es gehörte zum guten Ton den Lieben daheim eine Ansichts- oder Humorpostkarte zu senden. Und so ist ein Buchkapitel dem Thema „Kur und Figur“ gewidmet. Die ältesten Postkarten der Sammlung Streitenfeld stammen aus den 1880er-Jahren, die meisten aus der Zeit von 1900 bis in die 1960er-Jahre sowie einzelne aus den 1970er- und 1980er-Jahren. Aus urheberrechtlichen Gründen fehlen jüngere Postkarten.

Im Jahr 2000 kauften die beiden Sammler sich für ihre Karten Alben mit klaren Kunststoff-Einlegblättern. Ins Blickfeld gerieten so auch die Rückseiten der Postkarten, deren humorvoll verfasste Aussagen einen Bezug zum Bildmotiv nahmen. Um Kriterien für eine sinnvolle Aufbereitung ihrer Postkartensammlung aufzustellen, gründete sich der Arbeitskreis „Historische Humor-Postkarten“. Zu den sechs Mitgliedern, die Texte zur Geschichte und Entwicklung der Postkarten beisteuerten, gehören die Freiburger Linguistik-Professorin Helga Kotthoff („Stabilität (Kontinuität) und Wandel der Humorstrategien im Text-Bild-Bereich der Postkarte“), der Koblenzer Sprachwissenschaftler Hajo Diekmannshenke („Eine kurze Geschichte der Postkarte“) und der Kunstdidaktik-Professor und bekannten Comicforscher Dietrich Grünewald („Eine witzige Geschichte. Erzählende Humorpostkarten und ihre Anforderung an den Betrachter“).

Im Buch ausgeklammert sind die in den 1930er- und 1940er-Jahren in Deutschland populären völkischen Postkarten. Dieser reaktionären Strömung gaben die Herausgeber keinen Raum in ihrer Publikation, an der sie zwei Jahre lang arbeiteten. „Der Übergang vom Sprachbild hin zum visuellen Abbild sorgte zu Beginn des 20. Jahrhunderts für die Hochzeit der Bilderfindung auf Postkarten.“ Bis heute gängige Beispiele finden sich im Storch-Motiv, im Nestbau-Motiv, im Leere-Taschen-Motiv oder im bereits seit dem 16. Jahrhundert verwendeten Manneken-Pis-Motiv. „Die heutige Werbung greift gern auf vorhandene Bild-Ideen zurück, denn tradierte Bildmuster gewährleisten im hohen Maße große Verständlichkeit.“ Schräge bis frivole Motive finden sich heute vor allem auf Trinkgefäßen. „Bei der Aufarbeitung historischer Humorpostkarten haben wir einen kulturellen Schatz gefunden.“ Das im Weerd & Weber Verlag gedruckte Buch ist im Buchhandel und direkt bei den Autoren unter Telefon 06171-56141 erhältlich.



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