„Jeder kann helfen, indem er Misshandlungen nicht übersieht“

Steinbach (HB). Im Foyer des Pfarrheims wurde immer noch die Erfolgsstory des vor 100 Jahren erkämpften Frauenwahlrechts erzählt, denn die Ausstellung des Geschichtsverseins war zwei Tage länger zu sehen – wegen eines anderen Frauenthemas. Dabei ging es im benachbarten Gemeindesaal nicht um Gleichberechtigung, sondern um Leib und Leben der Frauen. Es waren 18 überwiegend jüngere Semester da, aber für den Komplex häusliche Gewalt interessierten sich auch zwei Männer..

Die Anregung kam vom Oberurseler Verein „Frauen helfen Frauen“ und dem Frauenhaus Oberursel, die in Absprache mit dem Steinbacher Frauennetzwerk, einer Plattform mit 184 Nutzerinnen, die beiden Sozialarbeiter Anja Körneke und Tanja Schott als Referentinnen vorbeischickten. Im Netz hat das Thema bislang keine Rolle gespielt, berichtete Sprecherin Simone Horn. Doch von öffentlichem Interesse sei es zweifelsohne, zumal laut einer aktuellen Statistik elf Bewohnerinnen des Frauenhauses aus Steinbach kamen. Im Hochtaunuskreis wurden 2018 exakt 241 einschlägige Straftaten angezeigt – mehr als 80 Prozent der Opfer waren Frauen..

Das Bundeskriminalamt hat 2018 knapp 115 000 Fälle von häuslicher Gewalt registriert. 122 Frauen wurden bei Exzessen getötet. Das Phänomen gibt es in allen Gesellschaftsschichten und Kulturkreisen, allein in Deutschland hat jede vierte Frau schon Gewalt erfahren. Zumeist fühlen sich die Opfer schuldig oder schämen sich für ihren Partner und erstatten deshalb keine Anzeige. „Die Dunkelziffer ist elfmal so hoch,“ berichtet Anja Körneke vom Beratungsverein, in dessen Büro im Jahr rund 400 Hilfesuchende vorsprechen. Von hier aus werden Plätze in den Frauenhäusern Oberursel und Bad Homburg vermittelt. Bei akuter Bedrohung stehen auch Plätze in Frauenhäusern anderer Bundesländer zur Verfügung.

In der Oberurseler Einrichtung, deren Adresse nur der Polizei bekannt ist, halten sich Frauen bisweilen ein ganzes Jahr auf, informierte Tanja Schott. Das sei die Folge der prekären Situation auf dem Wohnungsmarkt. Eine Rückkehr in die eigene Wohnung komme meist nicht in Frage, woran auch richterlich verfügte Kontaktsperren nichts ändern. Es gelte gleichwohl der Grundsatz: „Wer schlägt, der geht.“

Bei den Fachleuten ist unstrittig, dass häusliche Gewalt durch Desinteresse und Wegschauen begünstigt wird. Deshalb fordern Hilfseinrichtungen Courage und Verantwortungsbewusstsein ein. „Jeder kann helfen, indem er Misshandlungen nicht übersieht“, appelliert Anja Körneke an das soziale Umfeld. Man solle entweder das Gespräch mit Betroffenen suchen oder bei schweren Fällen gleich die Polizei einschalten. Das Steinbacher Frauennetzwerk will dazu beitragen, dass sich Informationen zu diesem brisanten Thema ausbreiten. In Cafes, Behörden, Arztpraxen und Kirchengemeinden. Dabei soll der Leitfaden „Wege aus der Gewalt“ helfen.

!Der Oberurseler Verein Frauen helfen Frauen bietet jeden Montag von 10 bis 12 Uhr in der Oberhöchstadter Straße 3 eine offene Sprechstunde an. Termine können unter Telefon 06171-51768 vereinbart werden. Die Frauenhäuser Oberursel und Bad Homburg sind unter Telefon 06171-51600 und 06172-967400 zu erreichen.



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