Eine Herberge für den Weihnachtsbaum

Wie im wilden Tann stehen die Weihnachtsbäume dicht an dicht auf dem Windecker-Hof, der für den Verkauf eingesprungen ist. Foto: HB

Von Hans-Jürgen Biedermann

Steinbach. Am traditionellen Ort wird man sie diesmal nicht finden. Die Weihnachtsbäume sind umgezogen, der Hof in der Untergasse, auf dem sie um diese Zeit unübersehbar waren, ist verwaist. Bauer Straßheimer zwickt es im Rücken, weshalb er sich einen wochenlangen Verkaufsmarathon momentan nicht zumuten kann. Michael Windecker ist für ihn eingesprungen. Biobauer Heinrich präsentiert sein Sortiment dagegen wie seit einem halben Jahrhundert im Quellenhof. Wer sich rechtzeitig kümmert, der wird auf dem heimischen Baum-Marktplatz das Richtige finden.

Der hinterste Winkel der Kirchgasse ist Ökoland. Der Verkaufsladen im Quellenhof war über viele Jahre ein Paradies für Umweltbewegte. Wer hier Bioware erstand, der ging mit einem guten Gewissen von dannen. Jetzt ist dort ein Thai zu Hause. Aber zum Image passt die Geschäftsbeziehung von Gerhard Heinrich, der für die Grünen im Stadtparlament sitzt, mit einer Baumplantage aus dem nordrhein-westfälischen Sauerland. Jenseits der hessischen Landesgrenze wachsen die Bäume allein nach Naturgesetzen. Dafür verbürgt sich der 62-Jährige, der auf seinem Hof schon Gäste aus China begrüßt hat, die sich für ökologischen Landbau interessierten.

Auf seinem Werbeplakat sind Schafe abgebildet. Es hängt im Schaukasten des Quellenhofs und soll ein Beleg dafür sein, dass die Bäume von klein auf ohne chemische Keule herangewachsen sind. Die Tiere fressen das Unkraut, das den Winzlingen in den ersten Jahren die Luft nehmen könnte. Nach 14 Jahren haben die Bäume das Wohnzimmermaß von zwei Metern erreicht und warten hierzulande auf Kundschaft. Seit fünf Jahren kostet der Meter Edeltanne 17 und die Nordmanntanne 25 Euro, sagt Heinrich. Er ist sich ziemlich sicher, dass er seine 200 Bäume allesamt vor dem Heiligen Abend unter die Leute bringt. Donnerstags von 17 bis 19 Uhr, freitags von 17 bis 20 Uhr und samstags von 12 bis 14 Uhr.

Ein Unbekannter in Eritrea

Wenn Kunden kommen, richtet ein junger Mann die Bäume auf und stellt sie ins rechte Licht. Er ist als Flüchtling 2014 nach Deutschland gekommen. In seiner eriträischen Heimat ist der Weinachtsbaum gänzlich unbekannt. Mittlerweile hat er ihn ins Herz geschlossen, kürzt auf Wunsch wie selbstverständlich den Stamm mit der Motorsäge und netzt geschickt ein. Tekla geht dem Hofeigner das ganze Jahr über zur Hand. Er mag den grün-blauen Glanz der Bäume.

In diesem historischen Kern der Stadt wurden im 16. Jahrhundert die ersten Weihnachtsbäume ins Haus geholt. Eine der ältesten schriftlichen Aufzeichnungen zu diesem Thema stammt von 1527, als das Mainzer Bistum „den weiennacht Baum“ aus dem Stockstadter Hühnerwald erwähnte. Von hier aus nahm der Siegeszug des Weihnachtsbaums rund um die Welt seinen Anfang. Noch zwei historische Daten: Das Weihnachtslied vom grünen Tannenbaum wurde 1812 in dem Landstrich geboren, aus dem der Biobaum von Bauer Heinrich kommt. Es dauerte bis 1982, ehe vor dem Dom St. Peter in Rom ein Baum aufgestellt wurde.

Im Windecker-Hof gehen drinnen Fleisch und Wurst über die Theke. Man kauft hier die womöglich beste Torte der Stadt. Draußen stehen Verkaufskisten mit Gemüse. Diese Bilder sind Alltag auf dem Hof in der Eschborner Straße Doch in diesen Adventstagen steht auch der Christbaum Spalier. Im Hof verteilen sich 80 Bäume aus dem Odenwald, die ursprünglich für Straßheimer betimmt waren, aber wegen dessen lädiertem Rücken umgeleitet wurden. Michael Windecker hat geholfen und die Fuhre in seinem Hof abladen lassen.

Ehefrau Angela gehört zumVerkaufsperonal und sieht sich vor allem mit dem Wunsch nach einem „großen, schlanken Baum“ konfrontiert. Die Bäume sind mit Farbbändern markiert – Gelb steht für 20, Weiß für 50 Euro. Die Windeckers erzählen, sie hätten einen Verkäufer engagiert , der so gut verdient, dass bei dem Geschäft mit den Bäumen so gut wie nichts übrigbleibt. Deshalb sei es fraglich, ob der Hof noch einmal in die Bresche springen wird. Dienstags bis samstags ist jeweils von 6 bis 18 Uhr Verkaufszeit.

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