„Jammerlappen“ will Deutschland erobern

Hans-Jürgen Biedermann

Steinbach (HB). Der „Jammerlappen“ ist ohne Zweifel die bekannteste Puppe in der ganzen Stadt. Jetzt schickt sich der Star aus dem Videogottesdienst für Kinder der evangelischen St.-Georgs-Gemeinde an, auch bundesweite Popularität zu erlangen.

Der Umgang mit Handpuppen gehört seit Jahrzehnten zum Hobby von Pfarrer Herbert Lüdtke. Bevor der Jammerlappen geboren wurde, trat er mit Kirchenzwerg „Heiliger Bimbam“ und die „Doofe Gans“ im Familiengottesdienst auf. Die Figur des Jammerlappens war anfänglich ein Kritikaster erster Güte, doch unterdessen meckert er nicht nur, sondern packt Probleme auch an. Seit Corona präsentiert sich der ebenso Wissbegierige wie Neugierige, Lüdtke nennt ihn den „Protagonisten der Kinder“, alle zwei Wochen auf Youtube im gut zehn Minuten dauernden Videofilm. Auf der Puppenbühne, die nebst Kamera auf Lüdtkes Wohnzimmertisch steht, agiert der Pfarrer auch mit Affe und Bär, lässt die Schnecke Schnucki biblische Geschichten erzählen und den Jammerlappen beispielsweise fragen: Gibt es eigentlich den Teufel? Nein, aber es gibt das Böse, antwortet Schnucki. Der Pfarrer will die Kinder beim Videogucken nicht einschüchtern, den Symbolgehalt von Teufel und Hölle aber ansprechen. „Der Kindergottesdienst hat die Qualität, um etwas zu reißen,“ glaubt der Pfarrer und lässt den Raben Flitzli und den Sperling Putzli Kirchenlieder krächzen. Lüdtke schreibt das Drehbuch selbst und bedient sich für das Playback aus dem Archiv der „Ghostbusters“, einer Gemeindeband, in der er am Keyboard gesessen hat. Der Kindergottesdienst wird jeweils von rund 400 Usern gesehen. Dafür lohnt sich die fünfstündige Vorbereitung allemal, meint der 62-Jährige.

Die Handpuppe mit dem beigen Fell und dem großen Mund nimmt in der Kategorie „Sondergottesdienste“ am traditionellen Wettbewerb des evangelischen Monatsmagazins Chrismon teil, zu dem sich 124 christliche Gemeinden aus allen Bundesländern angemeldet haben. Die Entscheidung fällt in einer Online-Abstimmung, zu der auch die Steinbacher aufgerufen sind. Noch in diesem Monat geht es ums Ganze.

Der Optimismus des Pfarrers ist nicht unbegründet, denn das Puppentheater mit spiritueller Note ist in seiner Kategorie allein auf weiter Flur und deshalb Kandidat für den Jurypreis, der mit 2000 Euro dotiert ist. Soviel bekommt auch der Sieger des Publikumspreises. Die Plätze vier bis zehn werden jeweils mit 500 Euro bedacht. Das Preisgeld würde Lüdtke in die Videotechnik investieren.

Das Ergebnis des vergangenen Jahres sollte den Steinbacher Jammerlappenfans Mut machen. Gewonnen hat die Stiftskirchengemeinde aus dem nur 6500 Einwohner zählenden Bad Gandersheim in Niedersachsen mit dem Projekt „Jugendzentrum Phönix“. Für den Sieg reichten knapp 12 000 Stimmen.

Herbert Lüdtke unternimmt alle Anstrengungen, um die Stadtbewohner für das Votum zu interessieren. Unter dem Motto „Mitmachen und Abstimmen“ wirbt der Pfarrer im Gemeindeblatt und auf der Homepage um Unterstützung des heimischen Wettbewerbsbeitrags. Es kann noch bis zum 23. März täglich votiert werden. Ganz am Anfang lag das Puppenensemble aus St. Georg auf Platz zwei, rutschte am Wochenende aber auf Platz acht ab. Doch der würde noch reichen, um in die Endausscheidung der zwölf Besten zu kommen. Unter denen werden dann in einer zweiten Phase die zehn Preisträger ermittelt. Im Finale hat jeder Teilnehmer nur eine Stimme, die er am 24. oder 25. März per E-Mail abgibt. Adressat: www.st-georgsgemeinde.de .

Es könnte sein, dass sich die St.-Georgs-Gemeinde im nächsten Jahr erneut am Chrismon-Wettbewerb beteiligt. Zum Beispiel mit dem Projekt „Wald mit allen Sinnen,“ das im Juli oberhalb der Tennisanlage im Stadtforst eine Neuauflage erleben wird. Es ist ein Produkt der Pandemie, denn die kleine aber feine Kirche im historischen Zentrum ist seit einem Jahr nur noch für stille Andachten geöffnet. Corona macht erfinderisch.

Pfarrer Herbert Lüdtke und sein Puppen-Ensemble (von links): Putzli, Bär, Flitzli, Affe und Jammerlappen. Über allen thront Schnucki, die weise Schnecke. Foto: HB



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