Stehende Ovationen fürs Bembel-Hotel

Nicht nur beste musikalische Unterhaltung mit Evergreens und Ohrwürmern, die jeder kennt, bietet die Orschelrette des Vereins „Frohsinn“ und des Ensembles „Voice:Ten“, sondern auch das Auge wird verwöhnt, wenn fesche Madeln im Dirndl vor dem „Weißen Bembel“ zum Tanz aufziehen und die Brassband dazu ihre Musi spielt. Foto: bg

Oberursel (bg). Man darf doch mal träumen, an einem wunderschönen Sommerabend am herrlichen Maasgrundsee, einem Naturidyll zwischen Kolbenberg, Fuchstanz, „Old-King“ und Feldberg gelegen. Ein touristisches Highlight für die zackige Wandergruppe, die zum Auftakt mit dem fröhlichen Lied „Glückliche Reise“ auf die Bühne marschiert und anschließend ergriffen den Erläuterungen des Guides lauscht.

Passend vor dem See, auf dem noch eine Ruderregatta stattfinden soll, steht das Bembel-Hotel und lädt zum Verweilen ein. Und – oh Wunder – im Gegensatz zur Realität hat dieses Hotel jede Menge Personal. Das leider nicht immer so spurt, wie die Chefin sich das vorstellt. Da muss sie sich so manches Mal aufregen, vor allem natürlich über den Zahlkellner, der die Gäste nicht abkassiert, sondern sich erst einmal singend vorstellt. Bei dem Auftrittslied „Aber, aber meine Herrschaften“ agiert Stefan Schummer als Leopold Brandmeyer charmant, gelassen wie weiland Peter Alexander in der Verfilmung. Wie jeder weiß, der die legendäre Verfilmung vom „Weißen Rößl am Wolfgangsee“ kennt, ist der in die Chefin bis über beide Ohren verliebt und stellt ihr heimlich rote Rosen ins Zimmer. Eigentlich träumt die resolute Wirtin, die sich von niemandem – und von diesem Kellner schon gar nicht – auf der Nase rumtanzen lassen will, von einem starken Mann an ihrer Seite. Ella Oeffinger kann als energiegeladene Bembel-Wirtin Josepha Vogelhuber-Stedten sich nicht nur in bestem hessisch „uffrege“, sondern obendrein sehr schön singen.

Vor der Orscheler Markplatz-Kulisse geht es indes Schlag auf Schlag weiter. Die kluge Miezi am Empfang hat alle Hände voll zu tun, aber doch noch Zeit, dem verliebten Leopold gute Ratschläge zu geben. Die er natürlich ignoriert. Die Azubine des Hotels hat auch so ihre eigenen Träume, die Julia Müller in einem großartigen Solo, unterstützt vom Frohsinn-Ballett, im Laufe des Abends vorstellt. Die Verwicklungen nehmen ihren bekannten Verlauf. Die Wandergruppe zieht weiter, eine Schulklasse – natürlich handelt es sich dabei um die Minis des Vereins „Frohsinn“ – legt einen Showtanz hin, ein Dauergast (Kerstin Ostermeier) hat schon eingecheckt. Dr. Siedler (Erik Franz) wird erwartet. Für ihn muss auf Geheiß der Wirtin – sie schwärmt für ihn – immer das Zimmer Nr. 4 besonders schön hergerichtet werden. Da taucht eine resolute Kölner Geschäftsfrau mit charmanter Tochter im Schlepptau auf. „Kennen sie eine Gegend, wo es keine Kölner gibt?“ Irene Kuhne kölnert, was das Zeug hält, und ist sehr gestresst durch einen Rechtsstreit. Ausgerechnet um Patentrechte bei der Herstellung von Toilettenpaper, das – wie jeder während Pandemie feststellte – zum wichtigen Bedarfsartikel mutierte, der plötzlich niemandem scheißegal war. Erholung ist also angesagt.

Beim Anblick der schönen Franziska (Christina Maul) verzichtet der Rechtsanwalt wie selbstverständlich auf sein angestammtes Zimmer mit der Feststellung: „Eine junge Dame habe ich noch nie aus meinem Zimmer vertrieben“. Zwischen den beiden funkt es ordentlich. Dann erscheint als Rucksackwanderin mit schmalem Reisebudget das anmutige Klärchen Hinzelmann (Monika Krick) auf der Bildfläche. Während sie noch mit Miezi wegen des Preises verhandelt, folgt der Großauftritt des schönen Sigismund, der mit dem Fahrrad lässig vor dem Hotel vorfährt. Als Unternehmer aus Sachsenhausen hat er es ja nicht so weit. Und eigentlich ist er auch nur auf den Rat seines Freundes Otto angereist. Eine famose Vorstellung von Volker Neuenburg, unterlegt vom Frohsinn-Ballett in schmissigen Can-Can-Kostümen und von den Frohsinn-Sängern, die den bekannten Ohrwurm „Was kann der Sigismund dafür, dass er so schön ist “ hingebungsvoll anstimmten. Ja, bei seinem ersten Auftritt ist der schöne Sigismund von vielen Damen umringt, er ist bei ihnen eben sehr beliebt. Auch Klärchen findet ihn toll. Er wiederum erliegt sofort ihrem lispelnden Charme. Es folgten lässiges Sonnen am Maasgrundsee, eine angedeutete Ruderregatta und viele Gäste in der Außenwirtschaft vom Bembel-Hotel. Die Wirtin ist verzweifelt, denn Zahlkellner Leopold hat die Faxen dick und seinen Job hingeschmissen. Inzwischen wird ihr aber klar: „Ein Mann gehört ins Haus wie der Ebbel in de Bembel“. Die Liebe mit ihren Irrungen und Wirrung setzt allen Beteiligten noch ordentlich zu, bis sich zum Herzblatt-Finale alles in Wohlgefallen auflöst und die Paare zueinander finden. Zuvor hat aber noch der große Bachelor (Michael Kukuruzovic), bekannt als Austauschstudent mit Elefantensülze aus Kamerun, einen vielumjubelten Heiterkeitsauftritt mit PR-Beraterin Betty (Betty Marris) an seiner Seite.

Kreatives Gesamtkunstwerk

Der „Weiße Bembel“ ist ein kreatives Gesamtkunstwerk, in das alle Korporationen des Karnevalvereins „Frohsinn“ aufs Feinste eingebunden sind. Natürlich dürfen die Marktweiber nicht fehlen, die einen schwungvollen Milch-Lieferservice aufgezogen haben und in gewohnter Manier mit ihrem Gebabbel die Lachmuskeln des Publikums traktieren. Die Frohsinn-Sänger sind ein wichtiger Bestandteil in dieser ersten Orschelrette in zwei Akten. In wechselnden Kostümen laufen sie zu Hochform auf bei den bekannten Ohrwürmern aus dem Singspiel und der Operette vom „Weißen Rößl“. Die frohsinnigen Orschel-Varianten hören sich einfach klasse an, und wenn dann noch die Brass-Band als Trachtenkapelle in grünen T-Shirts in das Idyll rund um das Hotel am Maasgrundsee einmarschiert, begleitet von zünftigen Dirndln, ist ein optischer Höhepunkt des Abends erreicht. Die Tanzeinlagen mit ihren einfallsreichen Choreografien sorgen immer wieder für Beifall. Angefangen vom Showtanz der klassisch in Schwarz-Weiß ausstaffierten Kellnerinnen beim Tische-Eindecken, dem Showtanz der Minis als Schulklasse oder dem Workout-Training der Tanzgarden am See. „Das Musiktheater mit Frohsinn“ ist ein gelungener Mix, zusammengerührt durch Julia Oeffinger, bestehend aus den Chorpartien der Frohsinn-Sänger, dem mitreißendem Brass-Band-Sound und den großartigen Gesangspartien der Darsteller von Abba- bis zu bekannten Musicalsongs. Volker Neuenberg, der als schöner „Sigismund“ glänzt, hat dafür die Originaltexte virtous umgedichtet. Das Gesangsensemble von „Voice:Ten“ besticht durch ausgezeichnete sängerische wie schauspielerische Leistungen.

Die Kulissenbauer des „Frohsinn“ haben ebenfalls mit viel Herzblut ganze Arbeit geleistet. Auf das große Frohsinngelände gelangen die Gäste nur durch den Torbogen des alten Rathauses. Es ist ebenso bis ins kleinste Detail nachgebaut wie die Gebäude, die sich rund um den Markplatz gruppieren. Ein Unterschied: Der Markplatz auf dem Frohsinn-Gelände mit Bembel-Hotel und der Häuserreihe vom Friseur Ruppel bis zum Marktweib ist nicht schepp. Chapeau dafür an Winnie Dorn und seine Mitstreiter. Und was ist eine Ausstattungsrevue ohne schwelgende Kostümvielfalt? Petra Bingenheimer hat hier Großartiges geleistet. Ebenso wie die Technik, ohne Fehl und Tadel gesteuert von Thomas Bingenheimer und Saskia Werner. Auch Arnold Nell darf bei diesem Highlight nicht fehlen.

Nach zwei Jahren Zwangspause brennen die aktiven Karnevalisten des „Frohsinn“ darauf, endlich wieder auftreten zu können. In der Pandemie den Kopf hängen lassen, versauern gar in Depressionen versinken, aus diesem Holz sind die „Frohsinn“-Mitglieder nicht geschnitzt. Sie haben diese erzwungene Pause kreativ genutzt, echtes Neuland betreten und mit ihrem ersten Singspiel vom „Weißen Bembel am Maasgrundsee“ ein wirkliches Superding auf die Beine gestellt. Die Gesamtregie liegt in den Händen von Peter Bohländer und Julia Oeffinger. Die Orschler mit sicherem Gespür für das Besondere waren echt gespannt auf diesen Spaß, die Karten für alle vier Aufführungen – auf dem Gelände gibt es 350 Plätze – waren in Windeseile weg. Bei der Premiere unter besten Open-Air-Bedingungen ging das Publikum von Anfang an begeistert mit, immer wieder gab es Szenenapplaus und zum Abschluss stehende Ovationen für alle über 100 Mitwirkenden, die sich in die Herzen des Publikums getanzt, gespielt und musiziert haben.

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