Pralle Schau über Handwerk und Handel

Perfekter Spielplatz bei perfektem Spätsommerwetter, wenn man sich nicht für Gaumenfreuden oder Kindertanzen begeistert: die Wasserspiele auf dem Jürgen-Ponto-Brunnen zwischen Rathaus und Stadthalle. Fotos: js

Von Jürgen Streicher

Oberursel. „Herzlich willkommen in Oberursel“. Der freundliche Gruß stand nicht nur auf Plakaten und Transparenten, er lag beim 24. Herbsttreiben irgendwie überall inder Luft.

Von „hessisch bis international“ wollte sich die Stadt präsentieren, das „24. Herbsttreiben“ in den Straßen und auf den Plätzen, in Geschäften und auf den Märkten dürfte in der positiven Punkteskala auf der ewigen Rangliste weit oben stehen. Die Sonne lacht den Guten, für Handel und Handwerk war das Wetter der perfekte Hintergrund.

Edelstahl hat eine Halbwertzeit von 2600 Jahren, sagt Dirk Velte. Die Anzahl der Innungsbetriebe in der Branche der Metallbauer, Metallgestalter und Schmiede im Hochtaunus- kreis hat sich binnen 14 Jahren von 80 auf 40 halbiert. Warum? Weil die alten Meister keine Nachfolger finden, wenn es Zeit für den Ruhestand ist. Und sich nicht auf neue Anforderungen einstellen.

Gesicht zeigen

Innungsobermeister Dirk Velte ist auch Euro-Schweißfachmann und Betriebswirt des Handwerks, seine „metallmanufaktur“ im Oberurseler Gewerbegebiet ist auch Kunstschmiede. Familienbetrieb in dritter Generation, wachsend mit 21 Mitarbeitern. Bereit für die Änderungen am Markt und die neuen Wünsche der Kunden. Und immer dabei beim „Herbsttreiben“.

Auf dem Epinay-Platz bestimmen Handwerksbetriebe das Bild. Haben die ihre schmucken Zelte und Stände aufgebaut, die immer da sind. Das Pflanzenland Krammich aus Bommersheim, der Raumausstatter Bender aus Stierstadt, Elektro Ressler, der Dachdecker Oeckel, drei Firmen, die Bäder und Wärmetechnik im Programm haben und noch ein paar mehr. Ein knappes Dutzend Firmen gestalten den Handwerkermarkt beim Herbsttreiben. Wo sind die anderen? Da zuckt Dirk Velte die Schultern. „Wir machen Werbung, wir laden jeden ein, uns gemeinschaftlich zu zeigen. Das kostet halt Einsatz, Zeit und auch ein bisschen Geld. Man muss präsent sein, Gesicht zeigen“, ist die Devise von Dirk Velte. Am Stand der Metallmanufaktur ist immer was los, Veltes Sohn Tim Fischer zeigt vor Ort, wie Plasmaschneiden mit einem Lichtbogen funktioniert. Darf’s ein Eintracht-Adler sein oder ein Bembel für den Apfelweinfreund, binnen Minuten ist das kleine Kunstwerk auf der Edelstahlplatte fertig. Auf Fischers Visitenkarte steht „Art and Design“, Zeugnis für den zweiten Weg des traditionellen Handwerks und ein Baustein seiner Zukunft, wenn er den Traditionsbetrieb einst übernimmt.

Als traditionelle „Leistungsschau von Handel und Handwerk“, aber auch der Gastronomie, kündigt der Veranstalter, das Forum der Selbständigen Oberursel „fokus O.“, das alljährliche dreitägige bunte Treiben im Herz der Innenstadt und auf dem historischen Marktplatz an immer wieder an. Tausende potenzielle Kunden von Handel und Handwerk strömen an goldenen Frühherbsttagen wie am vergangenen Wochenende in die Stadt. Ein passender Moment also, ihnen den roten Teppich auszurollen, der in der Unteren Hainstraße tatsächlich vor den Geschäften liegt. Wo man sich etwa in der Ideenwerkstatt „i-Punkt“ mit dem Vorsingen eines Liedes 20 Prozent Rabatt verdienen kann. Gute Idee.

Die Schwerpunkte der Leistungsschau haben sich leicht verschoben, immer mehr liegt der „fokus O.“ auf dem Handel und vor allem dem Gastro-Bereich. In beiden Bereichen müssen sich die Ortsansässigen gegen fliegende Händler und die mobile moderne Food-Szene behaupten. Aus Frankreich und Italien werden Spezialitäten für stolze Preise aufgetischt, Bergkäse aus den Pyrenäen und Wurst vom Reh und Fasan mit Cognac, Olivenöl aus Apulien und dazu ein Primitivo aus der potenziellen neuen Partnerstadt Gioia del Colle. An deren Stand ist die Verschwisterung schon fast vollzogen. Gioia und die Ursel im Wappen von Oberursel reichen sich auf einer Foto-Collage die Hand.

Städtern das Landleben beibringen

Bewahrer des Landlebens von einst und typischer Bauerntradition mit Holzspalter und Feldküche sind die Jungs in den grasgrünen Poloshirts vom Landwirtschaftlichen Förderverein Oberursel (LFO). „Der Stadtbevölkerung ein wenig das Landleben beibringen“ sei die selbstgestellte Aufgabe, so Roman Henrich, Kartoffelbauer im Nebenberuf. Mit Wolfgang „Richie“ Müller präsentiert er tolle Trecker und auch skurrile Relikte aus alten Tagen wie Skelettteile von Tieren, Andreas Ruppel hat zwei lebende Pferde mitgebracht. Einige Traktoren der neuen Generation dienen plötzlich einem andern Zweck. Statt Betonblöcke oder Wasserbehälter versperren sie die Zufahrt zum Marktplatz auf zwei Seiten. Vor der Altstadtkulisse im „Hessendorf“ ist rustikale regionale Kost angesagt. Und vor allem Äppelwoi in mindestens 22 Facetten. Hier küren sie am Sonntagabend nach der „Vertestigung“ des Stöffchens aus 22 Ballons den neuen Apfelweinkönig. Die auswärtigen Gäste sind da schon längst wieder verschwunden.

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