TiP wird zu Theater auf dem Platz

Tot im Brunnen: König Ödipus (Sven Kube) tötet seinen Vater Laios, den König von Theben (Rudolph Weber). Foto: bg

Oberursel (bg). Einfach grandios: Das TiP erfindet sich in der Pandemie neu und landet mit der Aufführung des „König Ödipus“ als Pop-Up-Theater einen spektakulären Erfolg. So wird aus dem Theater im Park ein Theater auf dem Platz.

Eine geniale Idee hat gezündet. Der Rathausplatz als Theaterkulisse und das Publikum mittendrin, hautnah dabei. Die Stadthalle mit ihren zahlreichen Auf- und Zugängen wird zum Königspalast von Theben.

Die Zuschauer, streng nach Corona-Regeln mit Abstand auf Stühlen platziert, verfolgten amüsiert den Auftritt des Orakels von Delphi auf dem Balkon, der Sphinx, die auf den Treppenstufen lauert, Auseinandersetzungen, Kämpfe, einen Rap-Wettstreit, kurzum die tragischen Verwicklungen der Akteure bei „König Ödipus“. Das gesamte Ensemble spielte voller Verve und riss das Publikum mit. Herrlich optisch garniert wird das Drama durch Kerstin Grunwald als antikes Orakel von Delphi, das außerhalb der Sprechzeiten im Morgenmantel mit Lockerwicklern zu sehen war, oder durch die schaurig schöne Sphinx, eine Paraderolle für Marianne Marks. Es gab Gelächter und Szenenapplaus für Grit Hoh, überzeugend als liebende Iokaste oder herrlich schräg agierend in der Rolle des Polybos (König von Korinth), Daniel Silberhorn als edlen Kreon oder Rudolph Weber in der Doppelrolle als König Laios oder Merope (Königin von Korinth). Auch Sven Kube vermittelt die Wandlung des Ödipus vom strahlenden, etwas tumben Helden zum gereiften Mann, der seine Schuld erkennen und lernen muss, sein Schicksal anzunehmen, sehr überzeugend. Die antiken Helden wurden von Inge Hame in weiße Gewänder gesteckt, das Volk präsentierte sich in groben Leinenkitteln und der König trug eine goldene Schärpe. Sehr effektvoll auch das schwarze Gebilde aus Spitze und Tüll, in dem Inge Hame als Pestwölkchen über den Platz schwebte.

Antiker Stoff ...

In dem antiken Stoff des griechischen Dichters Sophokles wird Laios, dem König Theben, prophezeit, er werde von seinem eigenen Sohn erschlagen. Anschließend würde dieser Königin Iokaste, seine Mutter, zur Frau nehmen. Um dieses Schicksal abzuwenden, beschließt das Königspaar seinen neugeborenen Sohn in der Wildnis auszusetzen. Sie übergeben den Säugling einem Hirten. Der bringt das nicht über das Herz und übergibt das Baby einem Hirten aus Korinth. Das Baby landet im Königspalast von Korinth und wächst heran. Als er erfährt, was ihm einst prophezeit wurde, verlässt er Korinth und das Schicksal nimmt unbarmherzig seinen Lauf. Auf dem Weg nach Theben gerät er in ein Scharmützel und tötet unwissend seinen Vater Laios. Weil es ihm gelingt das Rätsel der Sphinx zu lösen, wird er König von Theben und heiratet wie einst orakelt Iokaste. Sie sind glücklich und haben gemeinsam vier Kinder. Doch dann hält die Pest Einzug in Theben und Ödipus befragt den blinden Seher (Gerhard Mass) nach dem Grund. Er glaubt dessen Worten nicht und doch muss die Wahrheit ans Licht. Denn so die Botschaft: Antike Helden können ihrem vorbestimmten Schicksal nicht entgehen.

Das Publikum musste lange auf Ödipus´ Erscheinen warten. Die Inszenierung sollte in der Saison 2020 im Theater im Park der Klinik aufgeführt werden, so die Planung. Bereits im Herbst 2019 nahm Regisseur Volker Zill tatkräftig die Vorbereitung auf, stellte ein Ensemble zusammen und begann mit den Proben, bis alle vom Lockdown ausgebremst wurden. Im Corona-Jahr beschloss der Veranstalter, der Kultur- und Sportförderverein Oberursel (KSfO) die Aufführung von König Ödipus auf das Jahr 2021 zu verschieben. Im März war klar, auch in diesem Sommer war das Risiko für eine Aufführung im Theater im Park, wo üblicherweise fast 400 Personen dicht an dicht gedrängt auf der Tribüne sitzen, zu groß. Aber Regisseur Volker Zill und das Ensemble ließen sich nicht aufhalten. Sie wollten spielten und die vermeintliche „Notlösung“ Rathausplatz entpuppte sich als genialer Spielort. Das Ensemble bespielte den ganzen Platz, tobte durch den Brunnen, rannte durch das Publikum, das zum „Volk von Theben“ wurde und den Theaterabend einfach nur genoss. Unter freiem Himmel mitten in der Stadt mit einem Gläschen Wein, fast normal. Das Drama wurde in gereimten Versen aufgerollt durch Musikus Gero Teufert; er agierte als namenlose Säulenfigur. Ganz in weiß gekleidet und ebenso geschminkt, studierte er nicht nur mit den Anwesenden den Hymnus „König Ödipus“ ein, sondern brillierte an der Gitarre besonders bei einem fetzigen Rap-Gesang zwischen Ödipus und Kreon. Keine Frage: Bei dieser Tragödie werden zutiefst menschliche Fragen aufgeworfen. In heutiger Zeit darf da ein Psychiater (Jacques-Olivier Marfels) nicht fehlen, Ödipus lag bei der Sitzung auf der Treppenstufe vor der Stadthalle.

... in modernem Gewand

Mit seiner Neudichtung des antiken Sagenstoffes hatte Musikkabarettist Bodo Wartke das Stück kräftig entstaubt, er führt es als One-Man-Show sehr erfolgreich auf. Für die Aufführung in Oberursel wurde seine Vorlage durch den Regisseur noch weiter aufgepeppt. Es gab brandaktuell eine herrliche Demo gegen die in Theben wütet Pest. „Freiheit statt Pest, die Ödi-Diktatur gibt uns Rest“, skandiert die aufgebrachte Meute. Und weitere deftige Orschler Einschläge: „Ei guude wie“ begrüßt bei der unfreiwilligen Kindsübergabe der Hirte aus Korinth (herrlich treuherzig Robin Sommer), den „Kollesch“ aus Theben (gekonnt schüchtern Isabell Reiter). Und der wundert sich, „Wo kommst du denn her?“. „Ei, ursprünglich aus Orschel, da gibt’s guude Ebbler und Handkäs“, so die Auskunft von Robin Sommer im schönsten Hessisch.

Hessische Küche gab es an dem Abend nicht. Als kulinarisches Angebot servierte das Kulturcafé Windrose griechische Salate. Für den guten Ton und ausreichend Licht sorgte mustergültig das gut eingespielte Technikteam Sven Hochwitz und Thomas Bingenheimer. Backstage im Einsatz waren Annett Wehn und Team (Maske), Inge und Kurt Hame (Kostüme und Requisiten). Die musikalische Leitung lag in den Händen von Lasse Heinrich. Regisseur Volker Zill wurde von Sigi Lißmeier unterstützt. Als Produktionsleiterin war Helen Schroth vom KSfO im Einsatz, neben weiteren ehrenamtlichen Helfern. Sie alle haben ein fantastisches Gesamtkunstwerk auf die Beine gestellt und wurden mit Beifall überschüttet.

Weitere Aufführungen sind für den 25. Juli und 1. August jeweils um 15.30 und 20 Uhr geplant. Sie sind im Rahmen des Orschler Sommer kostenfrei, freiwillige Spenden sind willkommen. Auf dem Rathausplatz können bis 130 Personen platziert werden. Die Plätze sind aber alle schon vergeben wie Produktionsleiterin Helen Schroth mitteilte.

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