Künstliche Intelligenz im Kulturcafé

Zur Lesung am Montagabend kamen nach Angaben des Veranstalters – der Katholischen Erwachsenenbildung Hochtaunus – über 50 Gäste. Moderatorin Margit Schesinger-Stoll im Gespräch mit Michael Wildenhain.Foto: dsp

Von Detlev Spierling

Oberursel. Kann so genannte starke KI in nicht allzu ferner Zukunft möglicherweise ein eigenes Bewusstsein entwickeln und dann zu einer Gefahr für uns werden – oder nicht? Bei der Lesung des Autors Michael Wildenhain aus seinem Buch „Eine kurze Geschichte der Künstlichen Intelligenz“ am Montag-abend im gut besuchten Kulturcafé Windrose ging es um diese und andere anspruchsvolle Fragen zum Thema.

Eingeladen zu dieser Lesung hatte die Katholische Erwachsenenbildung Hochtaunus, was als Indikator dafür gewertet werden kann, dass es heute faktisch keinen gesellschaftlichen Bereich mehr geben dürfte, der von dem Thema KI noch unberührt geblieben wäre.

Wer präzise und fachlich fundierte Aussagen zum aktuellen Entwicklungsstand mit konkreten Praxisbeispielen aus der generativen KI wie der populären Lösungen ChatGPT erwartet hatte, wurde am Montagabend jedoch enttäuscht. Wildenhain nähert sich dem Thema stattdessen aus historisch-literarisch-philosophischer Sicht, womit er auch die Erwartungen der überwiegend älteren, weniger digital-affinen Zuhörer im Kulturcafé erfüllt haben dürfte. „Als Philosoph und Informatiker beschäftigt sich Wildenhain mit möglichem Bewusstsein und Emergenz von KI und der Frage, was der Mensch ihr erlaubt“, heißt es in der Buchbeschreibung des Verlags Klett-Cotta. Den Schlüsselbegriff „Emergenz“ erwähnte der Autor auch mehrfach, seine wolkige Erklärung dieses Fremdwortes dürfte die meisten Zuhörer allerdings eher ratlos zurückgelassen haben.

„Emergenz“ im Kontext von KI

Was liegt also näher als die derzeit wahrscheinlich beste, frei zugängliche KI-Suchmaschine einmal nach einer Definition dieses Fachbegriffs zu befragen? In der überzeugenden Antwort von ‚perplexity.ai‘ heißt es unter anderem: „Emergenz im Kontext von KI beschreibt das Phänomen, bei dem KI-Systeme unerwartete Fähigkeiten oder Verhaltensweisen entwickeln, die nicht explizit programmiert wurden. Diese neuen Eigenschaften entstehen durch die komplexe Verknüpfung von Datenpunkten und sind weder linear noch vorhersehbar.“ Dies werfe „auch ethische Fragen auf, insbesondere in sicherheitskritischen Anwendungen, Gleichzeitig bietet sie Potenzial für innovative Problemlösungen in Bereichen wie Wissenschaft und Wirtschaft.“

Unter Angabe der entsprechenden Quellen nennt ‚perplexity.ai‘ drei Beispiele hierfür: Erstens: „Eine Google-KI, die sich selbstständig Bengali beibrachte, ohne speziell dafür trainiert worden zu sein“, zweitens: „KI-Systeme, die in Rollenspielen unerwartete Strategien entwickeln, die selbst Entwickler überraschen“ und drittens „Sprachmodelle wie GPT, die neue Assoziationen durch statistische Nähe von Wörtern schaffen, ohne ein echtes Verständnis zu haben“.

„Fremde“ Intelligenz

Im Gespräch mit Moderatorin Margit Schesinger-Stoll bevorzugte Wildenhain den Begriff „fremde“ statt „künstliche“ Intelligenz, während viele KI-Experten stattdesen präziser von „algorithmischer“ Intelligenz sprechen. Der Autor erinnerte daran, dass KI bei uns noch bis in die 70er Jahre als „Expertensysteme“ bezeichnet wurde.

Als erster Wissenschaftler hatte John McCarthy, der Erfinder der Programmiersprache Lisp (List Processing), schon 1955 – also vor 70 Jahren – den Begriff „Künstliche Intelligenz“ geprägt beziehungsweise verwendet Und natürlich gehört zur Entwicklung der KI wie überhaupt der IT der Name Alan Turing (1912-1954). Der britischen Mathematiker gilt als einer der einflussreichsten Theoretiker der frühen Computerentwicklung und Informatik. Während des Zweiten Weltkrieges hatte er mit seinem Team die Funksprüche des Nazi-Regims entziffert, die mit der legendären Chiffriermaschine Enigma verschlüsselt wurden.

Mit seinem betont philosophisch grundierten Blick auf das Thema KI lieferte der Autor den Zuhörern am Montagabend durchaus interessante und auch ungewöhnliche Denkanstöß für eine kritische Auseinandersetzung mit der weiteren Entwicklung der Künstlichen Intelligenz, an der – soviel steht fest – niemand mehr vorbeikommt.

In einer möglichen Neuauflage und Fortschreibung der kurzen Geschichte der Künstlichen Intelligenz in ein paar Jahren wird dann auch hoffentlich die Initiative „OpenGPT-X“ eine wichtige Rolle spielen. Hinter dieser Initiative stehen das Deutsche Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz, zwei Fraunhofer-Institute und andere wichtige Akteure wie der deutsche KI-Hoffnungsträger Aleph Alpha aus Heideberg – Anbieter so genannter kleiner Sprachmodelle. Sie haben mit „Teuken-7B“ gemeinsam ein großes KI-Sprachmodell „Made in Germany“ entwickelt. Es zeichnet sich nach Anbieter-Angaben durch „Vielseitigkeit, Vertrauenswürdigkeit, Mehrsprachigkeit und Offenheit“ aus und ist ab sofort Open Source verfügbar, heißt es auf der Webseite https://opengpt-x.de. Im Wettbewerb mit den KI-Systemen der großen US-amerikanischen Anbieter OpenAI, Google, Microsoft und Co ist es im Hinblick auf unsere digitale Souveränität unverzichtbar.



X