Medizin-Innovationen „made in Steinbach“

Forschungschef bei Löwenstein medical, Peter Kremeier (links), und Fertigungsleiter Wolfgang Kraft begutachten die Monitore der Beatmungsgeräte. Seit Herbst sind die Produkte der Firma „made in Steinbach“. Foto: HB

Von Hans-Jürgen Biedermann

Steinbach Es ist der markante Eckpfeiler im neuen Gewerbegebiet, das Steinbachs Zukunft als selbstständige Kommune sichern soll. Löwenstein medical hat in der Weißkirchener Straße 1 nicht nur eine exponierte Lage, sondern ist mit vier Etagen „Im Gründchen“ auch das höchste Gebäude. Für den Kämmerer der Stadt ist viel wichtiger, dass es sich um einen potenten Steuerzahler mit beträchtlichem Entwicklungspotenzial handelt – einen Global Player.

Im Foyer thront ein Löwenkopf, das Wahrzeichen des Familienunternehmens, das von Reinhard Löwenstein und seinen drei Söhnen gemanagt wird. Der 75 Jahre alte Senior, eigentlich am Stammsitz in Bad Ems Zuhause, weilt derzeit nicht in seinem Zweitbüro, denn in Dubai findet gerade eine Fachmesse statt. Die Firma kann sich am Golf behaupten, schließlich macht sie ihre Produkte in der Klimakammer für die knallheiße Wüste fit. Löwenstein hat auch deshalb am Europakreisel einen Schreibtisch, weil hier geforscht und entwickelt wird.

Dafür ist „Chef Medical Director“ Dr. Peter Kremeier verantwortlich, ein 55 Jahre alter Mediziner, der sechs weitere akademische Abschlüsse hat – zum Beispiel in Medizinpädagogik. In dieser Eigenschaft schult er Anästhesisten aus der Region an den Löwenstein-Geräten. Der Badener ist Coautor eines Leitfadens über die „Beatmungs- und Intensivtherapie bei Covid-19“ sowie Inhaber zahlreicher Patente. Er sitzt ab 6 Uhr morgens an seinem Arbeitsplatz. Die erste Videokonferenz hat er bereits während der Fahrt vom heimischen Karlsruhe nach Steinbach absolviert und so ähnlich geht es bis in die Abendstunden weiter, denn die Kunden sitzen in 161 Ländern. Beatmungs- und Narkosegeräte Marke Löwenstein sind begehrt und seit Herbst „Made in Steinbach.“

Der Umzug aus dem Gewerbegebiet in Oberhöchsstadt erfolgte gleichsam um die Ecke, in ein Haus, das wie ein normales Bürogebäude aussieht, aber eigentlich eine Hightec-Werkstatt ist. Geschäftsführer Thomas Reins, gelernter Krankenpfleger, beziffert die Investition auf 15 Millionen Euro. Auf dem Dach wurden Solarmodule installiert, es gibt Regenwasserzisternen und der Firmenparkplatz ist mit elektrischen Ladesäulen für die Autos der 150 Mitarbeiter ausgestattet, die zumeist in einem Radius von 20 Kilometer wohnen. Es gibt eine Kantine und eine Dach

terrasse mit Holzboden zum Entspannen.

Eigentlich war das Unternehmen für Steinbach schon verloren. Es hatte sich bereits für den Standort „Drei Hasen“ in Oberursel entschieden, konnte sich aber mit der Erbpacht für das Grundstück nicht anfreunden und behielt das „Gründchen“ immer im Auge. Als Bürgermeister Stefan Naas schließlich signalisierte, nunmehr sei mit dem Gewerbegebiet alles in trockenen Tüchern, schwenkte Löwenstein um und kaufte dort 6000 Quadratmeter für knapp zwei Millionen Euro. Auch über Naas-Nachfolger Steffen Bonk und seinen Stellvertreter Lars Knobloch berichtet Thomas Reins nur Gutes. Die Entscheidung für Steinbach war einerseits vom nahen S-Bahnhof mit Anschluss zum Flughafen bestimmt, andererseits aber Ausdruck der Sympathie zwischen Managern und politischen Entscheidungsträgern. Man mag sich.

Löwenstein ist schon vorher erfolgreich gewesen, aber dank Corona hat die Firma ihre Fertigung um das Vier- bis Fünffache gesteigert. Löwenstein wurde zur kostbaren Handelsware, um die in den Hochzeiten der Pandemie sogar von ausländischen Ministern geworben wurde. Andernorts glaubt man ohne Materialreserven auszukommen, doch in der Weißkirchener Straße lagern Ersatzteile für 10 000 Geräte. Momentan gibt es keinen Engpass, doch bei Bedarf kann die Produktion mit einer zweiten Schicht in kurzer Zeit hochgefahren werden. Auch Sonntagsarbeit ist für den Betrieb der „kritischen Infrastruktur“ bereits genehmigt worden.

In der Fertigung wird das Beatmungsgerät aus 3500 Teilen zusammengebaut, die von mehreren hundert Zulieferern stammen. Bei Sauerstoffsensoren oder Leiterplatten muss mit einem Vorlauf von bis zu einem Jahr kalkuliert werden. Eine logistische Herausforderung erster Ordnung. Inklusive umfangreicher Tests dauert es eine Woche, ehe die Geräte das Haus verlassen. Abteilungsleiter Wolfgang Kraft ist ein Mann der Präzision zu schätzen weiß, denn der Ingenieur aus der Wettertau hat im Wettbewerb mit der der freien Pistole über 50 Meter an der Schützen-WM teilgenommen.

Im Labor wird nachhaltig geforscht, denn alle zwei Jahre kommen Innovationen auf den Markt, mittlerweile sind es nach Einschätzung des Direktors 250 Modelle. Dafür sorgt eine Hundertschaft von Spezialisten, die unter erstklassigen Hochschulabsolventen rekrutiert werden. Die Personalsuche hat Erfolg, jedenfalls sind momentan bei Forschung und Entwicklung lediglich zwei Stellen vakant. Von Medizinern, Physikern, Ingenieuren und IT-Experten werden zündende Ideen und Teamfähigkeit erwartet. Derzeit tüfteln die Kreativen an einem Narkosegerät (Verkaufspreis voraussichtlich zwischen 20 und 30 000 Euro), das „Operationen für ältere Patienten sicherer machen soll“, sagt Peter Kremeier. „Mit dem Ziel Mobilität zu erhalten,“ ergänzt Kollege Reins. Beatmungsmasken für Kinder sollen ohne Mundschutz funktionieren, damit diese nicht auf den Schnuller verzichten müssen.

Wenn die Pandemie vorbei ist, das hat sich Thomas Reins, fest vorgenommen, werden die Türen aufgehen und die Bürger zu Führungen durch das Haus eingeladen. Auch das Schlaflabor soll dann besichtigt werden können, denn wer nachts keine Ruhe findet, der atmet unregelmäßig. Auch auf diesem Gebiet forscht Löwenstein.

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