Mit Michael Thiele geht mehr als nur der Chef

Michael Thiele könne auf sein Lebenswerk stolz sein, versichert ihm Jürgen Feucht (v. l.) bei der Verabschiedung aus den Diensten des Internationalen Bundes. Foto: Pfeifer

Oberursel (pit). Michael Thiele ist nach 35 Jahren in den Ruhestand verabschiedet worden. Erleichert wurde ihm der Wechsel aus dem Berufsleben durch eine große Feier. Viele Freunde, Kollegen und Weggefährten des gebürtigen Stierstädters waren dabei. Einige kamen zu Wort und beleuchteten aus ihrer jeweiligen Sicht ganz unterschiedliche Facetten des Diplom-Pädagogen für Heilpädagogische Einrichtungen, der zu Beginn der 1980er-Jahre eine Tätigkeit beim Internationalen Bund Oberursel aufnahm. Sowohl menschlich als auch beruflich.

„Unsere gemeinsame Geschichte ist nur drei Jahre alt“, meinte Jürgen Feucht, Geschäftsführer der IB Südwest gGmbH. Doch sie war offenbar recht intensiv. Er erinnerte an eine gemeinsame Zwei-Mann-Klausur mit Fahrradunfall, an die Oberurseler Gastfreundschaft und besonders lebendig an Michael Thiele als Diskussionspartner. Direkt sei er, logisch, ausdauernd und ein rhetorisches Talent, dabei ehrlich und authentisch. „Man könnte sein bemerkenswertes Vokabular auch sportlich-militärisch bezeichnen“, führte Feucht lächelnd weiter aus. Denn regelmäßig seien in Gesprächen Ausdrücke wie „Staffelholzübergabe“, „eisenharter Vorstopper“ oder „Blutgrätsche“ gefallen. Gleichzeitig konnte er nicht umhin, festzustellen, dass Michael Thiele immer wieder mit unterschiedlichen Prognosen Recht behalten habe, und: „Sein Umgang mit den Klienten hat mich stets beeindruckt.“ Mit seiner Passion habe er viel für deren größtmögliche Selbständigkeit erreicht, und er könne außerdem auf seine Mannschaft und sein Lebenswerk bei der Behindertenhilfe im IB stolz sein.

Stefan Guffart, Vorstandsvertreter des IB in Deutschland, erinnerte an die Auswahl Michael Thieles für den Internationalen Bund: „Die Mitarbeiter des Oberurseler Wohnheims waren auf den Diplomierten Sonderpsychologen in Psychiatrie in Weilmünster aufmerksam geworden.“ Sie seien von Michael Thiele und seinem Konzept so begeistert gewesen, dass sie gesagt hätten: „Den müssen wir haben!“ Somit hätten die Kollegen ihren Chef selbst ausgewählt, was eigentlich ziemlich modern gewesen sei. Über Thiele selbst meinte Stefan Guffart: „Er hatte immer klare Vorstellungen, wie man Menschen fördert und betreut. Sein Credo lautet: Alle Menschen sind lernfähig. Und das war in den 80er-Jahren nicht selbstverständlich.“

Mit seinem Eintreten in den IB habe eine gewaltige Expansionsphase begonnen. Immerhin startete Michael Thiele mit 16 Mitarbeitern. Dann erhielt er den Auftrag, die Behindertenhilfe des IB in Hessen und später im gesamten Bundesgebiet aufzubauen. Es wurden Wohnungen angemietet, Einrichtungen gebaut, so dass heute allein in Hessen 800 Mitarbeiter in den vielen Diensten und Einrichtungen des IB tätig sind.

Hervorgehoben wurde darüber hinaus, dass sich Michael Thiele aufgrund seiner persönlichen Geschichte als Kind von vertriebenen Eltern aus Niederschlesien für Menschenrechte und Demokratie einsetzte: „Er initiierte die Karawane 2000.“ Diese habe in Hadamar, dem Ort der Ermordung von Menschen mit Behinderung durch die Nationalsozialisten, angefangen und führte bis zum Abschluss in Assisi. Auch in der Knesseth habe er in diesem Zusammenhang sprechen und sein Anliegen vortragen dürfen. Alles in allem sei Michael Thiele „ein leuchtendes Beispiel für Vielfalt, Stärkung des Einzelnen, Inklusion und eine demokratische Gesellschaft“, so Stefan Guffart. Er wünschte ihm auch im Namen der Vorstandskollegen „einen glücklichen und zufriedenen nächsten Lebensabschnitt“.

Betriebsratsvorsitzender Reinhold Herzog wiederum meinte: „Die Geschichte der Behindertenhilfe ist die Geschichte von Michael Thiele oder umgekehrt.“ Er habe stets dafür gearbeitet, Menschen aus den Psychiatrien in die Gesellschaft zu holen. Mit seinem organisierten Wesen habe er Menschen zusammengebracht, stets habe ein kollegialer Geist durch das Haus in der Bommersheimer Straße gewabert.

Messdiener zusammen mit Brum

Bürgermeister Hans-Georg Brum konnte im Verlauf dieser Feier wohl die am längsten zurückliegenden Erinnerungen an Michael Thiele hervorzaubern. Beide kennen sich schon seit über 60 Jahren, denn wir „kommen beide aus dem Dorf Stierstadt“. Sie seien beide Messdiener gewesen, gingen zur gleichen Schule, spielten miteinander Fußball und machten beide Politik und Musik. „Du warst immer ein Typ, der eine Vision hat, seine Meinung äußert, gerne provoziert, sehr ehrgeizig ist, quer denkt, machtvoll auftritt, und konzentriert an dem arbeitet, was ihm wichtig ist“, lautete die kurz gefasste Personenbeschreibung des Rathauschefs. Darüber hinaus würdigte er die Leistung Michael Thieles: „Du hast Großes am IB geleistet, das konnte ich allein schon baulich verfolgen.“ Diese Entwicklung sei sehr positiv – auch für Oberursel und das weltoffene und inklusive Klima in der Stadt. Brums augenzwinkernder Abschiedsgruß an den künftigen Unruheständler: „Alt ist man erst, wenn der Bürgermeister zum Gratulieren kommt.“

Langjährige Verbundenheit mit Michael Thiele wurde auch bei den Worten von Maren Müller-Erichsen, Landesbeauftragte für Menschen mit Behinderungen, deutlich: „Die Vorstellung, dass Du jetzt in den Ruhestand gehst, fällt mir total schwer.“ Sie habe ihn als sehr engagierten Menschen kennengelernt, der seine Meinung sagt: „Für mich war spannend, dass Menschen, die mit Behinderten arbeiten, auch in der Politik tätig sind.“ Dabei habe sie viel von ihm gelernt.

Für die Kollegen trug Monika Schumann noch eine Facette Michael Thiele bei: „Du bist vielleicht nicht der beste Chef, doch Du bist ganz vorn bei den Guten dabei.“ Er habe stets nach der Devise gehandelt, dass man sich nur an seinen persönlichen Grenzen weiter entwickelt: „Dahin hast Du uns immer getrieben.“ Und dabei immer den behinderten Menschen im Blick gehabt.



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