Hochtaunus (a.ber). Sie hatte es abgelehnt, sich von ihrem Bekannten mit dem Auto nach Hause bringen zu lassen – stattdessen war die Frau Bahn gefahren. Auf dem Weg von der Bahnstation nach Hause wurde sie dann von drei Männern vergewaltigt. So geschehen im Hochtaunuskreis. Die Frau sei nach der Tat zur Polizei gegangen, eine Untersuchung in der Gerichtsmedizin habe stattgefunden, erzählt Jutta Gehm, Mitarbeiterin des Weißen Rings. „Die Sache war organisatorisch abgeschlossen – aber dann brauchte diese Frau jemanden, mit dem sie sprechen konnte: über ihre Gefühle als Opfer einer Gewalttat, über Hilflosigkeit und zerrissene Winterkleidung. Und über die Frage, wer ihr aus diesem Trauma wieder heraushelfen könnte.“
Wenn Jutta Gehm, Hans-Karl Temme, Lothar Gehm und die anderen Mitarbeiter des bundesweiten Vereins zur Unterstützung von Kriminalitätsopfern „Weißer Ring“ in Kontakt mit Hilfesuchenden im Hochtaunuskreis kommen, gehen sie sehr diskret vor. Denn Opfer von kriminellen Taten und Gewalttaten haben manchmal gerade noch die Kraft, die Nummer des Opfer-Telefons des Weißen Rings zu wählen: 116006 – „aber im Kopf des Opfers dreht sich mitunter alles, Angst, Unsicherheit, auch Scham- und Schuldgefühle hemmen das klare Denken“, beschreibt Lothar Gehm die Situation. Das Wichtigste, was die gut ausgebildeten ehrenamtlichen Mitarbeiter dann erstmal tun, ist: dem Opfer zuhören, bedingungslos glauben und dessen Sicht der Ereignisse nicht hinterfragen; dem Opfer mit menschlichem Beistand und persönlicher Betreuung nach der Straftat helfen. „Persönliche Daten werden geheim gehalten, die Straftat muss vom Geschädigten nicht angezeigt werden, auf Wunsch führen wir die vertraulichen Gespräche telefonisch, persönlich, auch an einem neutralen Ort oder anonym“, betont Jutta Gehm.
Immer wieder wenden sich Hilfesuchende an die Außenstelle Hochtaunuskreis des Weißen Rings, pro Jahr lassen sich hier etwa 100 Opfer beraten, und in vielen weiteren Telefonkontakten helfen die Mitarbeiter Fragen klären. Sei es nach einem Wohnungseinbruch, mit dem man emotional nicht fertig wird, Vergewaltigung oder sexuellem Missbrauch, nach Überfällen und Schlägereien, Stalking oder häuslicher Gewalt innerhalb der Familie, Internet-Kriminalität oder Cybermobbing unter Jugendlichen: „Wenn wir kontaktiert werden, machen wir dem anrufenden Menschen deutlich, dass Hilfe möglich ist, ohne dass man gleich zur Polizei gehen muss und die Tat öffentlich wird. Wir Mitarbeiter des Weißen Rings verstehen uns als Lotsen, die zuhören und dann Wege aufzeigen, wie und wo der Betroffene Hilfe bekommen kann“, sagt Hans-Karl Temme, Leiter der Außenstelle.
Derzeit kämen Hilferufe auch aus Familien, und zwar aus allen Bevölkerungsschichten. Häusliche Gewalt und Gewalt in der Partnerschaft – deutschlandweit werden mehr als 100 000 Frauen und 25 000 Männer jährlich Opfer, und die Dunkelziffer ist hoch – sei oft Grund des Anrufs, so Temme. „Oft weiß man, bevor man hingeht oder den Anrufer trifft, worum es geht und erfährt dann im Gespräch, dass es im Hintergrund noch viel schlimmere Dinge gibt“, sagt Jutta Gehm. „Da müssen wir Helfer dann einen klaren Kopf behalten.“ Denn das Ziel der Hilfe ist, Geschädigten in Gesprächen Orientierung zu geben, damit sie wieder alleine agieren können oder Hilfegruppen finden. Auch Familienangehörige von Opfern werden auf Wunsch beraten. Eine Dauerbetreuung bietet der Weiße Ring selbst nicht an.
Erhöhte Schreckhaftigkeit, Angst, Schlafstörungen, körperliches Unwohlsein bei Geräuschen und Gerüchen, die in Zusammenhang mit der Tat stehen – die psychischen Belastungen nach Gewalterlebnissen können beim Opfer unmittelbar nach der Tat, aber auch viel später auftreten. Auf dem Weg aus dem Trauma hilft der Weiße Ring mit seinen 420 Außenstellen und etwa 2900 ehrenamtlichen Mitarbeitern am Ort einerseits durch persönliche Betreuung: ein offenes Ohr und respektvolle Zuwendung, passende Informationen und schnelle Hilfe beim Zugang zu kostenloser Beratung, zu Spezialisten wie Rechtsanwälten, Therapeuten, Traumatologen und Rechtsmedizinern, Begleitung beim Gang zur Polizei (falls gewünscht), beim Strafverfahren vor Gericht und der Durchsetzung von Opferentschädigungsansprüchen – „wir haben ein großes Netzwerk an Hilfsmöglichkeiten“, so Lothar Gehm.
Aber auch bei materieller Not, die durch die Straftat entstanden ist, und bei notwendigen Anwaltskosten zur Wahrung der Opferschutzrechte im Strafverfahren kann der Weiße Ring finanzielle Überbrückungshilfen geben. Da der 1976 gegründete Weiße Ring sich als gemeinnütziger Verein aus Mitgliedsbeiträgen, Spenden und einer Stiftung finanziert und von Ehrenamtlichen getragen wird, kann er unabhängig von staatlicher Finanzierung Partei für die Kriminalitätsopfer ergreifen und seine Hilfe kostenlos für jedermann anbieten. Für die Opfer, die kein Deutsch sprechen, stehen zur Verschwiegenheit verpflichtete Übersetzer zur Verfügung. Hans-Karl Temme sowie Jutta und Lothar Gehm arbeiten seit einigen Jahren schon mit Empathie und der nötigen professionellen emotionalen Distanz für Opfer im Hochtaunuskreis. Die Ausbildung zum ehrenamtlichen Mitarbeiter dauert eineinhalb Jahre. „Kollegiale Fallberatung und Supervision erleichtern uns Helfern die Verarbeitung der Schicksale, die wir erleben“, so Jutta Gehm. Sie selbst war früher schon bei der Online-Beratung des Weißen Rings tätig, Lothar Gehm gehörte vorher dem Einsatz-Nachsorgeteam des Technischen Hilfswerks an, und Hans-Karl Temme organisiert die Hochtaunus-Außenstelle seit vier Jahren. Die Mitarbeiter des Hochtaunus-Teams wünschen sich, dass die Flyer und Informationen des Weißen Rings zur Hilfe für Kriminalitätsopfer nicht nur in den Polizeidienststellen, sondern auch in Arztpraxen und Rathäusern im Kreis ausgelegt werden und die Präventionsarbeit des Vereins zum Beispiel in Schulen und Seniorenheimen ausgebaut werden kann.
!Wer im Hochtaunuskreis wohnt und Hilfe braucht, kann sich unter folgenden Telefonnummern melden: Hans-Karl Temme, Telefon 0151-55164673 (E-Mail: wr-htk[at]web[dot]de) oder Jutta Gehm, Telefon 0176-67612544 (E-Mail: jutta.gehm[at]web[dot]de). Das Opfer-Telefon des Weißen Rings ist bundesweit montags bis sonntags von 7 bis 22 Uhr unter der Nummer 116006 erreichbar. Die vertrauliche Online-Beratung erreichen Opfer im Internet unter www.weisser-ring.de.