Sie ist Hausärztin mit Leib und Seele

Lola Omotoye führt die internistische Praxis in der Berliner Straße mit Engagement und neuem Schwung. Neben Gesprächen und Behandlungen in der Praxis stehen auch Hausbesuche auf ihrem Programm, zusätzlich beteiligt sie sich derzeit an der Impfkampagne. Foto: HB

Hans-Jürgen Biedermann

Steinbach. Von Lagos über Kiew nach Steinbach. Die neue Ärztin ist in ihrem Leben schon weitgereist, mit der Übernahme der Praxis in der Berliner Straße nun hier im wahrsten Sinne des Wortes angekommen. Sie fühlt sich in Steinbach wohl, und auch ihre Patienten erteilen ihr Bestnoten.

Der Empfangstresen steht da, wo er immer stand. Das freundliche Gesicht dahinter flößt Vertrauen ein. Es gehört gleichsam zum Inventar. Aber im benachbarten Behandlungsraum hat eine neue Zeit begonnen. In der Ecke steht zwar noch das Ultraschallgerät des Vorgängers, doch an der Wand hängt jetzt ein alpines Motiv. Ein idyllischer See, von Gipfeln eingerahmt, der Ruhe und Frieden ausstrahlt. Genau das möchte zum Wohle ihrer Patienten auch Lola Omotoye, eine Internistin, geboren in Nigerias Hauptstadt Lagos, die den Platz des Ruheständlers Abdelsalam Mousa eingenommen hat.

Die Internistin führt jetzt seine Praxis in der Berliner Straße 7. Der Ägypter hat sie seit Jahresbeginn eingearbeitet, hat die Kollegin über Wochen mit Rat und Tat begleitet. Mittlerweile ist sie in Steinbach angekommen und fühlt sich an ihrem Arbeitsplatz sehr wohl. Die Patienten mögen sie – man kann von einem Traumstart sprechen.

Den Grundstein für die Karriere hat sie auf der Oberschule in Lagos gelegt. Das Einser-Abitur war die Voraussetzung für ein Auslandsstipendium in Kiew, damals noch Provinzhauptstadt in der Sowjetunion und nicht ukrainische Metropole. Zu Hause wurde Yoruba gesprochen, in der Schule lernte sie Englisch, aber jetzt war ein Crashkurs in Russisch vonnöten. Nach einem Jahr wusste sie genug, um den Vorlesungen an der Uni zu folgen. Nach sechs Jahren machte sie Examen und vertiefte abschließend ihre medizinischen Kenntnisse in der Gynäkologie. Als sie 2007 mit Ehemann, in Diensten einer christlichen Hilfsorganisation, und drei Kindern ins Rhein-Main-Gebiet übersiedelte, hatte sie praktische Erfahrung auch als Geburtshelferin gesammelt, aber ihr Wissensdurst war bei Weitem nicht gestillt.

Im Heilig-Geist-Hospital in Frankfurt bildete sie sich in Gefäßchirurgie weiter, im Darmstädter Elisabethenstift arbeitete sie in der Geriatrie. Sie behandelte Schlaganfallpatienten, tat sich in der Kardiologie um, lernte die Notfallambulanz kennen und therapierte Demenzkranke. 2017 bestand sie die Facharztprüfung für Innere Medizin. Den letzten Schliff bekam sie in der Rehaklinik der Deutschen Rentenversicherung in Bad Homburg. Dort erwarb sie die Qualifikation für die psychosomatische Grundversorgung. Sie weiß, dass eine Gesprächstherapie manchmal mehr bewirken kann als Medikamente. Danach fühlte sie sich fit für die Übernahme einer Praxis, reagierte auf eine Ausschreibung der Kassenärztlichen Vereinigung und bewarb sich um die Nachfolge des Kollegen Mousa, der in der Berliner Straße 24 Jahre lang praktiziert hatte. Im Dezember vergangenen Jahres erhielt sie die Zulassung.

Sie wohnt in der Nähe von Hanau, muss wegen der Anfahrt durch den Berufsverkehr um 5.30 Uhr aufstehen, behandelt ab 8 Uhr, verbringt die dreistündige Mittagspause in Steinbach und möchte an diesem Tagesablauf etwas ändern. Sie sucht deshalb am Ort eine Bleibe. Der Vorgänger hat ihr eine Patientenkarte mit 1200 Namen überlassen. Nicht zu viel und nicht zu wenig. Eigentlich eine ganz normale Größenordnung, meint Omotoye. Die Frau ist fleißig, sie macht viele Hausbesuche, weshalb auf ihrer Visitenkarte auch „Hausärztlich-internistische Praxis“ steht. Sie hat sich in die Corona-Impfkampagne der Hausärzte eingeklinkt und bietet jeden Tag Termine an. Es sieht so aus, als stimme die Chemie zwischen Ärztin und Patienten. Sie habe das Gefühl, sie werde gebraucht, sagt die Nigerianerin: „Es gefällt mir hier sehr gut“.

Ein offenes Ohr hat sie auch für ihre Kinder. Die Tochter (30) hat Soziologie studiert, der 22-jährige Sohn will Ingenieur werden und der 17-Jährige erst einmal die Schule abschließen. Ihre vier Geschwister leben in Lagos, sie hat sie im Herbst 2019 das letzte Mal besucht. Nach Corona wird es ein Wiedersehen geben.



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