Wo das Rotkäppchen mit den Wölfen tanzt

Zur Eröffnung der Fastnachtsitzung des Karnevalvereins CluGeHu marschieren die „Mini-Garde“ und die „Große Garde“ vor den Elferrat und zeigen von Beginn an perfekte Haltung beim synchronen Tanzauftritt. Foto: ne

Von Nele Cramer von Laue

Oberursel. Es war ein bisschen wie im Dschungel. Schaute man sich um, blickte man nicht nur auf Gardehüte auf den Köpfen der Gäste bei der Sitzung des Karnevalvereins „Club Geselligkeit Humor“ (CluGeHu): Teufelshörner, quietschgrüne Perücken, jede Menge Paillettenhüte, ein Regenbogen-Irokese und ein Pirat saßen zusammen und tranken gezapftes Glück. Auch vor Beginn des Programms war die Turnhalle Weißkirchen mit Musik gut beschallt und der DJ zeigte dazu live sein Gesangstalent.

In der festlich mit Girlanden, Lichterketten, bunten Ballons und von der Decke hängendem Lametta geschmückten Halle standen am Samstag lange Tische bereit, um alle Weißkirchener, Oberurseler und andere Karnevalisten zusammenzubringen und die nach zwei Jahren Coronapause endlich wieder ordentlich Fastnacht zu feiern. Die Uhr zeigte 19.11 Uhr, als sich die Scheinwerfer auf die Bühne richteten. Die „Clubsänger“ in voll ausgestatteter Gardetracht eröffneten den Abend mit einem „Inthro-Lied“, und die Stimmung im Publikum begann hochzufahren, denn „unsre Fastnacht ist im vollen Lauf!“.

Nur wenige Augenblicke später marschierten die „Mini-Garde“ sowie die „Große Garde“ gemeinsam auf die Bühne. Strahlendes Lächeln, aufrechte Haltung und synchrone Schritte begeisterten das jubelnde Publikum. Mit flotten Sprüngen und Drehungen präsentierten darauf die jungen Tänzerinnen der „Mini-Garde“ den ersten Tanz des Abends. Dann: ein Musikwechsel, die große Garde übernahm die Bühne. Ein Trompeten-Cover von Lady Gagas „Papparazzi“ und lauthals Unterstützung des Publikums durch Mitklatschen im Takt und anfeuerndes Gepfeife begleitete den Tanz der großen Mädels bis zur Schlusspose. Ein enthusiastisches „Helau“ der großen Garde und ein etwas zarteres „Helau“ der Mini-Tänzerinnen bekam das Publikum am Ende noch zu hören.

Nach der lebhaften Vorstellung folgte Thomas Poppitz vom Bommersheimer Carneval Verein (BCV) mit seinem „Protokoll“. Als „Stempelmacher“ hielt sprach er besonders diplomatisch Kritik an deutscher Politik und Gesellschaftsnormen aus. Tja, denn „darf man bei den Paschas im Kindergarten Respekt gegenüber Erziehern erwarten“? In diesem Sinne also bitte nicht vergessen: „Wieso, weshalb, warum, wer Olaf fragt, bleibt dumm“ und nun zusammen „Uiuiui, auauau“.

Nach viel Satire auf Hessisch hieß es „Bühne frei für unsere Flamingos“. Im pinken Tüllrock und mit rosa Kopfschmuck tanzten die „Minis“ eine perfekt synchrone Choreographie – mit kleinen hilfreichen Handgesten vom Bühnenrand – und beendeten diese mit einer sicheren Menschenpyramide – lauter Jubel und nicht endender Beifall.

Außer Sprüngen und Hebefiguren zur Musik mussten natürlich auch andere Traditionen fortgeführt werden, um den Mitgliedern des Vereins angemessen „Danke“ für ihre treuen Dienste zu sagen. Das „goldene Vlies“ ist in der Fastnacht bekannt als einer der ältesten und höchsten Orden. Es wird einem Mitglied nach 25-jähriger aktiver Vereinsarbeit, oder auch für andere besondere Dienste in der Gesellschaft verliehen. Dabei ist es zeremonieller Brauch, dass die zu ehrende Person vor einen Vliesträger kniet und durch Ritterschlag in den fastnachtlichen Adelsstand aufgenommen wird. Auch dieses Jahr erhielt das Königshaus des Faschings drei neue Mitglieder und begrüßte Monika Stenz, Herbert Stenz und Anna-Lena Stenz im hohen Stand.

Nicht nur Gruppentänze wurden geboten. Antonia Köhne und Alexander Henzler sorgten mit einer Polka für frischen Wind und ein rissen das Publikum mit. Sie auf seinen Schultern sitzend – so betrat das Paar die Bühne und begann mit der wilden Vorstellung: Geschlagene Räder, perfekt gehaltene Hebefiguren und eine darauffolgende Drehung um die eigene Achse sowie synchrone Sprünge zur traditionellen Polka-Musik – da war der laut hörbare Wunsch des Publikums nach einer Zugabe nicht überraschend. Das Paar verließ die Bühne zum Schluss genau wie zu Beginn mit ihr auf seinen Schultern, die Treppe runter … und fort mit ihnen.

Dass man sich vor den Toren Frankfurt befindet, zeigte sich in regelmäßig zwischen den Nummern eingebauten Updates zum Spiel der Eintracht gegen Bayern. Ganz anders als die schnellen Jungs auf dem Platz humpelte Andreas „Andy“ Mohr als „Alter Fastnachter“ mit Gehstock als achte Nummer des Abends zum Rednerpult, um zu sagen, was er stets zu sagen hat. In seinem Vortrag sprach er über die Fastnacht und den Verein, vor allem darüber, wie es früher zuging. Dabei schien dem alten Mann eine Sache besonders wichtig zu sein: „Wo die Weiber in der Fastnacht zu sein haben und wo net.“ Mit abwinkender Hand und provozierenden Kommentaren sorgte er auf jeden Fall für gemischte Stimmung im Saal – ein „Buuh“ aus dem Publikum war an manchen Stellen nicht zu überhören.

Mit Schwung ging es heiter weiter durch das Programm mit einem Showtanz der „Midis“. Romantische und verträumte Musik begann zu spielen, und eine Gruppe von Rotkäppchen tanzte sich ihren Weg frei mit lieblichen, zarten Tanzschritten auf die Bühne. Es schien alles so unschuldig und freundlich, bis wie aus dem Nichts die Musik wechselte und eine Gruppe Wölfe die Bühne stürmte und die roten Kappen vertrieb. Raubtierähnliche Bewegungen wurden nun mit Gardetanzschritten kombiniert. Doch natürlich ging es nicht ohne ein Happy End, so tanzten die Rotkäppchen mit den Wölfen zum Schluss zusammen im Paartanz. Die vielen Höhen und Tiefen der erzählten Geschichte auf der Bühne machten dem Publikum sichtlich Spaß und ließen zwischen den Jubelrufen in bester Stimmung auch das „Zugabe“ durchhören.

Nach Verlassen des Märchenwaldes gab es noch ganz andere Dinge zu entdecken, vor allem neue Töne: „Um den Schlager hoch leben zu lassen“ breitete Holger Pritzer in seinem „Vortrag Musikalisch“ einige Argumente aus, weshalb der Schlager in uns allen das Beste zum Vorschein bringt. Allein den Rückblick auf alte Tage, in denen man am Samstagabend frisch gebadet und kuschelig eingepackt die Hits der Besten gehört hat, bescherte den Menschen im Raum nostalgische Gefühle. Mit seiner Meinung zu anderer Musik hielt Pritzer ebenfalls nicht hinterm Berg: Texte von „Kapitän Bra“ findet er wirklich nicht gut.

Der heiße Draht der Akteure und Vereinsmitglieder zu ihrem Publikum war über den gesamten Abend durchgehend spürbar. „Ich könnt euch alle knutschen“ rief Pritzer in den Saal, und die Menschen gaben ihm ihre Liebe durch den großen Beifall und Gejubel zurück.

Weißkirche, Helau!

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