Oberursel. Theaterträume. Im ersten Sommer Schillers „Don Carlos“ und schon damals die Vision vom ambitionierten Amateurtheater unter professioneller Leitung. Shakespeare, der „Sommernachtstraum“ natürlich, klassisches Drama, Zuckmayer und „Des Teufels General“, lustige Komödien, mal was Ernstes und immer wieder gern gesehener Gast Carlo Goldoni, der Meister der Commedia dell’arte. Schauspieler und Theaterliebhaber nennen den Namen Oberursel in einem Atemzug mit anderen bekannten Festspielstädten wie Bad Hersfeld und Heppenheim. Theaterträume? Wohl wahr, aber sie haben ihn gern geträumt, die Macher im Hintergrund, die Darsteller auf der Bühne und die kulturbeflissene Stadtgesellschaft. Mit Realismus und in Bescheidenheit, ohne den klaren Kopf zu verlieren, dem „Theater im Park“ hat das einen soliden 25. Geburtstag beschert.
Einen traumhafteren Platz hätten die Gründer für ihr Freilichttheater kaum finden können. Don Carlos, der Infant von Spanien, auf der Bühne, die Abendsonne wirft ihre Strahlen durch nicht zu eng stehende hohe Bäume auf die Spielfläche, wenn die schönen Tage von Aranjuez zu Ende gehen. Eine fast kreisrunde Lichtung in einem der hintersten Winkel des weitläufigen Parks am Haus der Gewerkschaftsjugend haben die Macher des Projekts als Spielort für das erste fest installierte Oberurseler Freilichttheater ausgesucht. Fünf schlanke Scheinzypressen, die mit in die Bühne integriert werden, begrenzen die Szenerie. Noch heute zieren sie das Logo vom „Theater im Park“ auf allen Werbeplakaten. Auf der anderen Seite, im Rücken der Zuschauer, erhebt sich ein schützender Abhang, der das Gefühl von Raum vermittelt, ohne einzuengen. Wenn die Sterne am Abendhimmel funkeln und die Mücken nicht gar so sehr beißen, ist der Theatertraum perfekt.
Auf harten Holzbänken musste das Publikum im Sommer 1994 im Zypressenhain sitzen. Eine großartige Premiere und ein Dutzend weiterer Aufführungen meist in lauer Nacht ließen darob keinen Schmerz aufkommen. Erste Verwegene sprachen sofort vom „Muss“, das „Theater im Park“ fest zu etablieren. Nach der zweiten erfolgreichen Saison mit Shakespeares „Was ihr wollt“ (mit leidlich bequemen Schalensitzen auf der Tribüne statt Holzbänken) wurde allenthalben schon von „Tradition“ gesprochen. So schön lassen sich Theaterträume inszenieren, im wunderschönen Park neben der Stierstädter Heide mit altem Baumbestand, etwas abgelegen von der Hektik der Stadt. Wo schon der angenehm beleuchtete Weg durch den Park zur Spielfläche Teil der Theaterillusion zu sein scheint. Ein geschichtsträchtiger Ort, hier hat der frühere Besitzer der Villa schon vor vielen Jahren vor illustrem Publikum Privattheater aufführen lassen.
Tatsächlich war ein „Heimatspiel“ der Auslöser für den Versuch, über den heimischen Tellerrand hinaus Theater zu machen. „Das Spiel von der befreiten Glocke“ anlässlich der 1200-Jahr-Feier anno 1991, eine Story aus der Orscheler Historie, in der es um Bürgersinn und Heimattreue ging, war der Versuchsballon für das Theater im Park. Nach vier gefeierten Aufführungen mitten in der Altstadt vor der Kulisse von St. Ursula hatten die Initiatoren die Bestätigung für die Idee, die ihnen dabei im Kopf herumschwirrte. Die kulturelle Szene in der Stadt zu bereichern, mit „überdurchschnittlichem Amateurtheater unter professioneller Leitung“, wie es einer der Urväter, der Schauspieler und Regisseur Jochen Ziegler, nannte. Dafür hatten sie den Theaterverein Oberursel gegründet und mit der Unterstützung des städtischen Kulturamtes und der Volkshochschule sozusagen den Grundstein für das „Theater im Park“ gelegt, das drei Jahre später Fahrt aufnahm. „Oberursel geht unter die Festspielstädte“ hat der Chronist Georg Dietrich damals im „Oberurseler Mosaik“ geschrieben, so großspurig gedacht hatten die Protagonisten allenfalls in Theaterträumen.
Natürlich steht und fällt ein ambitioniertes Projekt wie das „TiP“ mit vielen guten Theatergeistern, die vor, hinter und auf der Bühne die Strippen ziehen. Ohne all diese Frauen und Männer wäre nie eine Tradition aus dem Traum geworden. Ohne Jochen Ziegler, den leidenschaftlichen Theatermann, der das Spiel von der befreiten Glocke im Alter von 68 Jahren initiierte und das TiP mit Schiller und Shakespeare auf den Weg brachte, ehe er mitten in den Vorbereitungen für „Des Teufels General“ starb. Mit Ideen für die nächsten Jahre im Kopf, mit fertigen Skizzen, ein großer Verlust für die Truppe. Ohne Zieglers Nachfolger Joachim Brunke und Andreas Walther-Schroth, der mehr als ein Dutzend Inszenierungen verantwortete und auch für den Sommer im Park 2019 engagiert wurde. Goldoni mal wieder, „Der Diener zweier Herren“ soll das Publikum ergötzen.
Der Name der Sommerreihe, der zur etablierten Marke geworden ist, ist geblieben, der Park allerdings ein anderer geworden. Als die schönen Tage der Gewerkschaftsjugend an der Königsteiner Straße zu Ende gingen und aus der alten Villa eine Nobelvilla mit Hotel wurde, nahm die Klinik Hohe Mark am Waldrand den Ball auf und bot dem Theater eine neue Heimat. Nun auch schon wieder im zehnten Jahr, „ein Glück, ein Kleinod, einen Traum“ nennt Produktionsleiter Klaus-Peter Hieronymi die zweite Spielstätte in der wechselvollen Geschichte des TiP. Wieder wird das Publikum in einem weitläufigen Park verwöhnt, steht die inzwischen größere Bühne bei etwas verkleinerter Tribüne zwischen altem Baumbestand auf einer wunderbaren Lichtung.
Ein zweiter Glücksgriff für das Team, den „K.P.“, wie sie den Produktionsleiter hier alle nennen, sehr zu schätzen weiß. Noch so einer, ohne den das Open-Air-Theater eigentlich nicht denkbar ist. Die Abkürzung reicht, K.P. steht für das Theater im Park schlechthin. Nach der Regieassistenz bei Ziegler im „Glocke-Spiel“ ist der Mann aus dem damaligen Amt für Kultur und Sport endgültig dem Theater verfallen, in seinem „Produktionsbüro Theater im Park“ im Rathaus laufen seit einem Vierteljahrhundert alle Fäden zusammen. Jeden Job hat er gemacht, ob vor, hinter oder auf der Bühne. Hat eine „tragende Rolle“ bei der ersten Produktion gespielt, als Leibwächter des Königs, der drei Stunden nur dastehen musste, stets mit bösem Blick. Hat dann die tragende Rolle hinter den Kulissen übernommen und dennoch oft auch eine Statistenrolle auf der Bühne, ist Mädchen für alles und Mann für alle Fälle geworden. „Ich habe mir das zur Aufgabe gemacht“, sagt er schlicht und bescheiden.
Bei „K.P.“ fließen Theaterträume und Realität bisweilen zusammen. Dann muss er nüchtern und sachlich vermitteln. „Jedes Jahr ein bisschen professioneller“ soll es werden, den Anspruch hat er so schon vor 20 Jahren formuliert. Und versucht, ihn bei jeder neuen Produktion zu erfüllen und zu leben. Mit der Crew, mit Bühnenbildner und Bühnenmaler Wojtek Wellenger, der auch schon eine Ewigkeit dabei ist, mit der früheren „Sportplatz-Kolonne“ beim Bühnen- und Tribünenaufbau, mit den Licht- und Tontechnikern. Mit „Hang zum Perfektionismus“, so K.P. über K.P., was für die anderen durchaus „auch mal nervig“ sein könne. Aber wichtig ist, damit die Theaterträume nicht platzen. „Der Kuchen ist nicht größer geworden“, bleibt Hieronymi nüchtern. Theaterträume sind etwas Wunderbares, vom Festspielort Oberursel müssen sie im Theater im Park nicht träumen.