Oberursel (ow). Die Klasse 9g des Gymnasiums Oberursels von Ruth Kamin-Groß hat kürzlich an einem Präventionsworkshop zum Thema häusliche Gewalt teilgenommen. Unter dem Motto „Warnsignale“ wollten Sebastian Göbel und Carla Horstkamp bei den Jugendlichen ein Bewusstsein dafür wecken, wie man häusliche Gewalt schon früh erkennen kann, bevor man zum ersten Mal in eine Beziehung geht.
Göbel, der als Berater mit Männern arbeitet, die im häuslichen Bereich Gewalt ausgeübt haben, und Horstkamp von der Beratungsstelle „Frauen helfen Frauen – Hochtaunuskreis“, die Frauen, die häusliche Gewalt erfahren haben, betreut, hatten den Workshop auf Basis des Comic-Tagebuches „Und das soll Liebe sein?“ von Rosalie Pennfold entwickelt. Die Autorin, die von Beruf Grafikerin ist, hat in ihrem Werk die eigenen leidvollen Erfahrungen ihrer zehnjährigen gewaltvollen Beziehung festgehalten und verarbeitet, indem sie in einer Art gezeichnetes Tagebuch die Situationen gemalt hat, für die sie keine Worte fand. In dem Workshop wurden nun anhand der Comics die Warnsignale herausgearbeitet.
Auf Grund ihrer beruflichen Erfahrung berichteten die beiden Workshopleitenden, dass man mit dem Thema „häusliche Gewalt“ gar nicht früh genug anfangen könne. Ihr Ziel sei es, dass die Jugendlichen sensibilisiert dafür seien, ein Bauchgefühl zu bekommen, wenn etwas schief laufe in einer Beziehung. In Deutschland gebe es laut Bundeskriminalamt etwa 150 000 Fälle häuslicher Gewalt pro Jahr, wobei die Dunkelziffer sicherlich noch höher liege. Dies entspreche etwa 400 Fällen pro Tag. 80 Prozent der Betroffenen seien Frauen. Es sei ein schleichender Prozess hinter geschlossenen Türen. Das blaue Auge komme oft erst am Schluss, denn die Gewalt fange meist viel früher mit psychischer Gewalt an.
Im Anschluss an diese Einführung wurden die Schüler in drei Gruppen aufgeteilt und bekamen jeweils einen der Comics aus dem Buch zugeteilt. In der Auseinandersetzung damit sollten sie analysieren, inwieweit ein vorher definierter „Herzwert“ in bestimmten Kommunikationssituationen noch Beachtung findet. Anschließend präsentierten sie ihren Comic und ihre Ergebnisse im Plenum. Die beiden Workshopleitenden ergänzten dabei die Einschätzungen der Jugendlichen mit ihren beruflichen Erfahrungen. Abschließend wurde noch der Gewaltkreislauf vorgestellt.
Die beiden Workshopleitenden ergänzten dann noch weitere Beispiele. So sei Gewalt nicht immer gleich körperlich und somit offensichtlich. Oft gebe es auch ökonomische Gewalt (Geld als Druckmittel), soziale Gewalt (Fernhalten von Bezugspersonen) oder sexualisierte Gewalt („Ich gebe dir das nur, wenn du mit mir schläfst.“) Überall, wo die gleiche Augenhöhe verlassen und die Gleichberechtigung aufgehoben werde, beginne die Gefahr. Wenn diese Warnsignale, die vom Umfeld oft übersehen würden, beachtet würden, müsse die Beziehung nicht in häuslicher Gewalt enden.
Für die Jugendlichen sei es wichtig, sensibilisiert für diese Warnsignale zu sein, auf das eigene Bachgefühl zu hören und auch als Neuverliebte nicht zu viele Kompromisse einzugehen und zu Dingen bereit zu sein, die man eigentlich nicht möchte.
Betroffene Personen brauchen im Schnitt sieben Jahre, um sich aus solch einer Partnerschaft zu lösen, warnten Horstkamp und Göbel.
Zum Gewaltkreislauf komme es meistens, wenn nach der ersten schönen und verliebten Zeit die Beziehung durch Eifersucht oder Ungleichheit kippe. Ereignisse wie Jobverlust, oder Stress könnten die Spannung in einer Beziehung steigern, es komme zur Gewalt. Diese sei ein Ventil. Viele Gewaltausübenden bauten darüber Druck ab, dann komme oft das Erschrecken und die Reue. Die Person, die Gewalt erfahre, suche oft die Schuld bei sich. Es komme zu Vermeidungsstrategien, die Spannung steige wieder und damit vergingen Jahre. Am Ende des Workshops gab es noch eine 15-minütige Fragerunde und im Anschluss wurden an die Jugendlichen noch Informationen zu Hilfsangebote ausgeteilt.