Neues Bewusstsein und ein Bevollmächtigter erforderlich

Sie sprechen über Barrieren, also über all das, was ihnen das Leben oft schwer macht: Edgar Steck, Traude Salzmann, Moderatorin Lucia Artner, Cris und Heidi Ebert (v.l.). Foto: HB

Steinbach (HB). Diese Dekoration war eine Premiere. Auf der Naturbühne am Bürgerhaus lagen schwarze und blaue Schuhe, solche mit Plateauabsätzen und auch gelbe Gummistiefel. Sie sollten die Vielfalt der Individuen symbolisieren, aus denen sich die Stadtgesellschaft zusammensetzt. Farbige und Weiße, Menschen mit und ohne Behinderung.

Am vergangenen Freitagabend stellte sich die Interessengemeinschaft (IG) „Barrieren“ auf dem St Avertinplatz vor. Sie will physische und mentale Sperren lösen. Sie engagiert sich im Gesamtbeirat, in den sie nächstes Jahr zwei Vertreter schicken wird. Ihre „Performance“ war nach der IG „Nachhaltigkeit“, die mit einer fulminanten Modenschau geglänzt hat, der zweite Auftritt einer derartigen Gruppierung im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Steinbacher Sommer“. Die IG „Kultur“ folgt am morgigen Freitag ebenfalls am Bürgerhaus. Bürgermeister Steffen Bonk bezeichnete den Gesamtbeirat als eine „neue Form der Bürgerbeteiligung“. Quartiersmanagerin Bärbel Andresen erhofft sich davon „gemeinsame Impulse“ für die Stadtgesellschaft.

Auf dem Podium präsentierte Moderatorin Lucia Artner, Referentin beim VDK-Landesverband, eine „lebendige Bibliothek“ mit vier Biografien mutiger Bürger, die in der IG mitarbeiten und nunmehr vor größerem Publikum über die Barrieren sprachen, die es für sie zu überwinden gilt.

Edgar Steck kann sich nicht mehr auf sein Gedächtnis verlassen. Der 87-Jährige schafft es nicht mehr, die Namen seiner Verwandtschaft komplett aufzusagen. Die Jüngste in der Runde, die 16-jährige Cris, vor acht Jahren mit ihren Eltern aus Kamerun nach Steinbach übergesiedelt, sieht sich in der Altkönigschule ziemlich oft mit verächtlichen Äußerungen über Hautfarbe und Herkunft konfrontiert, ohne dass ihr die Lehrer zur Seite springen. Sie will durchhalten und in zwei Jahren Abitur machen.

Von den alltäglichen Fährnissen einer hochgradig Sehbehinderten erzählte Traude Salzmann, seit vielen Jahren Steinbacherin, die bis zu ihrem Ruhestand als IT-Expertin bei einer Bank in Eschborn arbeitete.

Die 67-Jährige schilderte wie hartnäckig sie beim Verkäufer nachfragen musste, bevor sie eine Waschmaschine mit Stufenschalter gefunden hatte.

Schließlich klärte Heidi Ebert (56) über die unendlichen Schwierigkeiten auf, mit dem Rollstuhl in Bus oder S-Bahn zu gelangen. Im Bürgerhaus nervt sie, dass es zwar eine Behindertentoilette gibt, aber es einfach nicht gelingt, die sperrige WC-Tür zu öffnen.

Frau Salzmann kritisierte die grauen Taktilstreifen auf dem Avertinplatz, die eigentlich weiß sein sollten. Bei derartigen Defiziten darf man sich nicht wundern, dass an der Pinnwand mit den Ideen für eine barrierefreie Stadt ein Bevollmächtigter für diesen Problemkreis gefordert wurde. Die Interessengemeinschaft wird sich auch damit beschäftigen. Es gibt aber auch Grund zur Freude, denn vor der Sparkasse in der Gartenstraße haben die Poller rot-weiße Manschetten erhalten, womit sie für Traude Salzmann endlich erkennbar sind.

Edgar Steck weiß, wie sich eine barrierefreie Welt realisieren lässt. Die Menschen müssten nur das „elfte Gebot, liebe deinen Nächsten wie dich selbst“ befolgen. Damit das frühzeitig in die Köpfe gelangt, klärt der VDK bereits im Kindergarten über die Probleme behinderter Menschen auf. Dafür hat er die Figur des „Käpten Kork“ erfunden, den die Kinder am Steinbacher Stand als Bastelmännchen mitnehmen konnten.

Weitere Artikelbilder



X